vonPeter Strack 09.09.2023

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Unser Kleinbus brettert mit beachtlichem Tempo über die Schotterstraße von der ehemaligen Jesuitenreduktion San José de Chiquitos aus durch die Trockenwaldregion Richtung Norden. Es geht vorbei an alteingesessenen Chiquitano-Dörfern, aber auch Neuansiedlungen von Mennoniten oder Migranten aus dem bolivianischen Hochland. Dem Blick eröffnen sich weithin abgeholzte Acker- und Weideflächen in einer Gegend, die ich aus den 1990er Jahren noch mit dem Grün der sich bis zum Horizont ausdehnenden Wälder in Erinnerung habe. In der Reihe vor uns sitzen drei energische und anscheinend gut gelaunte Frauen. Ihr Ziel ist das 90 Kilometer entfernte Miraflores, wo der Weltkonzern China State Construction Engineering Corp. Ltd. (CSCEC) eines seiner Straßenbaulager eingerichtet hat. Über dem weht gut sichtbar neben der bolivianischen auch die chinesische Flagge. Die Arbeiten für die Asphaltierung der Überlandstrecke sind schon ein gutes Stück vorangeschritten. Kilometerweit haben Planierraupen die Erde neu aufgeschüttet.

Am Cerro San Diablo, Foto: P. Strack

Am Kilometer 69, einer Bergkette, die im Volksmund Cerro San Diáblo („Zum heiligen Teufel“) genannt wird, hat es die vorherige Nacht so viel geregnet, dass wir Passagiere aussteigen müssen, damit sich die Räder des Kleinbusses durch den Schlamm wühlen und die Reisenden die Fahrt fortsetzen können. Kurz darauf erreichen wir die ersten asphaltierten Abschnitte. Die Frauen, die immer wieder über ihr Mobiltelefon kommunizieren, wollen das Tor des Bauhofs mit den großen blauen chinesischen Schriftzeichen in Miraflores blockieren, damit der Konzern ihnen seine Schulden bezahlt.

Immer wieder mit dem chinesischen Konzern und der Straßenbaubehörde verhandelt… , Foto: Jorge M. Ferrufino

„Bis heute haben wir von dem Subunternehmen Macrovía unsere Dienstleistungen nicht bezahlt bekommen“, berichtet Mirian Calle beim improvisierten Interview im Bus. Sie hat ein kleines Hotel in San José, das an die Baufirma zur Unterbringung des Personals vermietet worden war. „Immer wieder haben wir mit der CSECEC und der verantwortlichen staatlichen Straßenbaubehörde ABC verhandelt. Bereits vor zwei Jahren haben sie uns versprochen, dass die Schulden beglichen werden. Aber bislang ist das nicht passiert. Es gibt auch Ingenieure, Catering Services, Bauarbeiter, insgesamt 52 Gläubiger, die nicht bezahlt wurden. In meinem Fall geht es um fast 30.000 US Dollar Schulden aus dem Jahr 2021 und 2022. Ich selbst konnte meine Rechnungen nicht mehr bezahlen, deshalb haben sie mir die Strom- und Wasserversorgung abgeschnitten und ich musste das Hotel schließen.

Einem Bauunternehmer schulden sie anderthalb Millionen US Dollar. Deshalb haben wir beschlossen, das Camp der Chinesen zu blockieren. Denn wenn sie Unterauftragnehmer unter Vertrag nehmen, dann sind sie auch dafür verantwortlich.“ Vor Gericht hätten sie die Schulden nicht eingefordert, weil man dafür wieder Geld für Anwaltskosten benötige, was sie nicht hätten, erklärt Calle. Schließlich würde niemand die Höhe der Schulden bestreiten, nur bezahlen würden sie sie nicht. Die staatlichen Stellen, vermutet Calle, seien zu nachlässig. Ihnen fehle es an Autorität, um das Recht durchzusetzen.

