vonGerhard Dilger 14.08.2025

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Peter Strack sorgt auf  latin@rama schon seit Langem für die weitaus gründlichste Bolivien-Berichterstattung im deutschsprachigen Raum. Für Schnellleser:innen liefere ich heute einen kurzen Überblick über die Lage vor den Wahlen.

Es sind harte Zeiten für die Bolivianer:innen: Das südamerikanische Land befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise, die die Präsidentschaftswahl am kommenden Sonntag überschattet. Der linke Staatschef Luis Arce, der unter dem indigenen Präsidenten Evo Morales (2006-2019) noch erfolgreicher Wirtschaftsminister war, ist sehr unbeliebt und verzichtet auf eine weitere Kandidatur. Seine und Morales‘ „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) ist gespalten.

In den Umfragen vorne liegen zwei erfahrene rechtsgerichtete Politiker: Der millionenschwere Unternehmer Samuel Doria Medina und Jorge „Tuto“ Quiroga, der 2001/02 schon einmal Präsident war. Außenseiterchancen unter den weiteren sechs Kandidaten werden am ehesten Andrónico Rodríguez (ex-MAS) eingeräumt. Fest steht laut den Umfragen nur eines: Am 19. Oktober kommt es zu einer Stichwahl.

Lange Schlangen vor den Tankstellen, Engpässe bei Speiseöl oder Brot, eine Inflation von 25 Prozent: Anders als unter Morales herrscht im heutigen Bolivien Mangelwirtschaft. Gerade 1,6 Milliarden US-Dollar brachte der Gasexport vergangenes Jahr ein – nur etwas mehr, als die Benzin- und Dieselimporte allein im ersten Halbjahr 2025 ausmachten. Auf dem Schwarzmarkt kostet der Dollar doppelt so viel wie zum offiziellen Kurs, die Auslandsschulden steigen regelmäßig weiter.

Vorbei sind die Zeiten, in denen der Internationale Währungsfonds Arces orthodoxe Wirtschaftspolitik in den höchsten Tönen lobte. Nun rächt sich, dass sich die linken Regierungen lange auf den hohen Weltmarktpreisen für Erdgas und Agrargüter ausgeruht und damit korruptionsanfällige Sozialprogramme finanziert haben.

Laut dem Umwelt- und Sozialaktivisten Pablo Solón haben sich Morales und sein Umfeld in einer „Logik der Macht“ eingerichtet. Als die Gaspreise und -reserven 2015 zurückgingen, hätten sie auf weitere „extraktivistische“ Scheinlösungen gesetzt wie große Staudämme oder die Lithiumförderung. Die MAS-Partei habe die sozialen Bewegungen mit Geld und Posten gespalten und dadurch jede Kritik von links ausgeschaltet, analysiert Solón, der in den Aufbruchsjahren Boliviens UN-Botschafter war.

„Nun bekommt das progressive Lager die Rechnung für seine Grabenkämpfe präsentiert“, urteilt auch Mario Rodríguez vom lateinamerikanischen Netzwerk „Ökosozialer und Interkultureller Pakt des Südens“. „Gespalten kann man mitten in der Wirtschaftskrise bei den Wählern nicht mehr punkten.“ Kein Wunder also, dass nahezu alle Beobachter:innen von einer Rechtswende oder vom „Ende eines Zyklus“ ausgehen.

Nach einer langen, erbitterten Fehde zwischen Morales und Arce ist das links-indigene Spektrum zerstrittener denn je. Arce sorgte dafür, dass das Verfassungsgericht der früheren Lichtgestalt Morales mit zweifelhaften Argumenten die Teilnahme an der Wahl untersagte. Der Ex-Präsident hingegen, der eine mutmaßliche Wahlfälschung 2019 und den darauffolgenden Putsch von rechts zu verantworten hat, ist weiter von seiner Unverzichtbarkeit überzeugt. Folglich ruft er die Bolivianerinnen und Bolivianer zur Wahlenthaltung auf.

Tatsächlich belegen die Umfragen, dass viele Stimmberechtigte noch unentschlossen sind. Auf dieses Potenzial setzt Andrónico Rodríguez. Der 36-Jährige gehört zu einer anderen Generation als die genannten Politiker, allesamt Mittsechziger. Als junger Kokabauern-Gewerkschafter galt er als Morales‘ Ziehsohn. Dann studierte er und ist seit fast fünf Jahren dialogfähiger Senatspräsident. Der frühere Staatschef hat sich natürlich auch mit ihm überworfen.

Zumindest sind sich alle Kandidaten einig, dass es nicht weitergehen kann wie bisher. Auch Unternehmer Doria Medina, der sich selbst als Sozialdemokraten bezeichnet, und Quiroga, der mit Argentiniens libertärem Präsidenten Javier Milei kokettiert. Beide schlagen eine wirtschaftsliberale Wende mit Marktöffnung und harten Subventions-Kürzungen vor. Rodríguez plädiert derweil für eine Ankurbelung der Wirtschaft „mit sozialer Gerechtigkeit“.

Eines sei sicher, sagt der Pädagoge und Aktivist Mario Rodríguez: „Egal, wie die Wahl am Sonntag ausgeht, im Oktober gewinnt die Rechte.“ (epd)

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