vonKnut Henkel 31.03.2023

Latin@rama

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Interview mit Jordán Rodas, bis August 2022 Ombudsman für Menschenrechte in Guatemala und seit September 2022 in Bilbao – im spanischen Exil. Rodas ist Jurist und Vizepräsidentschaftskandidat des Movimiento para la Liberación de los Pueblos (Bewegung für die Befreiung der Völker) MLP. Er kandidiert an der Seite von Thelma Cabrera, die bei den letzten Wahlen 2019 als viertplazierte für eine Überraschung sorgte. Rodas stammt aus Quetzaltenango ist Jurist und Jahrgang 1968.

Jordán Rodas, ehemaliger Ombudsman für Menschenrechte in Guatemala und aussortierter Kandidat für die Vizepräsidentschaft bei den Präsidentschaftswahlen am 25. Juni 2023

Herr Rodas, Sie haben Guatemala beinahe fluchtartig verlassen, nachdem Ihr Mandat als Ombudsman für Menschenrechte im August 2022 auslief. Warum?

Weil Guatemala für mich und meine Familie nicht sicher ist. Ich war als Procurador de Derechos Humanos selten einer Meinung mit der Regierung von Alejandro Giammattei, habe mehrfach Menschen verteidigt und in Schutz genommen, die von der Regierung attackiert wurden. Das ergeht vielen so, viele wandern aus und weitere werden folgen. Das Gros geht in die USA, ich habe das spanische Baskenland gewählt und mich hier exiliert.

Sie haben gemeinsam mit Thelma Cabrera eine Tour durch Europa unternommen, um auf die Entscheidung des guatemaltekischen Wahlgerichts aufmerksam zu machen, dass Sie und Thelma Cabrera nicht als Präsidentschaftskandidatin und Vizepräsidentschaftskandidat der MLP zu den Wahlen am 25. Juni zulassen will, richtig?

Wir haben zwei Reisen unternommen. Eine in die USA und eine nach Europa. Die erste fand im Februar statt und wir haben die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte besucht, aber dort auch mit Politikern und Funktionären der aktuellen Regierung gesprochen. Warum? Weil anders als früher der Wahlbetrug nicht direkt vor der Abgabe der Stimmen, an den Urnen oder bei der Auszählung läuft, sondern schon im Vorfeld: die MLP, durchaus eine Partei mit Perspektiven in diesen Wahlen, wird einfach vom Wahlzettel entfernt – das ist ein gravierender Eingriff in das Wahlrecht.

In Europa waren wir in Brüssel, haben dort mit mehreren Abgeordneten gesprochen, darunter dem Team von Josep Borrell, um zu erklären, was in Guatemala passiert. Nach der Visite in Brüssel haben wir vor dem baskischen Parlament sprechen können. Dabei haben wir auf die Beschneidung politischer Grundrechte wie dem Wahlrecht, aber auch auf die Kriminalisierung der freien Presse hingewiesen. Eine Demokratie funktioniert nicht ohne freie unabhängige Presse und Justiz – beides wird in Guatemala gerade beerdigt, wie die Flucht vieler Richter:innen und Staatsanwält:innen zeigt sowie das absehbare Ende von elPeriódico.
Guatemala entwickelt sich zu einem autoritärem Regime, zu einem totalitären Staat.

Der ehemalige Präsidentenpalast in Guatemala Stadt

Warum geht die Regierung gegen elPeriódico vor?

Den Präsidenten von El Periódico, José Rubén Zamora, ins Gefängnis zu stecken, ist eine Botschaft an alle kritischen, unabhängigen Medien in Guatemala: Versucht erst gar nicht Fälle von Korruption zu untersuchen, denn sonst landet ihr im Gefängnis. Ihnen droht die Kriminalisierung und das ist eine grundlegende Verletzung des Rechtsstaates.

Könnte das Vorgehen gegen elPeriódico der Auftakt sein für die Verfolgung anderer Medien wie Plaza Pública, Prensa Comunitaria, No Ficción oder Agencia Ocote?

El Periódico ist das Flaggschiff des kritischen Print-Journalismus in Guatemala, zählt zu den wichtigen Medien des Landes und das Vorgehen gegen das Blatt und seinen Gründer hat Symbolcharakter. Es ist ein Akt der Einschüchterung, schürt Ängste, sorgt für Verunsicherung und für die Ausreise einiger bekannter Journalisten. Das ist ein direkte Folge und ein negatives Zeichen für Guatemala und die ganze Region.

Sehen Sie die Pressefreiheit in Guatemala gefährdet?

Ja, definitiv. Zudem denke ich, dass die Beschneidung des Wahlrechts durch die Entscheidung des Wahlgerichts so etwas wie ein Brandbeschleuniger für soziale Proteste ist. Die Menschen haben die Nase so voll von den autoritären Strukturen in Guatemala, die Mächtigen glauben jedoch, dass die Bevölkerung alles schlucken wird. Aber dem ist nicht so. Das Risiko einer sozialen Explosion steigt.

Was fehlt, um die soziale Explosion zu verhindern?

Internationale Aufmerksamkeit sowohl von den USA auch als von der Europäischen Union. Guatemala wird zu wenig wahrgenommen und die Migration wird von der Regierung in Guatemala Stadt gern als politisches Instrument genutzt, um Druck auf die USA auszuüben. Fälle wie der Tod von 28 Guatemaltek:innen, verbrannt auf dem Weg in die USA, wären mit einer vernünftigen Migrationspolitik vermeidbar.
In Europa wird Spanien die Präsidentschaft der EU übernehmen und vielleicht etwas genauer nach Guatemala blicken – das ist nötig.

Viele Guatemaltek:innen fliehen aus der Perspektivlosigkeit – warum hat Guatemala so wenig zu bieten?

Was Guatemala fehlt sind ernsthafte Regierungen, die für das Land und nicht für die eigene Tasche arbeiten, die nicht die staatlichen Ressourcen missbrauchen. Wir brauchen einen strukturellen Wandel – die alten Eliten haben abgewirtschaftet, sind aber mächtig.

Im September 2019 endete das Mandat der CICIG (UN-Kommission gegen die Straflosigkeit), die zwölf Jahre lang Guatemalas Justiz gestärkt und reformiert hatte. War das ein Meilenstein?

Ja, dass war ein Wendepunkt für Guatemala. Seitdem gibt es einen enormen Rückschritt, es hat den Anschein, dass es eine Rachefeldzug gegen Richter:Innen, Staatsanwält:innen, aber auch Journalist:innen gibt, die nur ihre Arbeit gemacht haben.

Welche Optionen haben Sie und Thelma Cabrera sowie die MLP?

Thelma Cabrera wird alles juristische Möglichkeiten ausschöpfen, um ihre Kandidatur durchzusetzen und das gilt natürlich auch für meine Person. Es gibt Optionen und wir sind uns sicher, dass die MLP eine Partei mit Potential ist. Es gibt die Chance etwas zu ändern und das haben die letzten Präsidentschaftswahlen von 2019 gezeigt als die MLP überraschend auf dem vierten Platz mit mehr als zehn Prozent der Wählerstimmen landete. Das ist meiner Meinung nach auch der Grund, weshalb Thelma Cabrera nun nicht kandidieren darf – sie ist unbequem und populär.

Wie sehen Ihre persönlichen Pläne aus?

Ich warte auf das Urteil des Wahlgerichts, dass spätestens am 31. März kommen soll. Sollte es die Kandidatur von Thelma und mir freigegeben, werde ich nach Guatemala fliegen und den Wahlkampf aufnehmen.

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