Beschlossen, das Camp zu blockieren. Ein ähnliches Einfahrtstor in San Rafaél, Foto: Jorge M. Ferrufino

Straßenbau für das Wirtschaftswachstum

Mit dem Bau von Überlandstraßen versucht der bolivianische Staat das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Allein zwischen Juli 2021 und Juli 2023 hat die Regierung dafür Neukredite in Höhe von 386 Millionen US-Dollar aufgenommen. Im Tiefland ist die Ausweitung der Agrarflächen für Zuckerrohr, Sorghum oder Soja erklärtes Ziel. Sei es, um das Rohmaterial für „grünen“ Treibstoff zu produzieren, oder die Exporteinnahmen des Binnenstaates zu erhöhen. Zwischen 2016 und 2020 hat Bolivien durchschnittlich 260.000 Hektar Wald pro Jahr verloren. Unter der aktuellen Regierung stieg diese Zahl noch einmal auf 364.00 Hektar im Jahr 2021 und 429.000 Hektar im Jahr 2022 an, von denen fast zwei Drittel Urwälder waren. Die Nachfrage nach Holz ist ebenso gestiegen, wie die nach Fleisch, in den letzten Jahren vor allem aus China. Aber auch der US-Konzern Cargill scheint, wie eine jüngste Veröffentlichung von „global witness“ brandmarkt, von den Abholzungen zu profitieren, in diesem Fall durch den Ankauf von Soja von Mennoniten-Siedlungen in der Chiquitania.

Auf den ersten Blick scheinbar endloses ungenutztes Grün, Foto aus San José: Veronika Kern

Die auf den ersten Blick endlosen und scheinbar ungenutzten Trockenwälder der Chiquitanía zwischen der Tieflandmetropole Santa Cruz und der brasilianischen Grenze sind eines der Objekte der Begierde der Wirtschaftsplanung. Die Böden der Chiquitanía sind für Plantagenwirtschaft allerdings weitgehend ungeeignet und die Erträge entsprechend mager. Das ist einer der Gründe, warum in Bolivien ein mehrfaches an Wald für das gleiche Volumen der später produzierten Soja gerodet wird. Dies ist auch an der Straße von San José de Chiquitos nach San Ignacio de Velasco zu beobachten.

Wie viel kommt vom Weltbankkredit an?

Die 206 Kilometer Schotterstraße werden derzeit asphaltiert. Das Geld für den Straßenbau hat die Weltbank dem bolivianischen Staat als Kredit zur Verfügung gestellt. Auftragnehmer ist – wie erwähnt – der chinesische Staatskonzern China State Construction Engineering (CSECEC). Der größte Baukonzern der Volksrepublik ist in über 100 Staaten der Erde tätig und hat in Bolivien unter anderem die Firma Macrovia als Unterauftragnehmer für das Bauvorhaben bestellt. Aber da auch Macrovia in Bolivien zwar über gute Kontakte in die Regierung, aber nicht über das nötige Personal und die Maschinen verfügt, wurden weitere Subunternehmer unter Vertrag genommen.

Mit den Bauarbeiten an der Überlandstraße werden lokale Subunternehmer beauftragt, Foto: P.Strack

Kein Wunder, dass nur ein Teil der im Kostenplan veranschlagten 230 Millionen USD bei denen ankommen, die die Arbeiten tatsächlich durchführen. Wo 17 Euro Tageslohn im Kostenplan für einen Arbeiter veranschlagt wurden, werden nach Schätzungen eines ehemaligen Mitarbeiters vielleicht 11 oder 10 Euro ausgezahlt. Ein Ingenieur, für den monatlich um die 700 Euro angesetzt waren, bekommt letztlich nur etwa 490. Wenn überhaupt.

„Der aktuelle Konflikt begann mit den Beschwerden einiger Arbeiter“, sagt einer von ihnen, der nicht namentlich genannt werden will. „Sie haben als Topographen, als Fahrer, als Maschinenführer oder beim Bau selbst für Subunternehmen gearbeitet, die von ‚China State‘ beauftragt worden waren. Die hatten die internationale Ausschreibung für den Straßenbau San José – San Ignacio gewonnen.“ Vor fünf Jahren sei mit den Arbeiten begonnen worden. Und immer wieder habe es Probleme wie das Ausbleiben der Bezahlung gegeben. „Es ist schon verwunderlich,“ meint der Gesprächspartner, „dass ein Unternehmen eine internationale Ausschreibung gewinnen kann, auch wenn sie selbst nicht imstande ist, die Arbeiten durchzuführen. Allerdings ist es nicht nur im Baugeschäft verbreitete Praxis, zur Verringerung der eigenen Arbeitslast so große Auftragspakete zu schnüren, dass nur Global Player für die Gesamtleitung in Betracht kommen, um dann aber lokale Subunternehmer zu beauftragen, mit denen Kredit- Auftragsgeber in der Regel nichts mehr zu tun haben.

