Diego Armando Maradona war ein genialer Fußballkünstler – und der erste Superstar, der sich mit den mafiösen Fifa-Funktionären und den TV-Konzernen anlegte. 1986 protestierte er erfolglos gegen die Vorgabe, in der brennenden Mittagshitze Mexikos spielen zu müssen. 1995, ein Jahr nach seinem umstrittenen Doping-Rauswurf bei der WM in den USA, gründete er zusammen mit Éric Cantona und George Weah eine internationale Fußballer-Gewerkschaft, zu der bald der Belgier Jean-Marc Bosman hinzustieß.
In Argentinien ist der Medienwirbel um »el Diego« auch nach seinem einsamen Tod und der dreitägigen, von Polizeigewalt und politischem Streit überschatteten Staatstrauer noch lange nicht vorbei. Dabei wird leicht übersehen, dass sich »nur« gut zwei Drittel der Argentinier*innen mit Maradona identifizieren, dem »menschlichsten aller Götter« (Eduardo Galeano). Die allermeisten linken Feministinnen jedenfalls reklamieren den »Kämpfer voller Widersprüche« für sich und ihre Sache, dessen wohlbekannte Macho-Fehltritte erklären sie mit dem System des Patriarchats.
Der Junge aus dem Armenviertel Villa Fiorito war von Geburt an dem Peronismus verbunden und ebenso irrlichternd wie diese volksnahe, ideologisch sehr breite Bewegung. In den 1990er Jahren zeigte er sich gerne zusammen mit dem neoliberalen Staatschef Carlos Menem, seit 2003 war er Kirchnerist. 2005 verhinderten Néstor Kirchner, Lula da Silva und Hugo Chávez im argentinischen Seebad Mar del Plata unter dem Jubel der sozialen Bewegungen die gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA. Emir Kusturica hat in seiner Punk-Doku die Begeisterung im Stadion eingefangen, wo Hunderttausende Chávez, Evo Morales und Maradona mit seinem Anti-Bush-T-Shirt zujubelten. Der südamerikanische Linksruck verdichtete sich in Mar del Plata in einem magischen Moment.
Noch im Oktober, kurz vor seinem 60. Geburtstag, kreuzte der Fußballgott in den sozialen Netzwerken mit dem rechtsliberalen Ex-Präsidenten Mauricio Macri die Klingen. In den Luxusvierteln der Reichen rümpfte man über ihn die Nase. Im imaginären Volks-Pantheon Argentiniens jedenfalls bekommt er einen Ehrenplatz zwischen Evita und Che Guevara.
In Europa kam kaum ein Nachruf, angefangen bei Emmanuel Macron, ohne die obligatorische Distanzierung von Castro oder Chávez aus – so, als hätte Maradona politisch nicht alle Tassen im Schrank gehabt. Welch ein Irrtum: Wie für Millionen in aller Welt waren die beiden für ihn ganz handfeste Symbole des Widerstands gegen den US-Imperialismus. Zudem war der »Líder Máximo« bereits 1987 für ihn zur Vaterfigur geworden, 2000 rettete ihm eine lange Kur auf Kuba das Leben.
Mit seinen beiden einzigartigen Toren gegen England bei der WM 1986, vier Jahre nach dem Malwinen-Krieg, hat sich Diego Maradona als antikolonialer Rebell verewigt. Vor allem die »Hand Gottes« wurde in Irland und Indien, bei schwarzen Aktivist*innen in London und Lagos als Rache am Empire gefeiert. Kein Wunder also, dass heute unzählige »Verdammte dieser Erde« in Syrien und Bangladesch, in Osttimor und Südafrika um Diego Maradona trauern.
Die Jahre beim SSC Neapel (1984-92) brachten den längsten sportlichen Höhenflug und den ersten dramatischen Kokain-Absturz – Maradona war nicht der erste Star, der vom Ruhm überwältigt wurde. Es bleiben die Triumphe und Titel gegen die Bonzenklubs aus Mailand oder Turin, mit denen er ganz Süditalien beschenkte. Als die Argentinier 1990 ausgerechnet in Neapel den Gastgebern den Einzug ins WM-Finale verwehrten, hatte Maradona die Napoli-Ultras auf seiner Seite.
In diesem Sinne war er der Muhammad Ali der Globalisierung, anmutiger Künstler in der Arena, aber auch wortgewandt, maß- und kompromisslos, politisch inkorrekt und ja, authentisch. »Ich bin ein Schwarzköpfchen (so nennt man in Argentinien die Menschen aus einfachen Verhältnissen, GD), habe nie meine Herkunft verleugnet«, sagte »el Diego« einmal. Oder: »Ja, ich bin links, ganz links, von Kopf bis Fuß, im Glauben. Aber nicht so, wie ihr in Europa das definiert. Ich will das Leben der Armen verbessern, dass wir alle Frieden und Freiheit haben«. Schließlich: »Wenn Pelé Beethoven ist, dann bin ich Ron Wood, Keith Richards und Bono, alle zusammen«.