Es war mein erster Tag in Bolivien, als ich 1978 auf dem Weg zu einem Freiwilligeneinsatz in der Chiquitanía Hugo D. Peredo Villazón zufällig auf der Plaza San Francisco in La Paz kennenlernte. Meine Spanisch- und seine Englischkenntnisse reichten nicht für ein Gespräch. So behalfen wir uns mit dem Wörterbuch. Das Kulturzentrum Portales der Patiño-Stiftung aus Cochabamba hatte ihn zum Einkauf von Musikinstrumenten nach La Paz geschickt.
Hugo begleitete damals die Forschungsarbeiten des Musikwissenschaftlers Max Peter Baumann zur traditionellen Musik in ländlichen Gemeinden des bolivianischen Berglandes. Hugo machte die Tonaufnahmen und sorgte für die Übersetzung der Lieder aus dem Quechua ins Spanische. In Berlin in der Phonothek des Iberoamerikanischen Instituts werden die Musikaufnahmen aufbewahrt. Wohl auch einer der Gründe, warum Berlin auf der Liste der zu besuchenden Orte einer viele Jahre ersehnten Europareise stand. Doch diese Reise sollte nie stattfinden.
Peredo hatte das Lehramt erlernt und auch eine Zeit lang in Villa Rivero, einem Dorf am Rande des Hochtal von Cochabamba ausgeübt. Doch seine Leidenschaft war die Kultur, sein Beruf wurde der Journalismus. Mit Kursen in der Saint Joseph’s University von Philadelphia (USA) und der Anchieta-Stiftung in São Paulo/Brasilien spezialisierte er sich in Tontechnik.
Sein Privatarchiv enthält auch frühe Aufnahmen der Musikgruppe Kjarkas. Eine davon half dieser wohl international bekanntesten Anden-Pop-Gruppe Boliviens, ein Urheberrechtsverfahren bei der deutschen Musikverwertungsgesellschaft GEMA zu gewinnen. Die Kassette des Liedes „Llorando se fue“ von Gonzalo und Ulises Hermosa wurde Anfang der 80er Jahre von -zig Busfahrern eingelegt um die langen und beschwerlichen Fahrten über noch nicht asphaltierte Straßen zu untermalen.
Fast ein Jahrzehnt später verwandelte die brasilianische Gruppe Kaoma das Lied im afrobolivianischen Saya-Rhythmus in eine Samba-Version, die in Europa unter dem Titel Lambada zum Sommerhit wurde. Dank Peredo mussten sie einen kleinen Teil der Einnahmen an die bolivianische Gruppe abtreten.
Wirken hinter den Kulissen
Wie bei der Gruppe Kjarkas war Hugo auch sonst im Hintergrund aktiv. Sei es als Journalist bei der Berichterstattung über einen Kokabauernführer, der ihn vergeblich für eine Guerrilla-Aktion zu rekrutieren versuchte und später als Präsident Boliviens für den „hermano periodista“ nicht mehr ansprechbar war. Sei es bei dem sogenannten Wasserkrieg und zahlreichen weiteren Konflikten, bei dem seine Hintergrundinformationen für viele wichtig wurden, um sich in solchen Krisen zurechtzufinden und diese heil zu überstehen.
Sei es nach der Pensionierung bei der Produktion einer CD, bei Musikfestivals, beim Aufbau von kleinen Museen, bei der Organisation der Revival-Tournee der Sängerin Zulma Yugar, oder bei den Aktivitäten der Stiftung des heute in Zürich ansässigen bolivianischen Gitarristen und Komponisten Willy Claure. Diese Stiftung widmet sich in Bolivien der Förderung der traditionellen Cueca, eine der musikalischen Lieblingsgattungen von Hugo. Die Liste der Freundinnen und Freunde auf der Facebook-Seite liest sich wie ein Who is Who der bolivianischen Kulturszene.
Die bei all den Aktivitäten angetroffenen Schwierigkeiten, in Bolivien von der Kunst zu leben, mögen ihn auch dazu bewogen haben, seine eigenen Tochter María vor ihrer inzwischen internationalen Karriere als Tänzerin erst einmal zu einem „seriösen“ Studium der Kommunikations-wissenschaften zu verdonnern.
Autodidakt mit Qualitätsansprüchen
Hugo selbst war als Journalist Autodidakt. Die ersten Stationen waren beim Radio und Fernsehen. Doch nach einer Fortbildung in den USA wuchs die Skepsis gegenüber dem Medium oder besser gesagt, den Risiken einer manipulativen Praxis des Fernsehens. In einem Interview für die Zeitschrift für Internationalen Kulturaustausch IKA in den 80er Jahren beklagte er die Abhängigkeit der bolivianischen Medien von ausländischen Produktionen mit der Verwendung vorgefertigter Produkte und in einer fremden Filmsprache. „Immer ist es am Ende ein Deutscher, der die Lösung hat“, bemerkte er zu den auch von ihm selbst mangels Möglichkeiten eigener Produktion häufig eingesetzten Filmen der Deutschen Welle.