Strassenblockade Anfang August, um austehende Zahlungen von der China State einzufordern, Foto: privat

Verzögerungen bei der Umsetzung

Es gab Streiks und Straßenblockaden, damit China State die Zahlungen übernimmt, die ihr Untervertragsnehmer Macrovía, die einen Abschnitt von 20 Kilometern und andere Aufgaben zugeteilt bekommen hatten, nach ihrer Firmenauflösung schuldig geblieben waren.“ Und Macrovía habe bei der Auftragsvergabe auch keine Sicherheit hinterlegen müssen, auf die man jetzt zurückgreifen könnte. Macrovía sei ein Scheinunternehmen gewesen, das „nicht einmal über eine Schubkarre verfügt habe“.

„Wir fordern, dass die Chinesen 100% auszahlen“. Protestaktion, Foto: Privat

Und durch die Aufteilung eines Auftrags in viele kleine Teilaufträge unter 50.000 USD habe man sich die sonst verpflichtende Ausschreibung erspart und die Aufträge direkt vergeben. Der Anteil der direkt vergebenen Aufträge hat sich überall in Bolivien in der Regierungszeit der MAS etwa vervierfacht und ist inzwischen die Regel geworden, ebenso wie ein Prozentsatz zwischen 5% und zehn oder mehr Prozent der Vertragssumme, der an das verantwortliche staatliche Personal, soziale Organisationen, die den Posten vermittelt haben oder an die Partei abgezweigt werden. „So holen sie das Geld zurück“, meint unser Gesprächspartner, „das sie im Wahlkampf ausgegeben haben.

Kein Geld für Anwälte und kein Vertrauen in die Justiz

Bereits seit zweieinhalb Jahren warte er nun auf seinen kompletten Lohn. Im Vertrag zwischen China State und der Straßenbehörde sei festgelegt, dass der chinesische Konzern nicht erfüllte Verpflichtungen der Untervertragsnehmer übernehmen müsse. Wenn ein ausländisches Privatunternehmen in Bolivien Löhne schuldig bleibt, reagieren die Arbeitsgerichte gewöhnlich. Das kann bis zur Erzwingungshaft gegen den jeweiligen Geschäftsführer gehen. Doch auch unser Gesprächspartner hat sich weder an die Weltbank gewandt, noch die Gerichte in Anspruch genommen. „Die Justiz in Bolivien ist manipuliert. Und seit zweieinhalb Jahren habe ich keine Arbeit mehr. Da ist es schwierig, einen Anwalt zu beauftragen. Denn der will sein Honorar haben. Deshalb haben wir uns lieber organisiert.“

Organisiert: „Wir bitten von der Straßenbehörde, dass sie dafür sorgt, dass China State die unterschriebenen Vereinbarungen einhält“, Foto: privat

Soziale und Umweltkomponenten mit Verspätung

In einer Pressemeldung im März hatte das Ministerium für öffentliche Bauten anlässlich eines Vor-Ort-Besuches mit Vertreter*innen der Weltbank einen Baufortschritt der Straße von 39% kommuniziert und von Gesamtkosten von umgerechnet etwa 140 Millionen Euro gesprochen. Die Verzögerungen, so der Minister damals, seien auf Blockadeaktionen der Regionalregierung und des Comité Civico von Santa Cruz zurückzuführen (siehe diesen früheren Beitrag auf latinorama). Laut einer Dokumentation der online-Zeitschrift „La guardiana“  hat es aber schon zum Baubeginn 2019 Probleme und Verzögerungen gegeben. Zwar habe man bereits im Jahr 2010 mit einzelnen Chiquitano-Gemeinden im Streckenverlauf gesprochen, dies habe aber nicht den Erfordernissen der gesetzlich vorgeschriebenen regulären Befragung aller beteiligten Gemeinden mit der nötigen Information über das Vorhaben im Vorfeld entsprochen.

