vonGaby Küppers 21.11.2010

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

Mehr über diesen Blog

Morde an Menschenrechtsverteidigern aus Mexiko und Finnland vor Menschenrechtsausschuss des Europäischen Parlaments

Eeva-Lena Jaakkola ist bemüht, das Positive zu sehen. Sie sei zufrieden mit ihrem Besuch in Brüssel, sagt sie. Der Unterausschuss für Menschenrechte des Europäischen Parlaments (EP) habe ihr Anliegen ernst genommen und eine Anhörung veranstaltet. Selbst führende Abgeordnete der konservativen EPP hätten Unterstützung zugesagt, EU-Kommission und die mexikanische Regierung hätten sich während der Anhörung ausführlich zu ihrem Fall geäußert. Mexiko habe sogar seinen Vizeminister für Menschenrechte geschickt. Ihr Mann Raimo sagt erst einmal nichts. Eeva-Lena und Raimo Jaakkola haben am 27. April ihren Sohn Jyri verloren.

Der 34jährige Jyri Jaakkola war Mitglied einer humanitären Karawane, die auf den Hilferuf der BewohnerInnen von San Juan Copala im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca hin beschlossenen hatte, der seit Ende vergangenen Jahres von Paramilitärs belagerten autonomen indigenen Gemeinde Nahrungsmittel, Medikamente und Wasser zu bringen. Die Karawane war der mexikanischen Regierung angekündigt worden. Jyri saß zusammen mit der mexikanischen Menschenrechtsverteidigerin Bety Cariño im ersten Auto. Als Paramilitärs kurz vor dem Ortseingang das Feuer auf die MenschenrechtlerInnen eröffneten, waren Jyri und Bety sofort tot.

Die übrigen Karawanenmitglieder konnten sich retten. Teils verletzt, irrten noch tagelang in Todesangst durch die umliegenden Wälder. Erst einen Tag später wurden die Leichen von der Polizei geborgen. Angeblich hätte die Polizei bis dahin keine Order und Erlaubnis (womöglich der Paramilitärs) erhalten, bis zum Tatort vorzustoßen. Inzwischen war die Anordnung der Autos am Tatort so verändert und präpariert worden, dass Zeugenaussagen mit der nun vorgefundenen Realität in Konflikt gerieten. Mit Absicht: ohne glaubwürdige Zeugen kein Mord.

Seither sind fast sieben Monate vergangen. Tatverdächtige wurden von der Staatsanwaltschaft der Hauptstadt, die den Fall an sich gezogen hat, nicht gefunden, keine Anklage erhoben. „Das ist das Ergebnis ihrer schlampigen Arbeit“, sagt David Peña, der mexikanische Anwalt von Jyri Jaakkola und Bety Cariño. „Der Richter hat das Dossier mangels Beweisen einfach zurückgewiesen. Jetzt machen wir als Anwälte erst einmal die Hausaufgaben der Staatsanwaltschaft und stellen für sie ein konsistentes Dossier zusammen.“ Wie Eeva-Lena und Raimo Jaakkola ist David Peña in den EP-Menschenrechtsauschuss unter Vorsitz der grünen Finnin Heidi Hautala eingeladen, um über den Stand der Untersuchungen zu berichten.

Die ebenfalls in den Ausschuss eingeladene mexikanische Regierung tut, was sie immer tut: sie schickt ein hochrangiges Mitglied, in diesem Fall Alejandro Negrín, Staatssekretär für Menschenrechtsfragen im Außenministerium, um wirkungsvoll Schaum zu schlagen. Negrín spricht von „wesentlichen Fortschritten“, „totaler Bereitschaft“ und von rekordverdächtig vielen, von Mexiko unterzeichneten, gar bei der UN in Genf initiierten internationalen Menschenrechtsabkommen. Am Ende der Anhörung lässt der Minister pompös angekündigt einen Brief des neu gewählten Gouverneurs von Oaxaca, Gabino Cué verlesen.

Er werde Straflosigkeit nicht länger dulden, lässt Gabino Cué verlauten, er werde Frieden und Gerechtigkeit fördern. Gabino Cué als Gewinner gegen den unterlegenen Kandidaten des bisherigen Amtsinhabers Ulises Ruiz von der PRI (der seit 84 Jahren herrschenden „Partei der institutionalisierten Revolution“ bei Verbot der Wiederwahl) tritt sein Amt am 1. Dezember an. „Ich würde ihm so gerne glauben, aber… “, sagt Eeva-Lena Jaakkola. Das „Aber“ erklärt ihre Schulfreundin, die ebenfalls grüne Europaabgeordnete Satu Hassi: „In Mexico werden Straftäter nicht verfolgt. Ich halte das für ein zentrales Problem, weil Straflosigkeit ein Gemeinwesen komplett zersetzt.“

Der Mord an Jyri Jaakkola und Bety Carñno sei kein isoliertes Phänomen, sondern habe System. Außer für die bundesstaatliche und die nationale Regierung sei für alle BeobachterInnen sonnenklar, dass die UBISORT genannte paramilitärische Gruppe in Oaxaca im Sold des bisherigen Gouverneurs Ulises Ruiz und hinter den Morden an Jyri und Bety und mehr als 30 indigenen Opfern in San Juan Copala allein 2010 steht.

