Ines Freier hat uns den folgenden Gastbeitrag geschickt:
Rio plus 20 wirft seine Schatten voraus: Das Institut für Nachhaltigkeitsstudien (IAAS) veranstaltete in Potsdam eine Vortragsreihe zu nachhaltiger Entwicklung in Lateinamerika. Eine gute Gelegenheit, eine Rückschau auf die Entwicklung des Themas in der Region zu halten…
Nach der ersten UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung 1992 beschäftigte ich mich mit Konzepten für nachhaltige Entwicklung in Lateinamerika. Die Rio-Konferenz 1992 betonte die Grenzen von Wirtschaftswachstum, Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit. In Chile brannten derweil die Wälder oder besser, was davon übrig war, wenn es nicht zu Holzschnitzeln für den Export verarbeitet wurde. Wirtschaftswachstum wurde um jeden Preis angestrebt.
Aber soziale Gerechtigkeit? Fehlanzeige. Die Gewinne aus dem Export blieben bei wenigen. Bildungs- und Gesundheitswesen waren während der Diktatur privatisiert worden – der Neoliberalismus hatte sein Experimentierfeld gefunden. Die soziale Ungleichheit innerhalb der Bevölkerung wuchs. In den anderen lateinamerikanischen Staaten sah es in den 90er Jahren ähnlich aus.
Die regionale UN-Komission CEPAL beschäftigte sich im Vorfeld der Rio-Konferenz 1992 mit dem Verhältnis von Transformation des wirtschaftlichen Systems, sozialer Gerechtigkeit und Umweltschutz, nahm prinzipiell die Idee von nachhaltiger Entwicklung auf und diskutierte ein eigenes Konzept für Nachhaltige Entwicklung in Lateinamerika. Für die praktische Politik auf dem Kontinent blieb dies zunächst folgenlos.
Durch den Einfluss der linken Regierungen im letzten Jahrzehnt hat sich die Auffassung von Entwicklung in der Region teilweise geändert. Soziale Gerechtigkeit steht bei diesen Regierungen auf der Agenda. Doch der Preis ist hoch: In Argentinien wird das Wirtschaftswachstum durch Exporte von Soja und Mineralien erreicht. In Brasilien ist der Anteil der Armen durch spezielle Programme zwar zurückgegangen – an der Verteilung des Reichtums ändert sich nichts. Beim Umweltschutz spielt das Gastgeberland der Rio-Konferenz nicht gerade eine Vorreiterrolle: Die Regierung schafft gerade Vorgaben zum Schutz des Regenwaldes ab und treibt den Bau von Staudämmen voran. Die sozialen Bewegungen werden mit Wohltaten ruhig gestellt, und die Solidarität mit den indigenen Völkern, die sich gegen den Ausverkauf der Natur stellen, bröckelt. Die soziale Gerechtigkeit – oder besser die Bekämpfung der extremen Armut – wird mit der Ausbeutung von Ressourcen erkauft.
Einen anderen Weg versucht Ecuador mit der Yasuní-Initiative zu gehen . Die Deviseneinnahmen aus der Ausbeutu
ng der Ölfelder braucht das Land dringend. Ein internationaler Fonds soll die entgangenen Einnahmen kompensieren, damit der Regenwald erhalten bleiben kann. Das Schicksal der Initiative ist allerdings ungewiss, da sich Geberländer bisher mit den Finanzierungszusagen zurückhalten.
Auch wenn sich Lateinamerika 20 Jahre nach Rio mit nachhaltiger Entwicklung beschäftigt, werden in der Region allzuoft Ressourcenschutz und soziale Gerechtigkeit gegeneinander ausgespielt. Dies trifft besonders die Armen und indigene Völker, wenn aufgrund dieses Konflikts ihre Lebensgrundlagen verschwinden. Nachhaltig ist dieses Modell noch lange nicht. Aber Deutschland kommt es sehr gelegen: Das Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung nimmt ausdrücklich den Ressourcenreichtum Lateinamerikas zum Anlass, die Beziehungen zu dem Kontinent zu verstärken.