Projekt zum Neubau von 32 Häusern, die in La Fortuna dem Straßenbau weichen mussten. Foto: P.Strack

Später folgten Sozialstudien, etwa um die für die Erweiterung der Trasse nötigen Umsiedlungen vorzubereiten, oder Fragen der Beeinträchtigung der Wasserversorgung zu klären. Im Ergebnis wurden 15 Millionen US für Entschädigungen, Kompensationen und Milderung der Umweltfolgen eingeplant.

Einigung nach langen Verhandlungen und Protesten

Nach langen Verhandlungen, sagt unser Gesprächspartner, an denen auch Vertreter des Konzerns mit ihren Übersetzern teilgenommen hätten, sei China State nun zur Zahlung bereit, wenn auch nur in Quoten, die bis zum nächsten Jahr ausgezahlt werden sollen. Letztlich habe China State sich mit den Unterverträgen aller sozialen Pflichten entzogen. „Wir waren nicht sozialversichert. Es gab nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen, Arbeitszeitbegrenzung und Ferientage.“ Nicht nur die Weltbank, auch China State Construction Engineering verfügen über Compliance Regeln, die einen hohen Standard für die Einhaltung der Gesetze beinhalten.

„Schluss mit Misshandlung und Lügen durch ausländische Firmen“, auch Nachts wurden die Blockaden Anfang August weitergeführt, Foto: Privat

Fehlende Kontrollen

Keine staatliche Stelle habe die Einhaltung der Arbeitsrechte kontrolliert oder die Vertragsfirmen dazu gezwungen, sagt unser Gesprächspartner. Der Subgouverneur und auch der Bürgermeister hätten sich aus dem Konflikt herausgehalten. Und da die Chinesen sich auch nicht um die Probleme gekümmert hätten, müssten sie jetzt dafür die Verantwortung übernehmen, ist er überzeugt. Immerhin habe das Comité Circunstancial, eine temporäre Supervisionskommission der betroffenen Munizipien sich der Sache angenommen und versprochen, die Anliegen bis zu einem erfolgreichen Ende zu unterstützen.

Das ursprünglich geplante Fertigstellungsdatum der Überlandstrasse ist bereits überschritten, Foto: P. Strack

Auf unserer Fahrt im Kleinbus gibt es kurz vor Miraflores in der Busreihe vor uns wieder ein Telefonat. Man sei einer Lösung mit China State nahe und die Blockade des Camps werde für heute abgesagt. Die drei Frauen steigen aus, um den nächsten Bus zurück nach San José zu nehmen. Wir fahren weiter bis zum knapp 170 Kilometer von San José entfernten San Miguel. Auch dort ist das Straßenbauprojekt ein Thema, obwohl unser Reiseanlass die Landbesetzungen und der Widerstand der Chiquitano-Gemeinden war (siehe den vorangegangenen Beitrag auf Latinorama). Ein Chiquitano berichtet besorgt davon, dass das Straßenbauunternehmen auf ihrem Gemeindeland ungefragt Müll abgeladen habe und sie nicht wüssten, was sie nun tun könnten. Sowohl Weltbank als auch der nach Umsatz weltweit größte Baukonzern dürften mit all ihrer Erfahrung auch solche Aspekte beim Projekt berücksichtigt und Korrekturmaßnahmen im Budget eingeplant haben. Die Aussagen der Betroffenen nähren jedoch Zweifel daran, dass die üblichen Beschwerdemechanismen funktionieren. Und ob die Kredite, die irgendwann vom bolivianischen Staat zurückgezahlt werden müssen, auch tatsächlich alle effizient für diese gewiss komplexe Maßnahme eingesetzt wurden.

Zum geopolitischen Hintergrund siehe auch diesen jüngsten Beitrag in der September-Ausgabe der Zeitschrift ila.

 

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