„Man kann die Morde nicht auf einen internen Konflikt der San Juan Copala und Umgebung bewohnenden Ethnie der Triquis verkürzen, wie uns die Regierung weismachen will. Sicher gibt es drei rivalisierende Triqui-Organisationen, aber eine davon, die UBISORT, bekommt Waffen, die sonst nur die Armee trägt, und hat ausgebildete Scharfschützen “, sagt Satu Hassi. Tatjana Markus, Jyris Freundin, ergänzt: „Es gibt viele Copalas in Oaxaca.“. Oft schürten die Eliten Oaxacas Konflikte, um sich über Gewalt Macht und Pfründe zu sichern, nicht zuletzt dort, wo Bodenschätze im Spiel seien.

Satu Hassi war Ende Juni zusammen mit ihrer deutschen Fraktionskollegin Ska Keller nach Mexico/Stadt und Oaxaca gereist, um sich über den Stand der Untersuchungen nach den Morden von San Juan Copala zu informieren. „Ich war geschockt über die humanitäre Katastrophe, die sich in der belagerten Gemeinde abspielt. Kein Strom, keine Schule, keine Krankenstation. Paramilitärs, die auf jedweden schießen, der oder die das Haus verlässt. Wie kann ein Rechtsstaat das zulassen? Nach allem, was wir wissen, hat die Gewalt seit unserer Abreise sogar noch zugenommen. Der scheidende PRI-Gouverneur Ulises Ruiz räumt vor seinem Abgang gründlich auf.“

„Die Regierung hat die Pflicht, ihre Bevölkerung zu schützen“, mischt sich Raimo Jaakkola ein. „Es geht nicht nur um Jyri, es geht um ein würdiges Leben ohne Straflosigkeit aller, in Oaxaca wie in ganz Mexiko. Dazu müssen wir weiter den Druck erhöhen.“ Wie in unzähligen Orten Mexicos wäre der Fall San Juan Copala nicht schwer zu lösen. Dies verhindern tun allein Loyalitäten. Sie führen dazu, dass im Namen von Machteliten begangene Verbrechen schlicht nicht existieren. Die von letzteren ernannten Richter halten sich daran, sofern eine vorgelagerte Panne dazu führt, dass es zu einem Gerichtsverfahren kommt.

Aber soweit ist es bei Jyri Jaakola, Bety Cariño, der Ende der 90er Jahre im Norden Mexikos ermordeten Hester von Nierop und Brad Will, dem 2006 in Oaxaca Stadt ermordeten US-amerikanischen Fotografen der Aufstände gegen den soeben gewählten Gouverneur Ulises Ruiz, sowie Tausenden Einheimischen nicht einmal. Die verschiedenen Gespräche und Veranstaltungen mit den Jaakkolas, Tatjana Markus und dem Anwalt David Peña im Lauf ihrer Brüsseler Besuchswoche bringen eine Reihe neuer Aktions- und Kampagnenideen gegen die Straflosigkeit in Mexico auf den Weg; juristische Klagemöglichkeiten bei regionalen, europäischen und internationalen Instanzen werden ausgelotet und als erfolgversprechend gewertet. Man darf gespannt sein.

„Bei all dem wollen wir insbesondere eins verhindern“, sagt Satu Hassi. „Die mexikanische Staatsanwaltschaft darf keine falschen Schuldigen konstruieren, um den Fall vor der internationalen Öffentlichkeit als abgeschlossen zu deklarieren. Wir fordern Zeugenschutz.“

„Und wir unterstützen weiterhin das Ziel, weswegen unser Sohn Jyri nach Mexico gereist ist”, sagen Eeva-Lena und Raimo Jaakkola unisono: „Fairen Austausch, und nicht Handel; ein Leben in Würde, gerade für die indigene Bevölkerung und Klimagerechtigkeit“. Der 27. April soll nach dem Willen der Familie und FreundInnen der Ermordeten künftig der Internationale Tag der MenschenrechtsverteidigerInnen werden.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/latinorama/propaganda_versus_straflosigkeit_in_mexiko/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Ich vermisse in dem Artikel einen Hinweis auf die Hintergründe der Gewalt.
    Natürlich spielt es eine große Rolle, dass die Rechtsordnung dort quasi außer Kraft gesetzt ist. Die tiefere Ursache dafür ist meines Erachtens aber eindeutig in der Drogenproblematik zu suchen.

    So ist Mexico schon immer ein Transitland für Drogen, hatte aber deutlich weniger Probleme damit, als sie noch nicht den von us-amerikanischer Seite forcierten “War on Drugs” ausfochten.

    Es ist völlig normal, dass ein so gigantischer Absatzmarkt, wie die USA ihn darstellen, auch illegale Strukturen anzieht.
    Und setzt man die finanzielle Zugkraft, die der US-Markt besitzt in Relation zu den Mitteln Mexicos, sollte jedem klar sein, dass der “War on Drugs” für Mexico nur ein Sprung ins offene Messer sein kann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert