vonKnut Henkel 29.05.2015

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

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Interview mit Jens Schanze, Dokumentarfilmer, der in den letzten drei Jahren an einem ungewöhnlichen Projekt gearbeitet hat: der Begleitung einer Dorfgemeinschaft bei ihrer Umsiedlung in Kolumbien durch die Betreibergesellschaft einer Kohlemine. 170 Stunden Filmmaterial wurden bei vier mehrwöchigen Aufenthalten in und über die Dorfgemeinschaft Tamaquito gedreht und zu La Buena Vida – Das Gute Leben verarbeitet. Ein Film über den Kohlebergbau zwischen Nord und Süd: sterbende Zechen hier, boomender offener Tagebau dort.

Jens Schanze, wie gelangt man vom Rhein in den äußersten Norden Kolumbiens, in den Verwaltungsbezirk La Guajira? Dort wo Cerrejón, die größte Kohlemiene Südamerikas, auf 700 Quadratkilometern Steinkohle im offenen Tagebau fördert?

Die Frau eines Schulfreunds hat mich mit der „Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien“ in Kontakt gebracht und die war damals gerade dabei eine Recherchereise nach Kolumbien vorzubereiten. Ich bin kurzentschlossen mitgefahren und war fasziniert von den Leuten von Tamaquito, die gemeinsam für die eigene Zukunft kämpften. Für eine faire Umsiedlung mit klaren Zusagen mit dem Minenbetreiber Cerrejón verhandelte die Dorfgemeinschaft. Die Mine wird gemeinsam von den drei Bergbaukonzernen BHP Billiton, Anglo American und Glencore betrieben. Tamaquito war vollkommen anders als die anderen Dörfer, wo die Konzerne, die Dorfgemeinschaften schon zerstört hatten und die Leute schon vereinzelt und dadruch praktisch wehrlos waren. Schon während dieses ersten Besuchs entstand die Idee, den Umsiedlungsprozess in Tamaquito filmisch zu begleiten.

Ihr habt den Film in Kapitel unterteilt mit Zwischentiteln wie Wachstum, Markt – wie kam es dazu?

Wir hatten vier Drehphasen in Kolumbien über einen Zeitraum von gut 14 Mnaten. Innerhalb des Materials gibt es folgerichtig Lücken, denn natürlich ist auch etwas passiert in der Zeit, in der wir nicht da waren. So gibt es eine Szene am Anfang des Filmes, wo einer der Ältesten sagt: Wenn uns Cerrejón weiter hinhält, brechen wir den Dialog ab. Dann gibt es eine Szene, wo Jairo Fuentes sagt: Wir hatten schwere Auseinandersetzungen, es gab sogar eine Situation, wo wir den Dialog abgebrochen haben. Aber da waren wir eben nicht da und so gab es immer wieder Ereignisse, die wir nicht mitgeschnitten haben, die aber dennoch irgendwie in die Filmerzählung integriert werden müssen.

Die Kapitel strukturieren den Film und ermöglichen diese Auslassungen in der Erzählung; und der Film muss auf diese Art nicht suggerieren, dass wir den Prozess von A bis Z begleitet haben.

…und die inhaltliche Ausrichtung?

Uns erschien es wichtig, klarzustellen, dass wir, also die Menschen aus der so “entwickelten Welt” etwas mit den Vorgängen in Tamaquito zu tun haben. Das kann man schnell aus den Augen verlieren, wenn man die ganze Umsiedlungsgeschichte von Tamaquito erlebt, aber es ist nun einmal so, dass wir Teil des Problems sind. Die Kapitel geben dem Zuschauer die Möglichkeit, ab und zu einmal zurückzutreten, um zu reflektieren, was diese Ereignisse mit unserer Welt und unserer Begrifflichkeit zu tun haben.

Jens Schanze vorm Filmplakat zu La Buena VidaAuf dem Filmplakat ist eine Steckdose zu sehen, die quasi die Natur von Tamaquito einsaugt – wie kam es zu der Idee?

Dafür ist der Grafiker verantwortlich. Das ist ein plakatives Bild für den Vorgang. Die Steckdose verschlingt ja nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen, die in ihr leben.

