Das er ein Mann der Superlative ist, wussten wir schon immer. Nun haben wir es aber auch schwarz auf weiß. Nun kommt der Comandante en Jefe ins Buch der Rekorde. Fidel Castro hält nämlich nicht nur den Rekord der längsten Rede aller Zeiten, sondern auch der meisten gescheiterten Attentate – 638 sollen es sein. Doch ein bißchen Recherche wäre schon schön.
638 haben sie es versucht und 638 Mal sind sie gescheitert. So lautet die Bilanz der kubanischen Staatssicherheit, und auf diese Zahlen wird sich auch das “Guinness Buch der Rekorde” berufen, wenn es demnächst die Zahl der gescheiterten Attentatsversuche auf Fidel Castro als weltweit einmalig aufnehmen wird. Das hat zumindest die kubanische Webside “Cubadebate” mit einem gewissen Stolz vermeldet – allerdings ohne große Details über diese Attentate Preis zu geben.
Darunter befiunden sich überaus kuriose, nahezu unglaubliche und natürlich auch jede Menge schnöde, einfallslose Mordversuche. Wie und nach welchen Kriterien die kubanischen Geheimdienstler ihre Liste von 638 Attentatsversuchen angelegt haben, ist leider nicht bekannt. Zählt beispielsweise der Versuch, dem Máximo Líder seines Bartes durch den Einsatz chemischer Mittel zu berauben, als vollwertiges Attentat? Eine Frage, die durchaus einmal im Zentrum einer Doktorarbeit oder Habilitation stehen könnte oder sogar sollte, denn schließlich ist der 85-Jährige eine Person von weltgeschichtlichem Gewicht. Wie viele der 638 Attentate auf das Konto der CIA und anderer US-Geheimdienste gehen, sollte in diesem Zusammenhang auch gleich geklärt werden, denn offiziell gibt die CIA nur zu, ganze acht Mal Hand an den ehemaligen kubanischen Staatschef gelegt zu haben. Wer ist denn dann für die restlichen 630 Attentate auf den Comandante en Jefe verantwortlich? Die Exilkubaner, die Mafia, die in Kuba mit der Revolution ein wichtiges Drehkreuz verlor oder gibt es noch weitere dunkle Mächte, die dem Mann mit dem Bart nach dem Leben trachteten?
Aufklärung tut not und das “Guinness Buch der Rekorde” wird sie nicht leisten. Aber auch die Kubaner halten sich recht bedeckt mit harten Fakten. Nun gut, dass alle Attentatsversuche vor der Übergabe der Amtsgeschäfte an Raúl Castro im Juli 2006 erfolgten, ist eine Information, aber so überraschend kommt sie nicht, oder.
Auf Über-Achtzigjährige werden eben nur noch in absoluten Ausnahmefällen Anschläge verübt – selbst die Schlapphüte haben noch einen Rest Anstand, auch wenn man da nie sicher sein kann. Denen ist es natürlich auch peinlich, den penetranten Berufsrevolutionär nicht um die Eck egebracht zu haben und so hält man lieber den Mund. Kann man verstehen. Zumal die Compañeros der Staatssicherheit auch nicht von Pappe sind und ihren Gegenspieler schon die eine oder andere Schlappe zugefügt haben. Das demotiviert und ist ein weiterer Grund, weshalb man auf der anderen Seite der Straße von Florida sich lieber bedeckt hält.
