Menschen anderer Kulturen zu fotografieren, kann eine delikate Angelegenheit sein. Und das Thema der heiligen Pflanze der Koka ohnehin. Denn über 90% der Produktion in den Tropen von Cochabamba landen beim Drogenhandel. In den Yungas von La Paz sind es laut Schätzungen immerhin auch etwa 20%.
Um so schöner, wenn es gelingt, mit einem Bild zur traditionellen Nutzung der Koka Brücken zu schlagen. Davon konnte die Berliner Fotografin Silke Kirchhoff Latinorama am Ende ihrer letzten Reportagereise nach Bolivien berichten. Die Geschichte eines Fotos zum 21. Mai, dem UNESCO-Welttag der kulturellen Vielfalt.
von Silke Kirchhoff
Ich bin im Jahr 2007 in Bolivien gewesen, um für meine Diplomarbeit zu fotografieren. Das Thema war: „Arriba Bolivia“ (Hoch lebe Bolivien). (Hier der Link zur Fotostrecke, die 2019 im Vorfeld der umstrittenen Wahlen mit weiteren Fotos und der Frage „Evo forever?“ ergänzt wurde). Es ging um den ersten indigenen Präsidenten des Landes und die Erwartungen an mehr indigene Selbstbestimmung.
Dabei war auch die Koka Thema. Im Chapare, der Region von Evo Morales, konnten wir 2007 wegen Dauerregens nicht fotografieren. Ich bin deshalb in die Yungas, die Andenfußregion von La Paz gefahren. Ich hatte einen Kontakt zum damaligen Bürgermeister von Coroico, Policarpio Apaza. Der sollte mir helfen, jemanden zu finden, den ich beim Kokaanbau fotografieren könnte. Er hat mich dann am frühen Morgen auf seinem Motorrad mitgenommen. Und außerhalb auf dem Land trafen wir die Familie von Sonia Choque. Die war gerade dabei, Kokablätter zu trocknen. Das Bild davon wurde dann Teil meiner Diplomarbeit. Jetzt wird es wieder in einer Ausstellung zum zehnjährigen Jubiläum der Galerie GAF in Hannover gezeigt. Die Bilder sind dort noch bis zum 16. Juni zu sehen.
Und zufällig, als ich jetzt im Rahmen eines neuen Fotoreportage-Projektes wieder in Coroico war, bekam ich die Nachricht, dass das Bild von Sonia Choque im Rahmen einer Sonderaktion auch als Großplakat in der U-Bahn von Hannover hängt. Das war Anlass genug, mich auf die Suche nach ihr zu begeben. Zu unserer gemeinsamen Freude habe ich sie auch angetroffen. Es war ein netter Empfang gleich mit einer erneuten Einladung für den nächsten Tag. Sie konnte sich noch an die Fotografin erinnern, die vor 17 Jahren mit dem Bürgermeister auf dem Motorrad vorbeigekommen war.
Damals lebte die Familie in sehr einfachen Verhältnissen. Die Hütte hatte nicht einmal ein festes Dach. Inzwischen hat sich die Familie ein einfaches, aber funktionales Häuschen gebaut. Sie produzieren zum Beispiel auch Honig. Es geht ihnen wirklich besser. Die meisten Kinder sind inzwischen erwachsen und aus dem Haus. Während der COVID-Pandemie müssen sie aber sehr gelitten haben. Die Restriktionen waren ja härter als in Deutschland. Und so isoliert draußen auf dem Land hatten sie praktisch keine Kontakte zu anderen Personen. Dadurch war zwar die Ansteckungsgefahr gering, aber es gab erhebliche Versorgungsprobleme und auch die Sorge, was angesichts des desolaten Gesundheitswesens geschehen würde, wenn sie wirklich an COVID erkranken würden.
Als ich 2007 meine Diplomarbeit fotografiert habe, hatten viele ja große Hoffnungen und ich ging davon aus, dass Evo Morales diese Hoffnungen erfüllen würde. Aber mit den Jahren habe ich dann mitbekommen, dass es ihm auch um die eigene Macht ging. Während ich ihn 2007 in einigen Situationen fotografieren konnte, war es vor den Wahlen 2019, als ich wieder in Bolivien war, kaum noch möglich, an ihn heranzukommen. Und die indigenen Gemeinden, die ich dieses Jahr besucht habe, scheinen sich eher verlassen zu fühlen und von der Politik nicht gut vertreten.
Als ich Sonia Choque jetzt das Foto von ihr in der U-Bahn von Hannover gezeigt habe, hatte ich den Eindruck, dass sie auch ein wenig stolz war. Dass sie so viele Jahre später mit dem, was sie tut und liebt, nämlich dem Kokaanbau, weit weg anderswo auf der Welt zu sehen ist. Und ihr Mann fand auch, dass es ihm sehr gut gefällt, wie ihr auf dem Foto die Kokablätter um den Kopf fliegen.