Zwischenzeitlich hat die nationale Produktion deutlich zugenommen, vor allem mit bolivianischen Seifenopern. Auch Produktionen aus Brasilien, Mexiko und Kolumbien füllen das Programm eher, als nordamerikanische oder europäische Serien. Auch wenn sich dies mit dem Internet-Streaming und Anbietern wie Netflix wieder umzukehren scheint, wie jüngst vom Bielefelder Professor Joachim Michael auf der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lateinamerikaforschung zu hören war.
Und was die Reportagen und politischen Analysen betrifft, ist zumindest im Staatsfernsehen Russia Today heute wichtiger als die Deutsche Welle. Dabei war Hugo durchaus selbstkritisch. Er, der Tontechniker, der bei dem Spielfilm „Die Brüder Cartagena“ von Paolo Agazzi selbst dafür verantwortlich war, beschwerte sich über die mangelnde Tonqualität bei bolivianischen Filmproduktionen. Wohlwissend, dass das auch mit der technischen und finanziellen Ausstattung zu tun hat.
Interviews, die an eine Therapiestunde erinnern
In der Todesanzeige der kleinen Cochabambiner Tageszeitung Opinión, in der Hugo Peredo die letzten zwei Jahrzehnte seines Berufslebens in den unterschiedlichsten Redaktionen gearbeitet hat, wird ein Satz von Ryszard Kapuscinski zitiert, nachdem man ein guter Mensch sein muss, um guten Journalismus zu machen. Darynka Sánchez, eine junge Kollegin bei Opinión berichtet:
Seine Unterstützung für Kunstschaffende war bedingungslos. Er liebte die Musik. In seinem Tonstudio, in das er viel Zeit und Geld investiert hatte, gab es unveröffentlichte Video- und Tonafunahmen von wichtigen Sängerinnen und Sängern – ein musikalischer Schatz. Seine Interviews konnten zwei bis vier Stunden dauern. Er brachte die Interviewten dazu, sich an ihre Kindheit, ihre Träume und Enttäuschungen zu erinnern. Und wenn sie es zuließen, schenkte er ihnen Hoffnung. Viele sagten nachher, dass sie eher das Gefühl hatten, in einer Therapie als bei einem Interview gewesen zu sein.
Und häufig seien diese Gespräche der Beginn einer neuen Freundschaft gewesen. Seine Hilfsbereitschaft für Kolleg*innen, aber auch für alle, die mich nach Cochabamba besuchen kamen, war legendär.
„Er ermunterte andere immer zu wachsen“, heißt es in einem redaktionellen Artikel in Opinión, das er eher als Sprungbrett für junge Talente sah, die in die Redaktion kamen.
Ohne Konkurrenzneid fand er immer die geeigneten Worte, um den Neuling davon zu überzeugen, dass alles gut wird, und dass Journalismus zwar voller Tugenden und auch anderer nicht so tugendhafter Eigenschaften ist, aber auf jeden Fall ein Beruf sei, der die Seele erfüllt. Nie fehlte ein Wort des Zuspruchs, erinnert sich Andrés Rodríguez: ´Zum Teufel mit ihnen … mach dir keine Sorgen´. Solche Sätze waren begleitet von einem verschmitzten Lächeln und einem nach Oben gerichteten Daumen: Lass uns weiter arbeiten!
Ökonomische Grenzen für guten Journalismus
Nun ist es eine Sache, trotz der ein oder anderen Schwäche ein guter Mensch zu sein, und eine andere, ob die Umstände auch einen guten Journalismus erlauben. Tatsächlich fühlte er sich mit den Jahren immer weniger wohl bei der Arbeit. Für Leute wie ihn war eigentlich kein Platz mehr. Der wirtschaftliche Druck wurde immer größer. Bei jeder bevorstehenden Entlassungswelle kündigte Hugo an, dass es diesmal ganz bestimmt ihn treffen werde. Die Klatschspalten, für die er zeitweise zuständig war, waren ihm ein Graus. Er zog es vor, sich anschließend berichten zu lassen, statt selbst die sozialen Events zu besuchen.
Er beklagte sich, dass immer weniger Zeit für Recherche war und er einen Großteil der Beiträge aus dem Internet zusammenkopieren musste. Für die Themen, die ihn interessierten, war immer weniger Platz. Dafür gab es die Vorgabe, des auf Anzeigen der Regierung angewiesenen Blattes, mindestens einmal pro Ausgabe ein werbendes Foto des Präsidenten Evo Morales in Großformat zu platzieren. Am Ende war es Hugo selbst, der kündigte. Das Rentenalter hatte er längst erreicht. Die Renten sind allerdings auch nach einem langen Berufsleben bescheiden in Bolivien.
Hugo Peredo starb am 25. Juni im Alter von 66 Jahren an den Folgen einer Covid-Infektion. In einer Privatklinik, da die Klinik der Caja Nacional de Salud, in der er versichert war, vollkommen überlastet war und keinen Platz für ihn hatte.