So lässt man die inoffiziellen Versuche lieber unter den Fisch fallen. Vielleicht, weil die Deppen von der Mafia oder aus Miami schlecht gearbeitet haben. Schon möglich, denn peinliche Pannen hat es nicht nur in den 60er Jahren, sondern auch später gegeben. Die vier Scharfschützen, die von Puerto Rico aus per Boot zur Isla Margarita in Venezuela reisen wollten, um Fidel Castro dort beim Iberoamerikanischen Gilfel ins Visier zu bekommen, sind ein Beispiel. Das war 1997 und scheinbar dachte das Quartett man könnte mit dem Boot mal kurz vorfahren und dem Bärtigen etwas Blei auf den Pelz brennen. Aber da hatten die Pistoleros aus Puerto Rico die Rechnung ohne den Wirt gemacht – die Venezolaner. Drei Jahre später in Panama war es Luis Posada Carriles, der international bekannteste Anti-Kuba-Terrorist, der mit fünf Komplizen in Panama City auftauchte, um ein Attentat auf den damaligen kubanischen Präsidenten durchzuführen. Auf Insistieren des kubanischen Geheimdienstes wurde das Quintett schließlich festgesetzt. Dass ausgerechnet Luis Posada Carriles, der Topterrorist gegen Kubas Revolution, sein durchaus bekanntes Antlitz durch die Straßen von Panama City spazieren führte, gehört sicherlich nicht zu den Sternstunden der verdeckten Kriegsführung.
Ob das Attentat in Absprache mit den US-Behörden angeleiert wurde, ist zwar nicht bekannt und es wird noch etwas dauern, bis die Archive geöffnet werden, aber die Kontakte zwischen Luis Posada Carriles und dem CIA war exzellent. Eine Recherche in Miami könnte da schon die eine oder andere zusätzliche Information zu Tage fördern, abseits der berühmten Fälle. Dazu so einfallsreiche Anschlagspläne wie das Präperieren der Schuhe mit Sprengsätzen, die vergiftete Zigarre oder der explosive Baseball. Davon kann man sich im Museum des Innenministeriums, in dem die Arbeit von Polizei und Staatsicherheit gewürdigt wird, überzeugen. International bekannt geworden ist auch die Affäre zwischen Fidel und der deutschen Kapitänstochter Marita Lorenz. Die wurde eigener Aussage zufolge vom CIA angeworben, um den bärtigen Revolutionsführer nach einem Schäferstündchen mit Schlafmitteln zur letzten Ruhe zu geleiten.
Spektakuläre Geschichten stecken hinter den Attentaten auf Fidel Castro, und es hat den Anschein, dass da noch ein paar weitere schlummern. Angesichts von 638 Attentaten wäre alles andere eine herbe Enttäuschung.
Wie war das noch? Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern. Aber mehr als fünf Jahre, das ist wirklich Schneckenpost!
Schneckenpost des Tages: Fidels Weltrekord
Die Frankfurter Rundschau, der Focus und andere haben am Freitag auf ihren Internetseiten eine Meldung verbreitet, die am frühen Morgen von der Nachrichtenagentur AFP veröffentlicht worden war: Der frühere kubanische Präsident Fidel Castro sei in das Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen worden, als derjenige, der weltweit die meisten Mordanschläge überlebt habe. Der 85jährige habe in seinem Leben insgesamt 638 Attentate überstanden, meldete die Agentur unter Berufung auf die »amtliche kubanische Internetseite http://www.cubadebate.cu«.
Nun ist Cubadebate zweifellos für der spanischen Sprache mächtige Leser eine wertvolle Informationsquelle, wenn sie auch keinesfalls »amtlich« ist, sondern von kubanischen Journalisten unter Leitung des Fernsehmoderators Randy Alonso betrieben wird. Dort heißt es: »Fidel Castro ist die Person, deren Ermordung am häufigsten versucht worden ist, und der deshalb in das Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen wurde …« Das ist allerdings nichts Neues. Schon seit fünf Jahren verzeichnet das Buch Fidel als Rekordhalter mit den »meisten gescheiterten Mordanschlägen«, wie dessen Redaktion jW am Freitag bestätigte.
Cubadebate gibt übrigens korrekt an, woher sie den Text übernommen hat: von der Homepage des Auslandsrundfunksenders Radio Habana Cuba, der sich wiederum auf den beim Internetportal Yahoo gehosteten Blog »Cuaderno de Historia« (Geschichtsheft) beruft. Einmal an das Ende des dortigen Textes gescrollt, findet sich der Hinweis: »Gelesen in The Guardian«. Der damit verbundene Link führt auch tatsächlich auf die Homepage der britischen Tageszeitung – zu einem Artikel »638 Wege, Castro zu töten« vom 3. August 2006.
aus: junge Welt, 17.12.2011