von 12.05.2009

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Gerade mal ein Jahr ist es her, da versuchte die peruanische Regierung, das Europäische Parlament (EP) mithilfe eines Antrags der Europäischen Volkspartei (EPP, Zusammenschluss der konservativen und rechten Parteien) zu instrumentalisieren, um im eigenen Land soziale Protestbewegungen und Menschenrechtsorganisationen zu kriminalisieren. Jetzt lanciert sie eine Neuauflage jener Offensive, die sie als Antiterrorkampf verkauft – und wieder stehen die Menschenrechtsorganisationen am Pranger.

Mit dem Unterschied, dass die sozialdemokratische Fraktion sich diesmal der offensichtlich manipulierten Initiative nicht verweigerte. Am 7.  Mai 2009, bei einer der letzten Abstimmungen der zu Ende gehenden Legislaturperiode, enthielten sich die meisten SozialdemokratInnen der Stimme, wohl wissend, dass sie damit der Zustimmung des Hauses insgesamt den Weg öffneten; die spanischen Sozis votierten sogar für den EPP-Vorschlag, die MRTA-Guerilla auf die EU-Liste terroristischer Vereinigungen zu setzen.

Allen Grund zur Freude: Perus Präsident Alan García

Im April 2008, im Vorfeld des EU-Lateinamerika-Gipfels der Staatschefs in der peruanischen Hauptstadt Lima, war die peruanische Regierung  schon einmal an die konservative EPP-Fraktion herangetreten, um über deren Intervention einen Paragraphen zur MRTA in einer EP-Gipfelresolution unterzubringen.

Der Europäische Rat sollte mit diesem Paragraphen aufgefordert werden, die MRTA auf die Liste der terroristischen Vereinigungen zu setzen. Denkbar knapp, mit 271 zu 275 Stimmen, wurde der entsprechende Antrag, vom spanischen PP-Abgeordneten José Ignacio Salafranca unterzeichnet, damals abgelehnt.

Der Vorsitzende der EP-Delegation für Beziehungen mit der Andengemeinschaft, der französische Grüne Alain Lipietz, hatte mit einem Brandschreiben gerade noch rechtzeitig eine hauchdünne Mehrheit der Angeordneten davon überzeugen können, dass der Antrag nichts mit Terrorbekämpfung, sehr viel aber mit der Repression von sozialen Bewegungen in Peru zu tun hatte. Denn die MRTA ist seit ihrem spektakulären Überfall auf die japanische Botschaft in Lima nicht mehr in Erscheinung getreten. Das war am 17. Dezember 1996, also vor mehr als einem Jahrzehnt.

Perus Staatspräsident Alan García war indessen über das Stimmverhalten im EP empört. Das EP lasse ihn in seinen Anstrengungen gegen den Terrorismus allein und habe sich dazu von gewissen Menschenrechtsorganisationen verführen lassen. Der Name APRODEH, einer prominenten peruanischen Menschenrechtsorganisation, fiel, und auch der von Francisco Soberón, ihrem Direktor.

Soberón ist Alan García ein steter Dorn im Auge, ist er doch einer der unermüdlichsten Aktivisten in der Kampagne zur Verurteilung von Ex-Diktator Fujimori und all der Menschenrechtsverletzer der letzten Jahrzehnte, von denen einige auch in Alan Garcías Regierung sitzen. Dass Soberón genauso unermüdlich die Menschenrechtsverletzungen durch die Guerilla anprangert, ignoriert Alan García.

Mit seiner Ablehnung des MRTA-Antrags im vergangenen Jahr vermasselte das EP dem peruanischen Präsidenten seinen Versuch, seinem rapiden Imageverlust mit einem neuen Image, nämlich dem des starken Mannes im Kampf gegen das Böse, entgegenzuwirken.

Besonders in Bergbau- und Urwaldgebieten lag und liegt er ständig in Konflikt mit protestierenden AnwohnerInnen. Verletzte und gar Tote bei Zusammenstößen mit Polizeikräften, Verhaftungen und Ausnahmezustände ramponieren seinen Ruf zusehends. Auch hierbei tritt APRODEH immer für die Rechte der sozialen Bewegungen und gegen die Regierungsübergriffe ein, was Alan García zur Weißglut bringt.

Kein Wunder, dass das EP bei García mit seinem Nein dermaßen in Ungnade fiel, dass er letztes Jahr seine Ansprache bei der Konferenzeröffnung einer zum EU-Lateinamerika-Gipfel angereisten Gruppe von rund 50 Europaabgeordneten annullierte. Ein Abendessen der Abgeordneten mit der Regierung wurde abgesagt. In den Medien wurde nur noch eine Frage diskutiert:  Behindert das EP den Antiterrorkampf der Regierung und ist APRODEH daran schuld?

