Im Oktober vergangenen Jahres bezweifelte die bolivianische Regierung noch die von der Fundación Tierra vorgelegten Zahlen zum Umfang der Waldbrände (Latin@rama berichtetete ). Nun hat die Stiftung kurz vor Beginn der Trockenzeit eine detaillierte Analyse der Ereignisse unter dem Titel „Waldbrände 2024, Auf den Spuren des Feuers“ vorgelegt.
Ohne die Folgen des weltweiten Klimawandels kleinzureden, betonen die Autoren der Studie, dass die Waldbrände in Bolivien auch Ergebnis fehlgeleiteter staatlicher Agrarpolitik und böswilligen Handelns sind. Ziel der jüngsten von der Europäischen Union und Schweden finanzierten Veröffentlichung ist es, zu verhindern, dass Bolivien wie 2024 wieder das Land mit weltweit dem zweithöchsten Tropenwaldverlust pro Jahr wird.
Die ausgewerteten Satellitendaten ergeben 12,8 Millionen Hektar Land, das im Jahr 2024 vom Feuer heimgesucht wurde. Es sind noch deutlich mehr als die 10 Millionen Hektar, die die Regierung damals später zugegeben hatte und mehr als das Doppelte des bislang größten Katastrophenjahres 2019 (siehe diesen früheren Beitrag).

Wie damals war wieder die agroindustriell geprägte Provinz Santa Cruz mit 8,5 Millionen Hektar (68 Prozent) am stärksten betroffen, gefolgt von der Provinz Beni mit weiteren 3,5 Millionen Hektar. 60 Prozent der vom Feuer heimgesuchten Flächen waren Wälder, davon das meiste Primärwald. Der Rest waren Weideflächen oder Savannenlandschaften.
Von Brandrodung und böswillig gelegtem Feuer
Die Hauptursache ist Brandrodung zur Urbarmachung von Land oder Feuer zur Vernichtung der Bodenvegetation, die aufgrund der Trockenheit oder mangelhafter Sicherheitsmaßnahmen auf weiteres Land übergreifen. Laut Studie umfasst das das Zwölffache der Fläche, die absichtlich in Brand gesetzt wurden. Hierbei unterscheiden die Autoren noch einmal zwischen der üblichen vergleichsweise kostensparenden landwirtschaftlichen Praxis der Brandrodung oder des Abbrennens von Weideflächen (ein Drittel der betroffenen Fläche) und böswillig gelegtem Feuer auf zwei Dritteln der vom Feuer erfassten Fläche. Hinter letzterem steckt ein einfaches Motiv: Naturschutzgebiete oder Staatswälder verlieren ihren ursprünglichen Charakter, wenn die Vegetation vernichtet und nichts mehr zu schützen ist. Das erleichtert es, bei der Forstbehörde die Umwidmung des Landes in Agrarland zu beantragen. Von den Millionen im Feuer elend zugrunde gegangenen Tieren ganz zu schweigen (siehe diesen Dokumentarfilm der Stiftung Nativa aus der Perspektive von Waldhüter*innen und ehrenamtlichen Feuerwehrleuten über die Waldbrände und die Folgen für die Natur. Dessen Bilder beeindrucken auch ohne Spanischkenntnisse).

Es sind die Naturschutzgebiete, in denen in Santa Cruz im vergangenen Jahr am meisten Feuer gelegt wurde, 96 Prozent davon mit böswilliger Absicht. Verantwortlich waren vor allem Landbesetzer*innen. Von denen verfügen manche in den Übergangsgebieten sogar über eine Ansiedlungsgenehmigung der Agrarreformbehörde, wie die Autoren kritisieren. Die Mehrzahl seien jedoch illegal dort. 35% der absichtlich in Brand gesetzten Flächen in Santa Cruz befanden sich in Naturschutzgebieten.

Siedler oder Landbesetzer spielen auch eine wichtige Rolle dabei, dass die indigenen Territorien mit knapp 20 Prozent an zweiter Stelle bei den Ländereien stehen, in denen absichtlich Brände gelegt wurden, 89% davon mit böswilliger Absicht, sprich nicht unmittelbar für Ackerbau oder Viehzucht. Zwar befinden sich die indigenen Territorien im kollektiven Besitz und sind laut Gesetz unveräusserbar. Aber auch hier hat es Landvergabe durch die Agrarbehörde gegeben (siehe den Beitrag „Politik mit dem Feuer“ in Weltsichten). Eine andere Variante sind Genehmigung für die Schaffung sogenannter „interkultureller“ Gemeinden (siehe diesen früheren Beitrag auf Latinorama). Hinzu kommen ebenfalls rechtswidrige Nutzungsverträge mit Vertretern indigener Gemeinden.
Mit 14 Prozent der Flächen, auf denen absichtlich Feuer gelegt wurde, stehen die Agrarunternehmen, die von der Regierung als die Hauptverantwortlichen gebrandmarkt worden waren, erst an dritter Stelle. Auch hier gibt es jedoch wie im Fall der indigenen Territorien Brände, die von Fremden mit dem Ziel gelegt wurden, sich Land anzueignen. Während zwei Drittel der Brände – anders als in den Naturschutzgebieten – unter einem geordneten landwirtschaftlichem Handeln erfasst wurden. Die Stiftung kritisiert jedoch, dass es zumeist um die Umwandlung von Forst- oder Agroforstgebieten in landwirtschaftliche Monokulturen handelt. Dies werde durch eine laxe Genehmigungspraxis der Forstbehörde erleichtert.
Skandal um Präsidentensohn
Ein brisantes Beispiel dafür ist der Fall eines der Söhne des bolivianischen Präsidenten, der jüngst von dem lateinamerikanischen Recherche-Netzwerk CONNECTAS in eine breite Öffentlichkeit gebracht wurde. Im Jahr 2021 erhielt Rafael Ernesto Arce Mosqueira ohne die üblichen Sicherheiten einen 3,3 Millionen US-Dollar Bankkredit. Der diente dem Kauf des etwa 60 Kilometer südlich von Santa Cruz gelegenen über 2000 Hektar großen Landgut „Adam und Eva“. Damals war er gerade 25 Jahre alt. Im Schnellverfahren genehmigte ihm die Forstbehörde innerhalb einer Woche die Umwandlung von fast 1000 Hektar geschützten Waldes auf dem Grundstück für eine kombinierte Forst- und Landwirtschaft, die nur eine selektive Rodung erlaubt. Und obwohl sein Vater am 11. September vergangenen Jahres das Dekret zu einer ökologischen Pause unterzeichnet hatte, das die Brandrodung einstweilen verbietet, wurde auf dem Grundstück seines Sohnes im Oktober und November immer noch gezündelt, um weitere Flächen für den im Landnutzungsplan nicht genehmigten Soja- und Maisanbau zu schaffen, so CONNECTAS. Am Ende hatte es letztes Jahr auf einem Drittel des Grundstückes gebrannt.

