Akrobatik, intensive Tänze zwischen Techno und Folklore, Videoclips im Hintergrund und eine Geschichte zu Internetabhängigkeit, Konsumismus, Müll und Naturzerstörung stehen im Zentrum des neuen Stücks, mit dem die Jugendlichen des Teatro Trono gerade auf Europa-Tournee gehen. Schauspieler*innen, die auf Smartphones hämmern, die die althergebrachten Drachen ersetzen; Plastiktüten und Marken-Logos, die neben Jonglierbällen über die Bühne fliegen… Ser-vil ist der Titel der Performance, ein Wortspiel das auseinander geschrieben eine gemeine und skrupellose, dagegen zusammengeschrieben eine unterwürfige oder dienstbare Person bezeichnet.
Claudio Nogales, Sohn des verstorbenen Gründers des Teatro Trono füllt diese Figur im Stück in einer Weise aus, die gleichzeitig Faszination und moralische Ablehnung auszulösen vermag. Die grellen Farben der traditionellen Quechua-Trachtenelemente glänzen unter der Bühnenbeleuchtung als Neon-Spektakel, bei dem der Bösewicht die Bewohner*innen eines andinen Dorfes von den Segnungen der Konsumgesellschaft zu überzeugen sucht, dabei Wasser, Luft, Feuer und Erde verschmutzt oder verschwinden lässt und Tiere, wie die zum Publikumsliebling gekürte Viscacha, dem Tod nahe bringt.
Am 11. September war die Abschiedsvorstellung der Theatergruppe Trono vor Freund*innen und Angehörigen in ihrem Sitz in Ciudad Satélite in El Alto am Vorabend ihrer Abreise zur Kulturkarawane nach Deutschland und Dänemark.
Das deutsche Konsulat: Bürokratie statt Kulturförderung
Dass die Gruppe (hier ein Facebook Video, auf dem sie sich vorstellen) nicht schon längst in Deutschland ist, hat mit der deutschen Konsularbürokratie zu tun, erklärt Ana Salazar, die das Ensemble leitet. Früher sei alles viel einfacher gewesen. Im Mai sei der erste verfügbare Termin in der Botschaft für die Beantragung der Visa am 29. August frei gewesen, vier Tage nach dem geplanten Tourbeginn . Ein Problem nicht nur für die Theatergruppe, sondern auch die einladende Kinderkulturkarawane, die schließlich die Auftritte mit den lokalen Veranstalter*innen planen muss. Flüge müssen gekauft werden und die werden immer teurer, je näher der Reisetermin rückt. Trotz Beschwerden auch größerer Hilfswerke scheint das Auswärtige Amt, zu dessen Aufgaben die Förderung des internationalen Kulturaustausches gehört, diesen administrativen Missstand bislang nicht gelöst zu haben.
Nach vielen Nachfragen auch aus Deutschland sei endlich ein Termin vergeben worden. Und dann ging es schnell – zwei Tage für die Erteilung des Visums – berichtet Salazar schon in versöhnlichem Tonfall. Erst hätten sie gar nicht geglaubt, überhaupt wieder eingeladen zu werden, da sich das Basisprojekt im Vorfeld in drei unterschiedliche Gruppierungen aufgespalten hatte – ein für die Beteiligten schmerzhafter und für Außenstehende schwer zu durchschauender Prozess. Aber dann habe es doch geklappt. Und so kann es für die Gruppe endlich losgehen.
Markenklamotten in der Hütte
„Die Kulturkarawane hat uns um ein Stück zum Klimawandel unter Einbeziehung von Genderaspekten gebeten“, erzählt Salazar. Im Stück stellen sie den Konsumismus thematisch ins Zentrum. Ohne die große Nachfrage nach Produkten, gäbe es auch nicht die Überproduktion und die Müllproblematik. Auch in Bolivien, wenn auch vielleicht weniger als in anderen Ländern, meint Salazar.
„Viele Produkte schlechter Qualität werden hier nach Bolivien importiert und von den Leuten gekauft, weil sie billiger sind. Auch auf den Dörfern schauen die Leute ständig Werbung im Fernsehen. Und so ist verständlich, dass die jungen Leute das neueste Smartphone haben und nach der neuesten Mode gekleidet sein wollen. Im Blick auf die Figuren aus den TV-Serien vergessen sie, wer sie selbst sind. Ich habe lange in der Tieflandmetropole Santa Cruz gelebt. Meine Freundinnen dort haben Markenkleidung getragen. Aber sie wohnen in Hütten, mehrere Personen schlafen in einem Bett. Aber selbstverständlich gibt es einen Fernseher“, so Salazar.
Auf die Frage, ob Leute in Deutschland es vielleicht nicht auch leid sein können, ihr Konsumverhalten vorgehalten zu bekommen, und ablehnend reagieren könnten, antwortet Salazar, dass es ihr genauso geht: „Man sagt uns, wir sollen Wasser sparen, während sich große Unternehmen ganze Flüsse und Seen unter den Nagel reißen. Und warum sollen wir beim Johannis-Fest nicht die Holzfeuer entzünden und unsere alte Kleidung verbrennen, wie es unsere Tradition ist? Wir würden die Luft verschmutzen, heißt es. Das sollten sie den Unternehmen sagen, die das in ihren Fabriken jeden Tag und in viel größerem Umfang tun.“
Zöpfe wie von Greta Thunberg?
