vonHildegard Willer 10.04.2011

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

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Wen die Peruaner lieben, den nennen sie bei Vornamen oder geben ihm oder ihr einen Spitznamen. Damit ist man sozusagen in die Familie aufgenommen, im Guten wie im Schlechten. Oft verweisen die Spitznamen auf kulturelle Stereotypen, die im multikulturellen Peru äusserst vielschichtig und dynamisch sind. Die vier aussichtsreichsten Kandidaten für die morgigen Wahlen sind von den Peruanern deswegen längst “getaggt” worden: Comandate, Cholo, China, Gringo.

Schauen wir uns an, wie die Kandidaten diese Stereotypen bewusst einsetzen oder aber sich dagegen wehren.

El “Comandante” Ollanta Humala:

Der Übername “Comandante” rührt von der militärischen Vergangenheit Humalas und erinnert positiv an seinen Putschversuch gegen den in den letzten politischen Zügen liegenden Alberto Fujimori. Vor allem die Wähler in den ländlichen Gegenden wählen Humala eben deswegen: weil sie sich von ihm die Regierung der festen Hand erhoffen, die gegen Schlendrian, Korruption und sonstige Übel vorgeht. Im negativen jedoch erinnert “Comandante” an den karibischen Gevatter Hugo Chávez und unzählige Militärdiktatoren in der peruanischen Geschichte. Und von dem will und muss sich Humala unbedingt absetzen, will er in Peru gewinnen. Seine gesamte Wahlkampfstrategie fusste also darauf, sich vom “Comandante” Image zu befreien und sich als peruanischer Lula zu präsentieren. Bisher hat diese Strategie, auch dank Beratern der brasilianischen Arbeiterpartei, hervorragend funktioniert: Humala liegt in den Umfragen weit vorn und scheint den Einzug in die zweite Runde sicher zu haben. Dementsprechend gelassen zeigt er sich in der letzten Pressekonferenz vor der Auslandspresse. Wie immer im tadellosen dunkelblauen Anzug, nur Böswillige würden die tiefrote Krawatte als Ausdruck einer politischen Gesinnung missverstehen. Ob der “Comandante” in der Stichwahl wieder zum Vorschein kommen wird ? Oder ob ihm die Peruaner bis dahin einen neuen Übernamen gefunden haben ? Davon könnte sein Wahlerfolg am 5. Juni abhängen.

Der “Gringo” Pedro Pablo Kuczynski (PPK):

PPK steht vor dem gleichen Problem wie Ollanta Humala: sein Gringo-Typ ist Segen und Fluch zugleich, will er peruanischer Präsident werden. Die wirtschaftsliberale, gut ausgebildete Oberschicht wählt ihn gerade deswegen. Sie sieht im “Gringo” den Pragmatiker, den Technokraten mit besten Beziehungen zur globalen Wirtschaftselite, den das Land ihrer Meinung nach braucht. Aber in Peru gewinnt man keine Wahlen mit der dünn gestreuten Oberschicht. Und im Volksmund ist ein “Gringo” ein Fremder, niemandem, dem man seine Frau, sein Haus oder gar sein Land anvertrauen würde. Deswegen tut PPK alles, um sein “Gringo”-Image abzuschütteln. Nun kann Ollanta Humala einfach seine Uniform ausziehen, und hoffen, dass die Leute irgendwann mal vergessen, dass er Offizier war. Aber wie soll PPK mit seinen über 1 Meter 80 und seiner weissen Hautfarbe seine Herkunft vergessen lassen ? Aus diesem Grund ist die Kampagne PPKs diejenige mit den volkstümlichsten Symbolen. Alle Banner sind in schreienden Pink-Grün-Rot-Farben gehalten, die gleichen Farben mit denen informelle Geschäfte in den Vorstädten ihre Waren anbieten. Sein Maskottchen ist ein Meerschweinchen, Delikatesse der Bergbewohner, im spanischen “Cuy” genannt. Als “PPKuys” verkleidete Werbeträger verteilen Plüsch-Cuys. Und deswegen lässt sich PPK auch ungeniert an seine Weichteile fassen (siehe vorherigen Eintrag). Ein Gringo wird er für die Peruaner immer bleiben, aber je mehr sie ihn als einen der ihren ansehen, desto mehr steigen seine Wahlchancen.
An der letzten Pressekonferenz vor den Wahlen gibt er sich siegessicher. Eben hat er den Rückhalt der regierenden Apra-Partei zugesagt bekommen. Dafür hat er Alejandro Toledo mit seinem Vorschlag einer breiten demokratischen Front eine Absage erteilt.