Staatswälder und Neuansiedlungen
Vor der Umwidmung von „Adam und Eva“ in ein Landgut für Agroforstwirtschaft, war das Gelände noch Staatswald. Staatswälder standen laut Studie der Stiftung Tierra 2024 an vierter Stelle mit 11% der in Brand gesetzten Flächen. In der Regel für Neusiedlungen und die Umwandlung der Bodennutzung von der Waldnutzung hin zu landwirtschaftlichen Aktivitäten. Die werden von den Behörden toleriert oder sogar genehmigt, obwohl es sich um Staatsforst handelt.
Mit knapp 9% der insgesamt in Brand gesetzten Flächen schlagen schließlich die gewöhnlichen legalen Neuansiedlungen ins Gewicht. Doch dort, wie auch in den angestammten Dörfern, sowie kleinen und mittleren Landwirtschaftsbetrieben, in denen weit weniger Fläche in Brand gesetzt wurde, ist auch der Anteil der böswillig oder illegal gelegten Feuer erheblich geringer.

Ökologische Pause in Gefahr
Die Debatte darüber, ob die Siedler*innen, Landspekulanten oder die Agrarindustrie die Hauptverantwortlichen für die Waldbrände seien, sei müßig, meinen die Autoren der Studie. Die Hauptgründe der Zerstörung seien der irrationale Einsatz des Feuers. Das diene dazu, Agrarflächen auszuweiten und Wälder sowie indigene Territorien in Monokulturen zu verwandeln. Und dies wird durch die staatliche Politik unterstützt. Auch durch Gesetze, die das Abbrennen größerer Flächen erlauben und die Gründung neuer Siedlungen in vorher geschützten Zonen erleichtern. Hinzu kommt fehlende Kontrolle und die Bereitwilligkeit der Behörden, die Umwandlung abgebrannter Wälder in Anbauflächen für Monokulturen zu genehmigen.
Das Dekret zu einer „ökologischen Pause“ vom 11. September 2024 sollte diese zerstörerische Tendenz stoppen. Es beinhaltete ein Verbot jeglicher Brandrodung. Auch wurde die Nutzung bereits abgebrannter Flächen auf Staatsland für einen Zeitraum von fünf Jahren untersagt, damit die Natur sich dort regenerieren kann, um erst danach über die künftige Verwendung zu entscheiden. Fünf Jahre sind für die Regenerierung allerdings ohnehin ein viel zu kurzer Zeitraum (siehe dieses frühere Interview mit dem Brandexperten Carlos Pinto).

Hoffnung durch eine kritische Öffentlichkeit
Obwohl das Dekret auf Druck der Zivilgesellschaft und engagierter Parlamentarier*innen ursprünglich für unbeschränkte Zeit verabschiedet worden war, kündigte nun der zuständige Minister pünktlich zum Beginn der Trockenzeit an, die „ökologische Pause“ für zunächst zwei Monate auszusetzen, um den Bäuerinnen, Bauern und Agrarbetrieben die Gelegenheit für erneute Brandrodungen zu geben. Nach massivem öffentlichen Protest brach er den Vorstoß jedoch wieder ab.
Ermutigend auch ein wegweisendes Urteil des Verfassungsgerichtes von Ende Mai, dass die Landvergabe an Siedler*innen durch die Agrarreformbehörde innerhalb der indigenen Territorien der Chimane im Norden des Landes für ungültig erklärt. Es geht um nicht weniger als 54.000 Hektar Land dieses Volkes, die laut Gerichtsbeschluss nun zurückgegeben werden müssen. Zudem fordert es die Behörden auf, zu klären, wer für die illegale Landvergabe verantwortlich ist und inwieweit Korruption im Spiel gewesen sei. Es ist ein Rückschlag für Bodenspekulanten, die versuchen, durch Landbesetzungen und Abbrennen der Wälder Fakten zu schaffen, um sie sich von den Regierungsstellen nachträglich legalisieren zu lassen.