vonKnut Henkel 21.04.2023

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Kubanische Frau in der Altstadt von Havanna. Potentiell gefährdet?

Elisbel Lamorú Monjes und Georvenia Castellanos Ramírez heißen die letzten beiden Opfer männlicher Gewalt in Kuba, die sich auf der Plattform „Yo si te Creo“ finden. Die beiden Frauen, die erste aus der Kleinstadt Nueva Paz in der Provinz Mayabeque, die zweite aus der im Osten der Insel gelegenen Stadt Santiago de Cuba sind die Nummer 25 und die Nummer 26 auf der Liste der Frauenorganisation. Die hatte zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr „nur“ neun Femizide auf ihrer Homepage aufgeführt. Nun sind es fast vier mal so viel.

Für einen Aufschrei in den sozialen Netzen hat der Mord an der 17-jährigen Leidy hervorgerufen: an einem Samstag, dem 4. Februar, war sie von einem 50-jährigen Mann bedrängt worden, hatte sich in die Polizeistation des Ortes in der Provinz Camagüey geflüchtet. Dahin folgte ihr der Täter und streckte sie mit zwei Machetenhieben nieder.

Der Mord auf einer Polizeistation hat in Kuba für landesweite Empörung gesorgt und eine Debatte ins Rollen gebracht. 36 Frauen mussten im letzten Jahr laut der Plattform „Yo si te Creo“ sterben weil sie Frauen waren. Dieses Jahr werden die Zahlen, dass ist jetzt schon absehbar, erneut steigen. Dabei – und auch das ist kaum nachzuvollziehen – müssen sich Kubas Frauen auf die Daten der Frauenorganisation „Yo Sí Te Creo“ stützen – in Ermangelung offizieller Statistiken. Die Aktivist:innen hinter dem Blog und der Instagram-Seite erhalten ihre Informationen meist von Betroffenen, Angehörigen und Nachbarschafts-Journalist:innen und arbeiten mit dem feministischen Online-Portal und Magazin Alas Tensas. Gemeinsam haben die beteiligten Organisationen 129 Frauenmorde seit 2019 registriert und die Aktivist:innen sind sich sicher, dass die tatsächliche Zahl der Opfer deutlich höher liegen dürfte.

Bisher keine spezifischen Ermittlungsabteilungen

Das ist wahrscheinlich, denn Kubas revolutionäre Polizei führt noch nicht einmal eine spezifische Statistik zu Femiziden. Das bringt die Regierung mittlerweile mehr und mehr in Erklärungsnot, denn auch wenn Frauenmorde auf der Insel noch vor ein paar Jahren kein wirkliches Thema waren, gab es nie einen Zweifel daran, dass es Machismo und sexuellen Missbrauch in Kuba gab und gibt. Die Sicherheitsorgane Kubas haben es jedoch versäumt, Gewalt gegen Frauen wie gegen die Queer-Comunity auf der Insel sichtbar zu machen: spezifische Ermittlungsabteilungen, separate Mord- und Gewaltstatistiken gibt es nicht.

Diese Lücke haben Frauen- und Queer-Organisationen gefüllt und dafür war das seit 2018 auf Kuba zugelassene inselweite Internet für Mobiltelefone entscheidend. Mit dem Netz hat sich der Informationsfluss verbessert. So wurde es erst ermöglicht, dass Aktivist:innen Gewalt gegen Frauen immer sichtbarer machen. Dafür sorgt vor allem die Arbeit von unabhängigien Frauen-Gruppen und LGBTIQ-Organisationen wie dem Red feminina de Cuba, der Online-Zeitschrit Alas Tensas und eben Yo Sí te Creo bei, die mit Seiten auf Instagram, Facebook, einem Blog und einer Notrufnummer präsent sind.

Femizide in Kuba sind seitdem nicht mehr als Einzelfälle asozialer Individuen darstellbar, wie es der kubanische Staat und die Ermittlungsbehörden lange getan haben. Verbal wurde zwar keine Toleranz für Gewalt gegen Frauen vertreten, aber die dringend notwendige Debatte über das strukturelle Patriarchat wurde quasi im Keim erstickt, so Aktivistinnen wie Laura Vargas. Kuba sei eben nicht Teil der Länder der Karibik und Lateinamerika, die Femizide als spezifisches Delikt im Strafgesetzbuch verankert und sanktioniert haben. Genau das fordern die Frauen- und Queer-Organisationen auch für Kuba.

Daran kommt die Regierung des gerade im Amt bestätigten Präsidenten Miguel Díaz-Canel nicht mehr vorbei: Anfang April bezog Díaz-Canel Stellung, verurteilte die männliche Gewalt auf der Insel und sprach von Null-Toleranz. In einer Versammlung mit 480 Funktionären aus verschiedenen Provinzen ging es um die bessere staatliche Erfassung dieser Straftaten und in der offiziellen Presse tauchten auch Artikel auf, in denen es um um ein integrales Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt ging.

Forderungen nach Krisenprotokollen und Präventionsmechanismen

Das ist eine zentrale Forderung von Organisationen wie „Yo Sí Te Creo“, denn das 2022 novellierte kubanische Familienrecht, das die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert, aber auch härtere Strafen für Gewalt gegen Frauen verhängt, greift zu kurz. Krisenprotokolle, Präventionsmechanismen, eine für Femizide sensiblere Polizei fordern Aktivist:innen wie Vargas, deren Arbeit längst nicht überall gern gesehen wird. Immer wieder wurden und werden Feministinnen von der Staatssicherheit observiert, da sie auf Defizite hinweisen, die für ein negatives Image Kubas im Ausland sorgen können, so die offizielle Sicht der Dinge. Aus dieser Perspektive werden sie schnell zu Regierungskritiker:innen. Dabei ist vollkommen klar, dass die Zahl der Frauenhäuser viel zu gering ist, dass eine spezifische Notrufnummer für Frauen fehlt und dass die Polizei oft nur spät oder gar nicht reagiert. Wie kann es sein, dass ein gewaltätiger Mann auf einer Polizeiwache eine Frau mit einer Machete ermordet, fragen sich viele Kubaner:innen und verweisen auf den Mord der 17-jährigen Leidy. Ob deren Tod letztlich zu so etwas wie einem Wendepunkt werden könnte, wagen Yo Sí Te Creo-Aktivistinnen nicht zu prognostizieren. Eines ist aber klar: die Spirale aus Schweigen und Untätigkeit scheint durchbrochen.

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