vonPeter Strack 12.11.2019

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Am 20. November 2019 ist der 30. Jahrestag der Verabschiedung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Sie definiert die Rechte aller Kinder und Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, weltweit. Etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Berücksichtigung dieser Meinung (Artikel 13) und das Recht auf Beteiligung am kulturellen und künstlerischen Leben (Artikel 31). Diese Rechte setzen junge Musikerinnen am Rande von El Alto in die Praxis um.

Von SIMONA BÖCKLER

Heute treffe ich Federico Chipana Vargas, Gründer der „Casa de la Solidaridad Proyecto de Vida“ (Haus der Solidarität Lebensprojekt), ein Kultur- und Begegnungszentrum für Kinder und Jugendliche in Ventilla, El Alto, Departement von La Paz. Ich will mehr über seine Arbeit und die Aktivitäten im Zentrum erfahren und darf Federico einen Tag lang begleiten.

Er holt mich an der Endstation der violetten Seilbahnlinie, an den Rändern der Stadt El Alto ab. Von dort fahren wir 30 Minuten mit einem Trufi (Minibus) und nehmen dann noch ein Taxi. Endlich sind wir da, in Ventilla, wo die asphaltierten Straßen aufhören und Straßenhunde das Stadtbild dominieren.

Umgebung der “Casa” (credit: Simona Böckler)

Die Peripherie von El Alto erfährt seit Jahren rasanten Zuwachs, viele Familien migrieren vom Land hier an den Stadtrand. Es handelt sich hierbei um stark sozial benachteiligte Gruppen und diejenigen, die am meisten unter diesem Strukturmangel leiden, sind Kinder und Jugendliche.

 

  • Das Projekt

Federicos Organisation ist seit 6 Jahren aktiv und aktuell in 7 Schulen des Distrikts und 3 Schulen im ländlichen Gebiet tätig. Ca. 70 Kinder und Jugendliche besuchen aktuell regelmäßig die „Casa“.

Eingang der “Casa” (credit: Simona Böckler)

Ziel seiner Arbeit ist eine Verbesserung der Lebensqualität von Kindern und Jugendliche in El Alto und der Schutz von Menschenrechten, insbesondere von Kindern. Die Organisation arbeitet solidarisch und innovativ mit der Gemeinschaft zusammen, ist transparent und inklusiv und fördert eine neue Kultur der Selbstverwaltung. Zentrale Themen sind Bildung, Gesundheit, Prävention, gesunde Ernährung, Kunst, Kultur und der Umweltschutz.

Das Team von der „Casa“ versucht soziale Probleme wie Kriminalität, Banden, Alkoholismus, Drogenkonsum, Prostitution in El Alto durch ein alternatives Bildungsangebot zu bekämpfen. Dieses beinhaltet unterschiedliche künstlerische Ausdrucksformen wie Theater, Musik, Tanz und Gesang aber auch Aktivitäten wie das Radio-Projekt, das wöchentliche Backtreffen, Müllvermeidungs- und Sammelaktionen und die Arbeit in den Gewächshäusern in den Schulen des Viertels. Kunst, Kultur und Umweltschutz werden als Werkzeug für Sensibilisierung und Empowerment der Jugend eingesetzt.

Diese Aktivitäten helfen den jugendlichen die Probleme zu benennen und zu reflektieren. Mit alternativen Bildungsprojekte und der aktiven Mitgestaltung der Jugend kann man eine verantwortungsvolle und kritische Generation ausbilden. Ich bin überzeugt, dass die Jugendlichen zentrale Akteure des sozialen und gesellschaftlichen Wandels in El Alto werden können“ erklärt Federico.

Nachmittagstreffen in der “Casa” (credit: Simona Böckler)
  • Die Rap-Musik

Ein zentrales Thema in der bolivianischen Gesellschaft und insbesondere in Randvierteln bleibt der Machismo und die häusliche Gewalt.

Kürzlich hat die „Casa“ hierzu einen Rap-Workshop angeboten. Die 6-köpfige Rapperinnen-Gruppe ist seitdem schon mehrfach im Viertel aufgetreten und hat sogar eine eigene Platte, „Ispallas aylli canto de mujeres“ (Frauengesang), herausgegeben. Die zentrale Aussage ihrer Songs: weniger Machismo und mehr Frauenrechte!

Michelle, 15 Jahre alt, ist seit 2 Monaten als Rapperin im „Proyecto de vida“ dabei und erzählt uns ein wenig über ihre Erfahrung.

Frage: Um was geht es in euren Songs genau? Und wie sind die Texte entstanden?

