vonGerhard Dilger 07.07.2011

Latin@rama

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Hugo Chávez ist wieder in Caracas. Doch seine Krebserkrankung markiert einen Einschnitt im Projekt der »bolivarianischen Revolution«. Darüber können auch die pompösen Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung Venezuelas nicht hinwegtäuschen.

Zum Auftakt der »zivil-militärischen« Parade am Dienstag, auf der allerhand russische und chinesische Waffen vorgeführt wurden, hielt der Staatschef  nur eine kurze Fernsehrede. »Wir sind keine Kolonie mehr, von wem auch immer, und wir werden es nie wieder sein«, sagte Chávez. Nachmittags empfing er seine Kollegen aus Bolivien, Paraguay und Uruguay.

Er konnte und wollte den Feiertag nicht außer Landes verbringen und setzte sich offenbar auch über den Rat seines Freundes und Mentors Fidel Castro hinweg, der für einen längeren Genesungsurlaub in Kuba plädiert hatte. Am Montag, dem Tag seiner Rückkehr, hatte sich Chávez von seinen begeisterten AnhängerInnen feiern lassen. Auf dem »Balkon des Volkes« des Präsidentenpalasts stellte er klar, dass es für Entwarnung noch zu früh ist: »Niemand soll glauben, dass meine Anwesenheit bereits bedeutet, dass wir die Schlacht gewonnen haben«, rief er. »Nein, wir haben erst angefangen, das Böse zu bezwingen, das sich in meinem Körper eingenistet hat«.

Dabei müsste er sich jetzt mit voller Kraft der Regierungsarbeit widmen, denn die VenezolanerInnen stöhnen unter häufigen Stromausfällen, einer Inflation von gut 20 Prozent und der grassierenden Kriminalität. Allein der Präsident ist in der Lage, seine Sozialistische Einheitspartei Venezuelas (PSUV) zusammenzuhalten, in der sich Basisaktivisten, Pragmatiker und Bürokraten gegenüberstehen.

Eine Volkswirtschaft, die nicht nur vom Erdölexport abhängt, ein effizienter Staat, eine transparente Mitbestimmung von unten – auch im 13. Jahr der Ära Chávez sind das kaum mehr als Verheißungen. Nach wie vor müssen die meisten Lebensmittel und Konsumgüter importiert werden, die Korruption blüht. Das Konzept für den vielbeschworenen »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« bleibt nebulös, Umweltfragen etwa spielen keine Rolle. In einem Klima permanenten Wahlkampfes sind Sachdebatten Mangelware.

Mit seiner Strategie, permanent zu polarisieren und aus den sprudelnden Öleinnahmen üppige Sozialprogramme zu finanzieren, ist der Staatschef bislang zwar gut gefahren. Aber bereits bei den Parlamentswahlen 2010 bekam die rechte Opposition fast so viele Stimmen wie der Linksblock um die PSUV. Und ob der charismatische Chávez 2012 erneut zur Präsidentenwahl antreten kann, ist völlig offen. Bisher ging es ihm nie darum, einen Nachfolger aufzubauen, viele Minister sind auch bei der chavistischen Basis unbeliebt.

«Chávez ist eben nicht Superman, sondern ein Mensch, der seinen Körper missbraucht hat«, stellt die Historikerin Margarita López Maya fest, das räche sich jetzt. Vor seiner Behandlung pflegte der impulsive und hyperaktive Präsident nur vier Stunden am Tag zu schlafen. Dass er nun die strengen Anweisungen seiner Ärzte tatsächlich befolgen wird, wie er mehrfach beteuert hat, ist schwer vorstellbar. »Ohne Chávez nichts, mit Chávez alles«, sagte eine glühende Verehrerin in Caracas. Genau dies ist wohl das zentrale Problem der »bolivarianischen Revolution«.

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kommentare

  • Für die, die es nicht wissen: Jeder Arbeiter in Venezuela, der staatlich beschäftigt ist, MUSS rot tragen. Die Gesinnung liest sich an der Wäscheleine. (Yoga im Park auch nur in rot)
    Die Zahl der staatlich Beschäftigten liesst sich am Wahlergebniss.
    Auf ein Venezuela ohne Diktatoren!

  • Die Opposition ist nicht nur rechts und es enttäuscht mich diese Propaganda-Informationen zu lesen, erinnert es mich doch an unsere Geschichte. Romantische Linke, ich verstehe jetzt, und warum manche konservativ werden, weil sie dieses Wegschauen und in Zwei-Teile-Trennen nicht mehr ertragen können. Immerhin haben einige kapiert, dass etwas in diesem Land verdammt schief läuft. Auch Sie, aber was am Ende zu lesen ist: PROPAGANDA in rot. Man freut sich über jedes ausgewaschene T-Shirt. Diese Möglichkeiten sich zu widersetzen ist (noch) geblieben. Vor diesen Menschen ziehe ich den Hut.

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