vonBenjamin Kiersch 07.08.2011

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

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Die Deutsche Schule in Arica war einer von vielen Schauplätzen exzessiver Polizeigewalt gegen Schüler und Studenten in Chile, an denen am vergangenen Donnerstag über 800 Personen bei Protesten für ein faires Bildungssystem festgenommen wurden. Bei der Räumung der Schule wurden 17 Schüler in Polizeigewahrsam genommen, darunter mehrere Minderjährige. Das Nachrichtenportal soyarica.cl dokumentiert den Polizeieinsatz:

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Die Deutsche Schule in Arica, die mit Mitteln der Bundesregierung unterstützt wird, war bereits vor ein paar Wochen aufgefallen, als eine Schülerin, die zu einer Schülerversammlung im Pausenhof der Schule aufgerufen hatte, von der Schule suspendiert wurde. Die Entscheidung wurde inzwischen von einem chilenischen Gericht aufgehoben, wie Kollege Dilger in der taz berichtete.

Mehrere taz-Leser haben das Verhalten der Schulleitung kommentiert.

In einem offenen Brief an die Leitung der Deutschen Schule Arica schreibt Reinhard Fitzek:

„In Momenten der Krise ist es seit jeher Rolle der Jugend, autoritäre Strukturen in Frage zu stellen und nach neuen Wegen zu suchen. Kritische, politisch bewusste Jugendliche mit Zivilcourage und organisatorischen Talenten sind die Personen die ein Land braucht um voranzukommen. Auch die deutsche Studentenbewegung vor über 40 Jahren hat anfangs grosse innere Spannungen erzeugt, und hat schliesslich doch unser Land zu einer sehr viel besseren und freieren Gesellschaft gemacht […]

Ein Schulausschluss als Antwort auf das Organisieren einer Schülerversammlung widerspricht auf das krasseste dem deutschen Verständnis von Demokratie und Recht, und bezeugt nichts weiter als absolutes Unverständnis und Hilflosigkeit den natürlichen gesellschaftlichen Prozessen des Landes gegenüber.“

Nena schreibt:
„Mit deutschen Geldern werden Auslandsschulen gefördert, die in teils extrem repressiver Atmosphäre nationalistische und intolerante Strukturen fördern, ein veraltetes Deutschlandbild vermitteln und “Andersdenkende” – wobei man im Zuge der massiven chilenischen Schüler- und Studentenbewegung eher die Gegner der Proteste als “Andersdenkende” bezeichnen müsste – […] dann halt lieber der Schule verweisen …“

Michael Reichenbach schreibt:
„Es stellt sich generell die Frage, inwieweit mit dem Geld aus Deutschland an den Deutschen Auslandschulen undemokratische Strukturen gefördert oder zumindest geduldet werden. Wäre es nicht sinnvoll oder notwendig, dies genauer zu kontrollieren und den Schulen einen demokratischen Verhaltenskodex, vor allem im Bezug auf die sozialen Rechte der Arbeitnehmer, aufzuerlegen? So dass die Deutschen Schulen als Leuchttürme der demokratischen Erziehung in den jeweiligen Ländern dienen.“

Inzwischen hat die Menschrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten die chilenische Regierung aufgefordert, zu der „unverhältnismässigen Gewalt“ der Polizei gegen Schüler und Studenten während der Proteste am vergangenen Donnerstag Stellung zu nehmen.

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https://blogs.taz.de/latinorama/exzessiver_polizeieinsatz_in_der_deutschen_schule_arica/

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kommentare

  • Eine genauere Untersuchung des Verhaltens der von Deutschland gefoerderten Schulen in diesen heftigen und voellig berechtigten Auseinandersetzungen waere interessant aber vermutlich auch recht aufwendig.
    Der Schulverweis wg. Protest erscheint in jedem Fall ungewoehnlich. Chile fuehrt neben PISA die sogenannnten Simce Tests bezueglich der Leistungsfaehigkeit der Schueler durch. Da schneidet das Colegio Aleman in der XV. Region vergleichsweise schlecht ab. Laut Simce.cl dominiert Obere Mittelschicht als soziale Herkunft der Schueler. Und da ist ein Ergebnis von 257 Punkten in Mathematik fuer Viertklaessler und 253 fuer Sechstklaessler eher schlecht. Sollte bei mindestens ueber 285 liegen. Moeglicherweise ist diese Schule insgesamt nicht sonderlich gut gemanaged.

    In der Provinz ist in diesen Protesten einiges moeglich. Ich kenne zumindest eine Schule fuer die obere Mittelschicht, in der die Schueler von der Schulleitung zur Besetzung aufgefordert wurden, um naechtliche Ueberfaelle von anderen Schulen zu vermeiden. Diese Pseudo-Besetzung dauerte allerdings nur 1,5 Wochen.

    Siempre firme junto al pueblo y los cabros
    Lemmy

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