Aufgrund zahlreicher Interventionen einiger Europaabgeordneter in den lokalen peruanischen Medien schienen die Wogen sich damals zunächst etwas zu glätten. Doch noch im Mai 2008 tauchte eine widerliche und brutal-aggressive anonyme Power-Point-Show auf, die APRODEH und Soberón als ideologische und materielle Erben der MRTA darstellt und suggeriert, sie würden demnächst den bewaffneten Kampf ihrer „Vorläufer“ aufnehmen.

Prompt erhielt Soberón Morddrohungen, das Büro von APRODEH wurde beschmiert. Alain Lipietz forderte in einem Brief  im Namen seiner EP-Delegation die peruanische Regierung auf, die Verfasser dieses Verleumdungswerks ausfindig zu machen und vor Gericht zu stellen.

Die peruanische Botschaft bestätigte den Empfang des Schreibens. Das war’s. Über polizeiliche oder gerichtliche Ermittlungen wurde nichts bekannt. Die Interamerikanische Menschenrechtskonvention stellte Soberón unter Schutz. Er bekam mehrere Menschenrechtspreise im Ausland.

Im Inland wurde hingegen mittels einer von einer parastaatlichen Organisation eingereichten Klage versucht, APRODEH aufzulösen. Wieder mit dem gleichen Argument: wegen möglicher Verbindungen zur MRTA. Am 24. April 2009 erst schlug das Innenministerium das Verfahren nieder. Begründung unter anderem: Laut Aussage des Gemeinsamen Kommandos der Streitkräfte existiert die MRTA seit 1996 nicht mehr. Allerdings, lässt das Innenministerium durchblicken, sei man sicher, dass die Organisationen weiterhin in sozialen und politischen Kreisen Unterwanderungsarbeit mache.

Eine Woche später war der besagte Antrag, die MRTA in die EU-Terrorliste aufzunehmen, von der peruanischen Justizministerin Rosario Fernández übermittelt und mit der Unterschrift des PP-Abgeordneten Salafranca im Europäischen Parlament eingereicht. Eigentlich ein politisches Unding und überdies auch als Antrag rein formal unzulässig, da er das Thema des betreffenden Berichts, nämlich die Lage der Menschenrechte in der Welt 2008, verfehlte.

Eine Mehrheit stimmt trotzdem dafür – und schuf damit gerade erst ein Menschenrechtsproblem. Wenige Stunde später standen Francisco Soberón und die APRODEH in der peruanischen Presse in (mutwilliger?) Verdrehung der Tatsachen als diejenigen dar, die versuchten hätten und daran gescheitert wären, die MRTA in Europa hoffähig zu machen. Kein Journalist machte sich die Mühe, herauszufinden, dass weder die APRODEH noch Francisco Soberón an der parlamentarischen Aktion inhaltlich beteiligt oder physisch präsent waren.

Schlimmer noch: der peruanische Außenminister José García Belaunde begrüßte die Annahme des Antrags in der Tageszeitung Expreso, da so bestimmte Organisationen (!), die das EP vor einem Jahr manipuliert hätten, nun von Finanzierungen aus Europa ausgeschlossen würden. Der peruanische Generalbevollmächigte für Terrorfragen, Julio Galindo, ging in der gleichen Zeitung mit seiner Verunglimpfung noch weiter: APRODEH und andere NROs betrieben Terrorismusapologie und seien nunmehr grandios gescheitert.

Dem Correo verriet er, er habe Soberón noch nie die Menschenrechte von Peruanern verteidigen sehen, die vom Terrorismus bedroht seien. Nota bene: Erst im April 2009 war Ex-Diktator Fujimori wegen Mordes und Entführung zu 25 Jahren Haft verurteilt worden – einer der Hauptmotoren des Prozesses war Soberón!

Progressive EuropaparlamentarierInnen und internationale Menschenrechtsorganisationen sind nach diesen  Drohungen höchst alarmiert. Warum der EP-Berichterstatter, der Spanier Raimon Obiols von der PSOE, noch am Vortage der Abstimmung im EP verlauten ließ, er werde seine Fraktion um Ablehnung des Antrags bitten, und dann selbst zustimmte, lässt sich wohl nur auf das Lobbying der Regierung Alan García zurückführen. Dessen APRA-Partei ist unverständlicherweise weiterhin Mitglied der Sozialistischen Internationale.

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