vonGerhard Dilger 18.04.2014

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

Mehr über diesen Blog

Von Graham Greene habe er gelernt, die Karibik in eine “poetische Synthese” zu bringen, verriet Gabriel García Márquez einmal: “Mit einigen verstreuten Elementen, die in einen sehr feinen und realen subjektiven Zusammenhang gebracht werden – mit dieser Methode kann man das ganze Rätsel der Tropen auf den Duft einer verrotteten Guave reduzieren”.

Geboren wurde “Gabo”, wie sie ihn in Kolumbien nennen, vor gut 87 Jahren im Karibikdorf  Aracataca, dem erklärten Vorbild für den mythischen Ort Macondo in “Hundert Jahre Einsamkeit” (1967). Das melancholische Epos um die Buendía-Sippe, von Mario Vargas Llosa als “totaler Roman” bezeichnet, wurde auf Anhieb zum Bestseller.

Doch García Márquez war immer mehr als ein begnadeter Literat. Wie viele lateinamerikanische Autoren pflegte er lange Jahre den Journalismus, den “besten Beruf der Welt”, wie er oft erklärte. Für die Tageszeitung El Espectador, in der seine ersten Kurzgeschichten erschienen waren, berichtete er als Korrespondent aus Europa, darunter illusionslose Reportagen aus den Ländern „hinter dem eisernen Vorhang“. Nach der kubanischen Revolution 1959 arbeitete er für die Presseagentur Prensa Latina, bis dort Dogmatiker der kleinen KP das Sagen bekamen.

In Mexiko, wo bis zuletzt mit seiner Frau Mercedes lebte, schrieb er “Hundert Jahre Einsamkeit” mit dem schon legendären Anfangssatz: “Viele Jahre später sollte der Oberst Aureliano Buendía sich vor dem Erschießungskommando an jenen fernen Nachmittag erinnern, an dem sein Vater ihn mitnahm, um das Eis kennen zu lernen”.

In Europa gilt er seither als Großmeister des “Magischen Realismus”, wobei die Betonung auf “magisch” liegt. “In meinen Romanen gibt es keine einzige Zeile, die nicht auf der Wirklichkeit gründet”, betonte García Márquez hingegen und fügte leicht spöttisch hinzu, der Rationalismus vieler europäischer Leser lasse sie nicht sehen, dass “sich die Wirklichkeit nicht auf Tomaten- oder Eierpreise beschränkt”.

In seiner immer noch aktuellen Dankesrede für den Literaturnobelpreis 1982 beschwor er angesichts des “wissenschaftlich möglichen” Untergangs der Menschheit “eine neue, umwerfende Utopie des Lebens”. Gleichzeitig warb er bei den Europäern um mehr Verständnis für die politischen Versuche in Lateinamerika, eigene Wege aus Armut und Verzweiflung zu finden.

Unterschiedlichste Ausdrucksformen fand sein politisches Engagement: In den 70er Jahren schrieb er für das linke kolumbianische Wochenblatt Alternativa. Durch die Reportage “Das Abenteuer des Miguel Littín – Illegal in Chile” (1986) verschaffte er der Opposition gegen Diktator Augusto Pinochet Aufmerksamkeit. Auf Kuba gründete der Verfasser zahlreicher Drehbücher eine Filmakademie, im kolumbianischen Cartagena eine Journalistenschule.

Literarisch setzte er sich mit dem venezolanischen Unabhängigkeitskämpfer Simón Bolívar ebenso auseinander wie mit der Drogenmafia in Kolumbien, dazwischen schrieb er Kurzgeschichten und die seither verfilmten Karibikromane “Die Liebe in Zeiten der Cholera” (1985) und “Von der Liebe und anderen Dämonen” (1994).

Seine Faszination für die Macht, die er im Diktatorenroman “Der Herbst des Patriarchen” (1975) höchst originell verarbeitet hatte, führte ihn schließlich in die Nähe von Staatsmännern wie François Mitterrand oder Fidel Castro. Hinter den Kulissen setzte er sich für Entführte und politische Gefangene ein oder agierte als “Verschwörer für den Frieden”, wie es ein vormaliger kolumbianischer Außenminister ausdrückte.

So wurde er in den 70er und 80er Jahren zu einem der führenden Linksintellektuellen Lateinamerikas, sein früherer Freund Vargas Llosa schalt ihn als “Höfling Castros”. Auch wenn er dem kubanischen Revolutionsführer seine Loyalität nie aufkündigte: Anders als sein liberaler Antipode Vargas Llosa zog sich García Márquez im Alter allmählich aus der öffentlichen Debatte zurück .

In Kolumbien, das er 1981 fluchtartig verlassen musste, um einer drohenden Verhaftung zu entgehen, weil er als Sympathisant der Guerilla galt, hat er längst seinen Frieden mit dem Establishment geschlossen. Dort ist Gabo längst zu einem klassenüberschreitenden Symbol des Nationalstolzes geworden.

“Seine politische Haltung ist eine Mischung aus Restbeständen eines jugendlichen Marxismus, traditionellem lateinamerikanischen Antiimperialismus und Sozialismus westeuropäischen Zuschnitts”, schrieb der US-Reporter Jon Lee Anderson 1999.

2002 erschien der erste – und einzige – Teil seiner üppigen Autobiografie “Leben, um davon zu erzählen”, 2004 die Novelle “Erinnerung an meine traurigen Huren”.

Am Gründonnerstag ist Gabo in Mexiko-Stadt gestorben.

Adiós!

Foto: Reuters

 

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/latinorama/gabo-ist-tot-eigene-wege-gehen/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Leben, um davon zu erzählen –

    ja, das war sein Ding

    … wie schwer ist es, spannend zu erzählen, in einem Land –
    in dem ein einziger Regentropfen im Urwald einen
    monatelangen Sturzregen auslösen kann … (o.s.ä)

    ja – das konnte er dennoch – und wie

    Gabriel García Márquez –
    aus Aracataca, Kolumbien

    der zugleich Stolz und
    schlitzohrig-humorvolle Bescheidenheit
    an den Tag legte,
    indem er einen jüngeren
    Erzähler mit den Worten zu begrüßen wußte –
    Ich möchte den einzigen Schriftsteller beglückwünschen,
    der besser ist als ich (Jorge Volpi).

    reich beschenkt & dankbar sich verneigend
    Chapeau – Buen viaje

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert