vonClaudius Prößer 28.12.2008

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Wer hätte das gedacht – dass irgendwann die große, unerfüllbare Hoff­nung der Hinterbliebenen von verschwundenen Opfern der Diktatur sich in ihr Gegenteil verkehren würde? Dass sich der schreckliche Ver­dacht und, später, die schreckliche Gewissheit doch als falsch he­raus­stellt – und keiner freut sich darüber? Nachdem Mitte November ein Mann in Argentinien aufgetaucht war, dessen Name auf der langen Liste der detenidos desaparecidos stand, gibt es jetzt neue Zweifel in drei wei­te­ren Fällen – von offiziell anerkannten 1.183. Für Organisationen wie die Ver­ei­nigung der Familienangehörigen Verschwundener (AFDD) ist das ein schwe­rer Schlag – denn es liefert den ewiggestrigen Pi­no­chet­anhängern und der rechten Opposition willkommenes Futter.

Im Gegensatz zu dem seit Jahrzehnten im argentinischen Mendoza wohnhaften Germán Cofré, den die Fernsehkameras in Fleisch und Blut einfangen konnten, sind zwei der jetzt in Frage stehenden Personen offenbar längst tot. Eine Frau, die als Verschwundene galt, soll bereits in den 50er-Jahren gestorben, ein weiterer Mann in den Tagen nach dem Putsch im September 1973 ums Leben gekommen sein – freilich (wenn die neuen Informationen zutreffen) in einem ganz anderen Zu­sam­men­hang. Ein dritter könnte noch leben, und zwar ebenfalls in Ar­gen­ti­nien – dafür gibt es nach Angaben der Regierung „Beweise aus der jüngsten Vergangenheit“, ein aktueller Aufenthaltsort ist aber nicht bekannt.

Dass diese Informationen aufgetaucht sind, steht in direktem Zu­sam­men­hang mit dem „Fall Cofré“: Die Regierung Bachelet hatte angesichts des medialen Aufruhrs eine Neuüberprüfung der Verschwundenen-Liste durch die entsprechenden Behörden angefordert. Inzwischen liegt ein aus­führ­li­cher Bericht vor.

Kein Grund zur Aufregung, könnte man meinen – drei oder vier Irrtümer fallen bei einer so großen und nun wiederholt geprüften Zahl doch kaum ins Gewicht. Für die öffentliche Meinung sind sie aber Gift, zumal es auch um Geld geht, um Schmerzensgeld, Renten und Stipendien, die den Hinterbliebenen ausgezahlt wurden und werden. Wer in diesen Tagen die Leserbriefe und Web-Kommentare der Zeitungen studiert, stößt auf Abgründe von Gehässigkeit: „Verlogene Kommunisten, ihr lasst es euch im Ausland gutgehen, macht Chile schlecht, und eure Familien schma­rotzen zu Hause vom Staat“, so oder ähnlich der Tenor vieler Schrei­ber­linge.

Die Regierung ist nun, etwas überstürzt, in die Gegenoffensive gegangen: Sie hat die Geldleistungen für die betroffenen Familien kurzerhand ein­ge­stellt und angekündigt, die beiden „Wahrheitskommissionen“ wieder zu eröffnen, die die Verbrechen der Diktatur dokumentiert haben. Die nach ihren jeweiligen Vorsitzenden benannten Kommissionen – Comisión Rettig und Comisión Valech – könnten sich dann auch mit Fällen befassen, die seit ihrer Schließung aufgetaucht sind und deshalb keinen Eingang in die offizielle Erhebung gefunden haben. Laut Aussage des Innenstaatssekretärs Patricio Rosende sind das „viel mehr als die jetzt entdeckten Irrtümer“.

(Fotos: Das Denkmal für die von der Diktatur Ermordeten und Verschwunden auf dem Hauptfriedhof von Santiago)

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