La “China” Keiko Fujimori

Bei Keiko spielt ihre ethnische Zugehörigkeit keine Rolle. “China” ist sie nicht wegen der japanischen Abstammung ihrer Eltern, sondern weil sie die Tochter des “Chino” ist. Und el “Chino” ist in Peru nur einer, nämlich Alberto Fujimori.
Im Gegensatz zu Humala oder PPK will Keiko nur die sein, die sie immer war: die gute Tochter. Mit dieser Wahlstrategie fährt sie bestens. Für die Anhänger ihres Vaters verkörpert sie die Politik der festen Hand – und buhlt damit um die gleiche Wählerschaft wie der “Comandante” Humala, der eigentlich keiner mehr sein will.
Zugleich spielt Keiko geschickt auf der Klaviatur der jungen Mutter und Ehefrau. Die rundliche 36-jährige verkörpert so in ihren Worten die harte Hand ihres Vaters, wie auch die Mutter, die sich um ihre Kinder (sprich das Volk) sorgt. Die Strategie geht auf. Einige Umfragen sehen Keiko als Zweitplazierte hinter Humala. Als einzige der vier Kandidaten gab sie gestern keine Konferenz für die Auslandspresse. Bei der liberal-bürgerlichen Auslandspresse, so nimmt sie wohl richtigerweise an, kann sie sowieso nicht punkten. Bei ihren Landsleuten dagegen sehr.

Der “Cholo” Alejandro Toledo

2001 hat Alejandro Toledo die Wahl gewonnen, weil er seine indianische Herkunft als “Cholo” ganz bewusst eingesetzt hat. Geschätzte 80% der Peruaner dürften “Cholos” sein, also mehr oder weniger indianische Wurzeln haben und sich dementsprechend als “Underdogs” in der peruanischen Gesellschaft fühlen. Als “Cholo aus Harvard ” verkörperte Toledo den Traum vieler Peruaner auf gesellschaftlichen Aufstieg durch Bildung. In den diesjährigen Wahlen trat er zuerst als Favorit an und muss nun um den Einzug in die Stichwahl-Runde bangen. Für viele Wähler sind die inhaltlichen Unterschiede zwischen Toledo und seinem früheren Premierminister Kuczynski nicht klar erkennbar. Toledo hat bisher vielleicht zu wenig auf sein positiv besetztes “Cholo” Image gesetzt. In seiner Abschlusskundgebung blitzte der alte “Cholo” Toledo wieder auf. Wenn die Demokratie in Peru gefährdet sei, dann würde er sich wieder seine “vincha”, das Indio-Stirnband, anziehen und die Proteste anführen, wie damals gegen Fujimori. In solchen Momenten glaubt man dem “Cholo” und man könnte fast meinen, da sei ein Inka wieder auferstanden, um gegen die Konquistadoren zu Felde zu ziehen. Mal schauen, ob es ihm am Sonntag reichen wird.

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https://blogs.taz.de/latinorama/peru_china_cholo_comandante_gringo_-_kulturelle_stereotypen_im_wahlkampf/

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kommentare

  • Peru hat in der Vergangenheit nationalistisches Militaer in der Praesidentschaft gehabt – Velasquez Alvarado und andere – welche von USA untergraben wurden. Humama wird auch von USA untergraben werden. Aber die USA von heute hat nicht mehr den Einfluss von gestern – daran koennen auch Ros-Lethinen, Connie Mack, Otto Reich und Douglas Schoen nichts mehr aendern. Wie Gelio Fregapani jetzt in “Arco de fronteiras” meint: Brasilien hat Glueck dass die USA und die NATO jetzt im Nahen Osten voll “beschaeftig” – und in diesen Sinne haette auch Humala in Peru Glueck – die USA hat zur Zeit groessere “Aufgaben” als wieder nationalistische Elemente in Peru zu untergraben!—Ihre Analysen sind sehr gut – aber typisch “german” – immer etwas negativ gegen die “Unabhaengigen” in Lateinamerika (wie Chavez) – und mit Scheuklappen damit sie nicht sehen wo die USA untergraebt. Soweit keine Wort von ihnen ueber was die USA “covertly” vollzieht um eine Wahl von Humala zu verhindern: Das waere endlich mal “journalism” anstatt der Kaffeeklatsch…

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