Kohle aus Kolumbien wird immer wichtiger für die deutsche Stromversorgung. In Hamburg ist gerade erst ein Kraftwerk ans Netz gegangen, das monatlich mehrere Tausend Tonnen Steinkohle verstromt. In Kolumbien schwärmt die Regierung, dass der Bergbau sich zur Lokomotive der Wirtschaft entwickelt hat. Gibt es auch Leitplanken für den Bergbau – kümmert sich die Regierung, um Dorfgemeinschaften wie Tamaquito. Sorgt sie dafür, dass deren Rechte respektiert werden?

Wenn man die Leute aus den Comunidades befragt, ist die Antwort eindeutig: der Staat ist nicht präsent. Es spielt sich alles zwischen Unternehmen und der Dorfgemeinschaft ab. Der Staat spielt in diesen Konflikten überhaupt keine Rolle. Er glänzt durch Abwesenheit, obwohl es in Kolumbien durchaus Gesetze gibt, dei den Rechten der Minderheiten in der Bevölkerung – Indigene, Afrokolumbianer – besonderen Schutz gewähren sollen. Es gibt aber keine funktionierende, unabhängige Exekutive, die Verstöße gegen die se Gesetze angemessen verfolgt und ahndet. Ein einfaches Beispiel: Jairo, der Sprecher des Dorfes Tamaquito, bekommt seit Beginn des Konflikts Drohungen per Telefon, per e-mail….

Woher kommen diese Drohungen, von den Paramilitärs oder gibt es nicht Unterschriebenes?

Nein, dei Drohungen sind anonym. Jairo macht jedes Mal eine Anzeige bei der Polizei, denn die könnte ja nachforschen von welcher e-mail Adresse, die kommen und den Besitzer ausfindig machen. Gleiches gilt für das Mobiltelefon. Als er das zweite Mal eine Anzeige bei der Polizei machte, sagten die ihm: wir glauben Dir nicht.

Es gibt jedoch in Kolumbien eine Behörde, die überprüft, ob die anderen Behörden ihre Arbeit richtig machen – die Defensoria del Pueblo. Die hat er dann eingeschaltet die  Polizei vor Ort bekam mit einjähriger Verspätung den Hinweis, dass sie den Anzeigen von Jairo nachgehen solle. Die Untersuchungen sind allerdings mit heute ergebnislos.

Und noch ein Beispiel: während der ganzen Zeit, wo wir den Umsiedlungsprozess begleitet und gefilmt haben, sind wir nie einem Vertreter der lokalen Behörden über den Weg gelaufen. Nie – die Gemeinde ist faktisch sich selbst überlassen.

Also ist die Armee der einzige staatliche Akteur, der präsent ist?

Genau.

Wurdet Ihr Zeugen von Drohanrufen ….

Nein, während wir da waren, ging nichts ein. Die kommen unregelmäßig. Als Jairo 2013 auf Einladung der Arbeitsgruppe Schweiz Kolumbien in der Schweiz war, um auf der Aktionärsversammlung von Glencore zu sprechen, bekam seine Frau eine Nachricht: Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Das Ziel ist klar: Verunsichern, einschüchtern, Angst säen.

Wie beurteilst Du die Situation der Gemeinde und deren Perspektiven?

Die nächsten zwei Jahre sind vermutlich entscheidend. Werden die Leute in Tamaquito weiterhin durchhalten, weiter für ihre Rechte kämpfen? Wie verarbeiten sie den Schock nach der Umsiedlung? Nicht nur die Entwurzelung, sondern auch den Betrug durch den Konzern, die Vereinbarungen nicht einzuhalten, lähmt die Menschen erst mal.   Werden sie trotzdem weiter zusammenhalten? Das ist die zentrale Frage. Augenblicklich habe ich da aber ein gutes Gefühl, denn Jairo ist es gelungen, die vier anderen Dörfer an einen Tisch zu bringen und nun wird gemeinsam mit dem Konzern über die Wasserversorgung weiterverhandelt. Das ist ausgesprochen positiv, denn alle umgesiedelten Dörfer haben das gleiche Grundproblem: zu wenig und zu schlechtes Wasser.

Werden diese vier oder fünf Gemeinden von Anwälten unterstützt, sind Nichtregierungsorganisationen mit an Bord?
Es gibt die Berner „Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien“, die den Fall beobachtet und begleitet, es gibt FIAN und Powershift aus Deutschland, die im Kontakt zu der Gemeinde und weiteren Gemeinden stehen und auch Peace Brigades International sind mit den Umsiedlungsprojekten von Cerrejón vertraut. Zudem gibt es in Kolumbien ein Anwaltskollektiv, das die betroffenen Gemeinden zumindest punktuell unterstützt.