Die professionelle Rapperin Nina Uma hat uns beigebracht wie man über Frauen und Frauenrechte rapt, sie hat den ganzen Prozess begleitet. In unseren Songs geht es um Frauen, die keine Gleichberechtigung erfahren, die nur eingeschränkt Rechte besitzen und Gewalt erlebt haben.

Rap-Workshop (credit: Federico Chipana)

Wir haben mit unseren Müttern, Tanten und Großmütter gesprochen und sie zu ihren Erfahrungen als Frau befragt. Jede Teilnehmerin hat zu Hause Lebensgeschichten gesammelt und sie mit den anderen geteilt. Daraus sind dann die Texte entstanden. Meine Mutter hat mir zum Beispiel erzählt, dass zu ihrer Zeit Mädchen anders als Jungs behandelt wurden. Mädchen durften oft nicht in die Schule oder studieren, sie mussten zu Hause bleiben und dort helfen. Auf das Dorffest durfte sie auch nicht, nur weil sie eine Frau war.

Frage: Hat dir der Rap-Workshop gefallen? Wieso?

Rap-Workshop (credit: Federico Chipana)

Ich liebe Rap-Musik, aus diesem Grund habe ich an diesem Projekt teilnehmen wollen. Außerdem ist es sehr schön gewesen, diese Erfahrung mit anderen Mädels teilen zu können.

Ich finde es sehr wichtig, dass uns Nina ein solch starkes Ausdrucksmittel zur Hand gegeben hat, weil Frauen heutzutage immernoch nicht respektiert werden. Bestimmt hat sich die Lage über die Generationen etwas verändert, früher war die Diskriminierung bestimmt stärker, aber es ist immer noch nicht optimal, gerade hier bei uns in El Alto.

Außerdem war es sehr interessant die Lebensgeschichten der Frauen meiner Familie zu hören. Ich habe viele Dinge aus deren Leben erfahren, die ich nicht wusste und hatte die Möglichkeit die Veränderungen über die Zeit zu sehen.

Frage: Was hast du beim Rappen gelernt? Hat die Erfahrung irgendwie dein Leben verändert?

Ich fühle mich sicherer und stärker, ich habe gelernt vor einem Publikum zu stehen. Und wir haben gelernt laut und klar zu sprechen und zu singen. Zu Beginn war ich sehr schüchtern und das ist mit dem Rappen deutlich besser geworden. Nicht nur hier im Projekt, sondern auch in der Schule und in der Familie merken sie diese Veränderung. Seit dem Workshop haben wir eine bessere Kommunikation in der Familie und ich beteilige mich viel aktiver im Schulunterricht. Ich traue mir viel mehr zu, ich bin mutiger geworden!

Frage: Was denkst du zum Thema Frauenrechte? Führst du deinen Kampf hier im Viertel?

Frauen haben die gleichen Rechte wie Männer und es ist sehr wichtig, dass diese von allen Teilnehmern der Gesellschaft respektiert werden. Hier in unserer Gegend werden Frauen oft immer noch beleidigt und misshandelt. Auch Frauenmorde sind ein Thema. Das Problem ist weltweit verbreitet aber in Bolivien und hier in El Alto ist es besonders stark. All das sind Dinge, die sich dringend verändern müssen.

Meinen Möglichkeiten entsprechend kämpfe ich für mehr Respekt für Mädchen. Denn es gefällt mir nicht, es macht mich sehr traurig, wenn ich höre was manchen Frauen passiert. Ich werde weiterkämpfen, weiter für Frauenrechte und gegen den Machismo rappen.

Rap-Workshop (credit: Simona Böckler)

Federico fügt stolz hinzu, dass „der Workshop einen Raum darstellen sollte, um die Rechte der Frauen einzufordern und eine Reflexion über die Unterdrückung der Frau anzustoßen. Und das ist erfolgreich gelungen. Das Wichtige im ganzen Prozess ist, dass die Mädchen zusammen mit den Jungs das Thema der Gewalt gegen Frauen bearbeiten und reflektieren. Ziel ist durch die Verbreitung der Platte mehr Jugendliche zu sensibilisieren“.

Schließlich unterstreicht Federico noch, dass der Workshop aus unterschiedlichen Gründen eine persönliche Entwicklung der Mädchen, ihr Empowerment ermöglicht hat. Denn die Familien hätten zum Teil den Mädchen die Teilnahme nicht einfach gemacht, auch bei ihnen zu Hause ist der Machismo sehr präsent. „Ich glaube, dass sie alle sehr an den Erfahrungen im und um den Workshop gewachsen sind, und ihren Kampf für ihre Rechte im Kleinen heute gewonnen haben“.

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https://blogs.taz.de/latinorama/ispallas-aylli-canto-de-mujeres-frauengesang/

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