„Wir müssen alle einen Denkzettel bekommen, damit wir zuerst nachdenken, bevor wir wählen“, meinte Mirella, meine Shampoo-Verkäuferin noch am Samstag-Nachmittag. Die junge Frau mit dem freundlichen Lächeln hat einen kleinen Ladenstand für Kosmetikartikel und allerlei Schnickschnack und ist nicht davon abzubringen, dass sie Susana Villarán als Bürgermeisterin abwählen wird. „Sie hat einfach nichts getan, nenne mir eine einzige „obra“ von ihr. Sie kann noch so ein guter Mensch sein, sie gehört nicht in dieses Amt“.
Fast hätte Mirella und die ihren es geschafft und Susana Villarán in der überflüssigsten und absurdesten Wahl, die Peru in den letzten Jahren hatte, aus dem Rathaus verjagt. „Revocatoria“ , Abwahl noch vor Ablauf der Amtszeit, nennt man in Peru dieses Gesetz, das korrupten Bürgermeistern den Garaus, und den Bürgern wie Mirella mehr demokratische Beteiligung verschaffen soll. Recht knapp ging die Schlacht um Lima schliesslich zu Gunsten von Susana Villarán aus, mit 51,5% für Susana Villarán ist das Ergebnis zwar noch nicht offiziell – die vollständige Auszählung ist von der Wahlbehörde erst in einigen Tagen zu erwarten – aber es scheint sicher, dass Susana Villarán im Amt bleibt. Das Aufatmen bei Linken, aber auch Christdemokraten und anderen gemässigten Kräften war gross, als Susana Villarán am Abend des 17. März auf ihren Balkon trat und bekundete, dass sie mit allen gemeinsam weiterarbeiten würde für Lima.
Die Frage aber bleibt: wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass fast die Hälfte der Limenhos – und darunter vor allem einfache Menschen wie die oben genannte Mirella – eine Frau abwählen wollten, die sich ihr ganzes Leben lang für Menschenrechte, und gegen Armut eingesetzt hat? Die selbst als junge Familienmutter in ein Armenviertel zog, um , wie es bei den linken Christen damals Usus war, den Armen näher zu sein? Die im persönlichen Umgang vor Herzlichkeit überquillt, aber diese vor einem Mikrofon nicht rüberbringt?
Den Ruf, eine „Lady Vaga“ zu seine, eine, die nichts gebacken kriegt, bekam Villarán praktisch am ersten Tag ihres Amts von den Gegnern aufs Auge gedrückt – und der Ruf blieb. Was immer sie auch sagte und tat – ist der Ruf erst einmal ruiniert, kann man noch soviel Wahrheit dagegen halten; es bleibt etwas kleben. Susana Villarán wurde zudem ihr demokratisches Verständnis zum Verhängnis: einen anderen Politikstil wollte sie einüben, mehr auf Partizipation und weniger auf Caudillismus machen; die Leute sahen aber nur, dass keine Bürgermeisterin mehr neue Brücken, Treppen oder Strassen einweiht. In der Politik nutzt es nichts, Gutes zu tun – man muss es auch zeigen. Erst in den letzten Wochen – und unter Beiziehung des brasilianischen PR-Strategen Luis Favre, der schon Ollanta Humala ins Amt gehievt hatte – sah man Susana Villarán „Obras“ einweihen. „Susana lo hace“ – Susana hat´s gerichtet, steht nun darauf. Nicht mehr „Lima lo hace“, „Lima macht´s“, wie es vorher hiess.
Vor allem aber hat diese Revocatoria auch eine alles anderes als hehre limenische Volksseele entblösst. „Er klaut zwar, aber tut wenigstens was“ – ist das beliebte Credo des Wählers. Was aber, wenn jemand etwas tut fürs Volk und nichts klaut ? Diese Figur wird ins Reich der Heiligen abgeschoben, untaugbar für die peruanische Politik.
Es gibt aber auch Gutes zu berichten: Dass Susana Villarán noch einmal davongekommen ist, hat auch damit zu tun, dass Lourdes Flores von der christdemokratischen Partei, sich öffentlich gegen die Abwahl Villaráns ausgesprochen hat. Noch vor drei Jahren hatten Lourdes Flores und Susana Villarán erbittert um das Bürgermeisteramt gestritten. Lourdes Flores unterlag hauchdünn.
Es hat auch damit zu tun, dass es vielen doch zu teuer und aufwendig erschien, 5 Millionen Limenhos an die Wahlurnen zu bringen (Wahlpflicht!), um eine Bürgermeisterin abzuwählen, deren Amtszeit sowiese in eineinhalb Jahren zu Ende geht.
Susana Villaráns Triumph hat einen bitteren Nachgeschmack: zwar darf sie im Amt bleiben, aber die meisten ihrer Gemeinderäte wurden vom Volk abgewählt. Die Bürger Limas dürfen nun im November neue Gemeinderäte wählen – die gerade mal ein Jahr bis zur nächsten Wahl im Amt bleiben. Unter einem Gesetz zur Bürgerbeteiligung hat sich so mancher etwas anderes vorgestellt.
Mirella, meine Shampoo-Lieferantin, hat heute, am Montag nach dem Wahlsonntag, ihren Laden geschlossen. Schade, ich hätte sie gerne gefragt, ob diese absurde und übeflüssige Abstimmung nun Denkzettel genug war.
Interessant, wie scheinbar das Wahlzetteldesign (2 Spalten je 20 Personen) ein wenig Einfluss nahm. Neben Susanna Villaran werden nur zwei Stadträte von Fuerza Social sehr wahrscheinlich nicht abberufen – die standen als #21 und #22 gleich oben in der rechten Spalte. Alle anderen befanden sich in der linken Spalte. Auffällig auch, die Zahl der votos blancos. Geringste Anzahl bei Susanne Villaran. Aber schon bei der #2 steigen sie sprunghaft an. Da waren letztlich gewisse Kampagnenstrategien erfolgreich. Für Fuerza Social wirkt sich die hohe Zahl der votos blancos verheerend aus.
Lässt sich hier aktuell nachverfolgen (ausgezählt sind zz rund 55% der abgegebenen Stimmen): http://www.cprmarzo2013.onpe.gob.pe/elecciones2013/Resultados-Ubigeo-Provincial.html