Wie bist Du dazu gekommen, dem Film zwei Szenen, zum einen die Schließung eines Kohlebergwerk und zum anderen die Sprengung eines Förderturms voranzustellen?

Die erste Szene ist die Sprengung des Förderturms der Zeche Walsum-Voerde, die zweite Szene ist die Schließung des Bergwerk West in Kamp-Lintfort im Dezember 2012, wo gesungen und Abschied genommen wird. Das war eines der letzten Kohle-Bergwerke der RAG, nun gibt es noch zwei, die in Betrieb. Sie werden 2018 geschlossen. Sprengung und Schließung waren beides Großereignisse im Revier. Sie stehen für das Ende der Kohlenbergbaus hier und die gleichzeitige Zunahme der Importe von Steinkohle, die bis 2018 auf 100 Przent des Bedarfs klettern werden.

In Kolumbien, aber auch bei Deinen vorangegangenen Filme kommst Du und Dein Team den Menschen sehr nahe – woran liegt das?

Wenn ich drehe, drehe ich immer sehr lange an einem Ort und dann entstehen Beziehungen und manchmal auch Freundschaften. Das ist in Ochsenrath (Kreis Neuss) so gewesen und ist nun auch in Kolumbien der Fall. Ich arbeite seit 15 Jahren mit Börres Weiffenbach als Kameramann zusammen. Wir haben ein ähnliches Bedürfnis am Leben der Menschen teilzunehmen und nicht nur über sie zu berichten.

Am Ende von Buena Vida kommen die harten Fakten: acht neue Kohlekraftwerke in Deutschland, die ans Netz gehen oder gehen werden und die Information eines Vorstandsvorsitzenden eines großen Energieunternehmens, der die Worte sprach, dass unsere Aktionäre um warmen sitzen und das 24 Stunden am Tag. Glückauf! Wer ist für diese markigen Worte verantwortlich?

Das war Jürgen Grossmann, der damalige Vorstandsvorsitzender von RWE bei einer seiner letzten Jahres-Hauptversammlungen. RWE, aber auch Trianel und E.on beziehen Kohle im großen Stil aus Kolumbien und von Cerrejón.

Ihr habt Jairo Fuentes zur Glencore-Aktionärsversammlung begleitet. Wie haben Sie auf den Beitrag von Jairo Fuentes reagiert und auf dessen Frage?

Im Gegensatz zu einer RWE-Aktionärsversammlung mit 5000 Leuten in der Essener Grugahalle war das eine Geisterveranstaltung. In Zug (Schweiz)  waren vielleicht fünfzig Leute im Saal, kaum mehr. Das liegt daran, dass Glencore bis vor wenigen Jahren in privater Hand war. Erst seit das Unternehmen eine Aktiengesellschaft ist, finden derartige Jahresversammlungen statt. Die sieben Herren, die dort auf dem Podium saßen, sind gleichzeitig auch Hauptaktionäre und deren Vorsitzender Ivan Glasenberg ist der größte Einzelaktionär seines Unternehmens. Das ist eine vollkommen andere Struktur als bei einem Unternehmen wie RWE, wo viele Kleinaktionäre präsent sind und isch viele Aktien im Besitz von Kommunen befinden. Für die Glencore-Leute in der Schweiz stört so ein Auftritt wie der von Jairo den Betreibsablauf. Außerdem möchte sich das Unternehmen gerne als eine Art Entwicklungshelfer für die vernachlässigten Regionen der Welt darstellen. Daher haben sie versucht Jairos Auftritt einfach zu ignorieren.

Gibt es erste Reaktionen auf den Film?

Ja, der Film ist ja auf dem Filmfestival von Cartagena gelaufen und danach hat der CEO von Glencore, Ivan Glasenberg, angekündigt Tamaquito bald besuchen zu wollen. Natürlich wäre es super all diese Besuche zu dokumentieren: was sagen die, was machen die da und machen sie Zusagen? Soweit sind wir in Tamaquito aber nicht und das ist der nächste Schritt. Wir wollen drei, vier Leute an der Kamera schulen, die den Prozess weiter dokumentieren.

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