Auf die Frage, was dann die Botschaft des Stückes für das Publikum in Deutschland ist, räumt Salazar ein, dass die Familien, bei denen sie aufgenommen werden, zumeist ohnehin kritischer sind und bewusster leben. „Sie sorgen sich um ein gutes Leben.
Aber wenn wir in die Schulen gehen, erreichen wir natürlich ein breiteres Publikum. An alle geht die Frage, warum es so große Unterschiede gibt zwischen ihrem Leben und dem einer Nicol, die im Stück mitspielt. Und was sie selbst tun, um dieses System, in dem wir leben, zu verändern und damit die Folgen des Klimawandels in einem Land wie Bolivien nicht so heftig werden, auch wenn sie in Deutschland wahrscheinlich weniger zu spüren sind. Wir werden dann häufig auf Fridays for Future hingewiesen, auf die vielen Aktionen von Greta Thunberg. Manche sagen sogar, dass wir uns unsere Zöpfe so wie Greta flechten. Nein, das geht zu weit. Wir bewundern das Engagement dieses Mädchens in Schweden. Aber wir flechten unsere Zöpfe wie wir es schon immer getan haben. Und in Lateinamerika gibt es Tausende Gretas, die Tag für Tag gegen die Konzerne aus dem Norden für die Erhaltung der Artenvielfalt in der Amazonasregion kämpfen. Diese indigenen Gemeinden leben von der Vielfalt und deshalb schützen sie sie. Ohne in falsche Romantik zu verfallen, gibt es diese Verbindung zur und die Achtung der Natur noch bei vielen. Und jedes Jahr werden solche Gretas wegen ihres Engagements ermordet“, so Salazar (hierzu ein aktueller Beitrag in der taz).
Dialog auf Augenhöhe
Die Theatergruppe kommt keineswegs nach Deutschland, um zu belehren. Sie selbst, meint Salazar, würden sich Tag für Tag mit ihrer eigenen Rolle auseinandersetzen. Natürlich ginge es den Jugendlichen der Gruppe zu Hause wirtschaftlich nicht so gut. Aber bei der Erarbeitung des Theaterstücks hätten sie auch ihr eigenes Konsumverhalten in Frage gestellt. „Es ist gar nicht so einfach, auf einen Markenschuh zu verzichten“, erklärt Salazar. „Sie haben ihn auch nicht wirklich, sondern Kopien, aber auch das macht Eindruck auf die anderen. Und trotzdem stellen sie diese Konsummuster im Stück in Frage und damit sich selbst. Und es ist immer schön, wenn wir zum Beispiel in Deutschland auf Tournee sind und sie sich mit den deutschen Jugendlichen treffen. Die einen sprechen kein Spanisch, die anderen kein Englisch, aber irgendwie verstehen sie sich. Sie entdecken, worin sie sich ähnlich sind und worin sie sich unterscheiden. Dabei wird klar, dass man nicht als schlechte Person geboren wird, sondern das Schlechte erlernt. So viele Menschen sind ser-viles und es gibt so viel Gewalt im Miteinander. Aber im Miteinander der Jugendlichen merkt man, dass es nicht alle sind und dass es nicht die Guten auf der einen und die Bösen auf der anderen Seite gibt.“
Wer bei Teatro Trono am Ende nach dem Kampf- und Begegnungstanz des Tinku und dem Streit um die letzte halbe Flasche Wasser die Überhand bekommt, wird an dieser Stelle nicht verraten: Der er böse und dem Warenmarkt dienstbare Ser-Vil oder die Landfrau aus dem Dorf, die von Untergangsszenarien träumt? Das Stück endet jedoch mit dem Satz, dass es hier eben doch noch nicht zu Ende sei. Bei aller Ambivalenz der schillernden Hauptfigur eine klare Aufforderung an das Publikum, selbst aktiv zu werden. In Ciudad Satélite gab es zum Abschied vor der über zwei Monate dauernden Kulturkarawane erst einmal Tränen, Umarmungen und viel motivierenden Zuspruch.
Geplante öffentliche Auftritte:
15. September: Theater Gütersloh, 19:30 – 20:30
23. September: Gesamtschule Aachen Brand, 19:00 – 20:00
3. Oktober: Hamburg, Gerhard Hauptmann-Platz, 11:00 – 13:00
4. November, ab 17:00 Goldbeck-Haus, Hamburg, Finale mit allen Gruppen der Kulturkarawane
Sonstiger Tourplan (auf die lokalen Hinweise achten):
17. – 23. September, Aachen
30.9 – 1. Oktober, Bonn
4. – 6. Oktober, Gifhorn
9. – 12. Oktober, Fairtrade Stadt Landau
17. – 18. Oktober, Gymnasium Ibbenbüren
24. Oktober, Lollipop Kinderkulturzentrum Radolfzell
25. Oktober, terre des hommes Radolfzell
27. – 28. Oktober, Aschaffenburg
2. November, Ella Kulturhaus Hamburg
7. bis 18. November, Dänemark
Siehe auch die Webseite der Kinderkulturkarawane