vonPeter Strack 02.06.2019

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Früher war der Prado von La Paz die Flaniermeile. Heute ist von den Gebäuden aus dem 19. und beginnenden 20 Jahrhundert nicht mehr viel stehen geblieben. Selbst der Blick auf die majestätischen Anden, die die Stadt umrahmen und ihr ihren besonderen Charakter verleihen, ist vielerorts verstellt von Hochhäusern. Sei es das Posthochhaus mit seinem Beton-Brutalismus, oder das schon deutlich elegantere Finanzministerium, das den neuen Wohlstand im Staate repräsentiert. Wogegen das Justizministerium, das auch für die Sozialpolitik zuständig ist, weiter ein vergleichsweise bescheidenes Dasein fristet. Hinzu kommt der fast permanente Stau der vielen Fahrzeuge, die sich ihren Weg durch das schmale Tal des Stadtzentrums bahnen.

Auch die Militärhochschule ist präsent: Mit Computerspielen

Doch sonntags während der Hauptsaison von Mai bis Oktober erobern die Fußgänger den zentralen Bereich des Prado mit einem großen Kulturmarkt zurück. Der wird vom Kulturamt der Stadt organisiert. Kunsthandwerk und Essen wird verkauft, Musikgruppen bespielen diverse Bühnen, Institutionen wie die Militärhochschule präsentieren ihr Arbeit, und vor allem medizinische Fachbetriebe neben andinen Heilern ihre Produkte. Und weil internationaler Tag des Spieles ist, werden heute sogar noch mehr Spielangebote für Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene gemacht, als sonst. So wie die Sozialstiftung für Entwicklung La Paz „FUDEP“ an einem Gemeinschaftsstand der Partnerplattform der deutschen Kinderrechtsorganisation terre des hommes. Während hundert Meter weiter Kinder Büchsen zu Türmen aufbauen, reagieren die Kinder am Stand der Stiftung angestauten Ärger mit Büchsenwerfen ab. Sie lernen spielerisch ihre Körper kennen und bekommen Tips, wie sie sich vor Gewalt schützen können.

Mit dabei auch Kevin Marcelo Valle. Während nebenan ein paar Senioren und Seniorinnen zu traditioneller Livemusik Cueca tanzen, kommt der 19jährige mit Kindern ins Gespräch, die am Stand vorbeischauen.

Nadia Mendoza, Sprecherin von TaipyNATs am Stand

Er unterstützt TaipyNATs, die Organisation der arbeitenden Kinder von La Paz, der er früher selbst angehörte. Über die Spielangebote versuchen sie, Kontakt zu arbeitenden Kindern zu bekommen. „In der Organisation bekommen sie Fortbildungen, Kurse, es gibt schulische Nachhilfe. Die Kinder, mit denen wir hier am Prado in Kontakt kommen, fragen wir, ob sie andere kennen, die Hilfe benötigen und machen die Organisation bekannt,“ erklärt Valle. TaipyNATs ist ein wenig in der Krise. Hausaufgabenhilfe oder einen Mittagstisch für arbeitende Kinder gibt es hier und dort, aber die Organisation arbeitender Kinder will mehr, will Einfluss auf die staatliche Sozialpolitik nehmen. Um Kinder vor der Arbeit zu schützen, hatte das bolivianische Parlament Ende 2018 das bisherige Kinder- und Jugendgesetz wieder dahingehend geändert, dass Arbeit von unter 15jährigen praktisch wieder verboten ist (siehe Manfred Liebel in E+Z). Und die vorher im Gesetz vorgesehenen Schutzmechanismen wurden für die unter 15jährigen gleich ganz gestrichen. An der Tatsache, dass viele Kinder arbeite müssen, hat das nichts geändert.

50 Meter entfernt von den TaipyNATs ist der Stand der Erziehungsbehörde der Stadt La Paz, die heute u.a. für die schon zum Pazeñer Straßenbild gehörenden „Zebras“ zuständig sind. In den Anfangsjahren fanden hier ehemalige Straßen- und arbeitende Kinder eine geschützte Form, in dem sie als Zebra oder Esel verkleidete Straßenverkehrserzieher ihren Lebensunterhalt verdienten. Parallel bekamen sie Fortbildungen, Unterstützung bei ihren Problemen und gingen in die Schule. Heute sind alle mindestens 16 Jahre alt und bekommen nur ein Stipendium, eine Art Aufwandsentschädigung. Beliebt bei den Kindern sind sie aber wie eh und je.

Victor Hugo Orozco mit zwei Zebras

Ich frage Victo Hugo Orozco, der bei der Stadt für Bürgerbildung und damit auch für die Zebras zuständig ist, ob nicht eine Chance für Kinder vertan werde, in würdiger Form arbeiten zu können. Orozco verweist auf die rechtlichen Bestimmungen, die dies einer staatlichen Stelle verbieten. Aber auch die jetzigen Zebras, auch wenn sie Freiwilligendienst leisteten, kämen keineswegs aus behüteten Verhältnissen. Im Zebra-Kostüm seien sie kommunikativ und selbstbewusst, aber zögen sie es aus, stünden da häufig schüchterne Jugendliche mit vielen Problemen. Und bei denen versuche man sie zu unterstützen. Manche hätten nicht mehr als ein Essen pro Tag. Die Stadtverwaltung achte sehr darauf, dass sie Schule oder Ausbildung fertig machen würden. Und dass die Tätigkeit als Zebra nur eine Übergangslösung für eine richtige Beschäftigung sei, auch wenn viele Zebras so viel Spass dabei haben, dass sie dies gerne als Lebensberuf ergreifen würden. Wenn die Zebras krank würden, sei das ein Problem, eben weil sie ihnen keinen regulären Arbeitsvertrag mit Krankenversicherung geben könnten. Aber jetzt gebe es doch den SUS, wende ich ein, den jüngst von der Regierung Morales eingeführten allgemeinen kostenlosen Gesundheitsdienst für den Großteil der bolivianischen Bevölkerung, der im informellen Sektor arbeitet und keine Versicherung hat. Ein Gutteil der Zebras käme nicht aus La Paz, sondern aus der Schwesterstadt El Alto, entgegnet mir Orozco, und für die gesetzlich vorgeschriebene Erstversorgung an der nächstgelegenen Gesundheitsstation am Wohnort sei es meist zu weit. Aber auch Orozco ist der Meinung, dass das Problem lösbar sei, wenn sich die verantwortlichen Stellen zusammen setzen. Auch wenn das in Wahlkampfzeiten, dort wo die Verwaltungen von konkurrierenden Parteien geführt werden, manchmal etwas schwieriger ist. Und außerdem gäbe es auch noch die städtischen  Krankenhäuser von La Paz.

Denk nach … und handele

Auf dem Prado wechseln sich die Zebras mit anderen Abteilungen der Stadtverwaltung ab. An anderen Sonntagen geht es um Ernährung, um Schulmaterial, um Müllrecycling oder Bürgerengagement für ein friedliches Zusammenleben. Bis zu 5000 Personen kämen zu den sonntäglichen Kulturmärkten, weiß Orozco, an jeden der größeren Ständen sicher 500 pro Sonntag. Es sei für die Familien eine gute Möglichkeit, inmitten der Stadt ihre Freizeit zu verbringen und für sein Amt, Menschen zu erreichen, die sonst ihre Angebote nicht wahrnehmen.

Aber bei allen ernsten Hintergründen und Motiven bei den OrganisatorInnen: Heute ist Tag des Spielens, und das steht ganz offensichtlich bei Groß und Klein im Mittelpunkt.

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