Harold Monroy hat sich heute in Schale geworfen. Er ist 16 Jahre alt und Delegierter der Versammlung der Kinder und Jugendlichen in der Stiftung Creciendo Unidos (Gemeinsam aufwachsen) in Bogotá. Die widmet sich seit vielen Jahren der Unterstützung und Organisation arbeitender Kinder.
Harold soll heute eine Rede halten, aber nicht aus Anlass des 9. Dezember, des internationalen Tags der Würde arbeitender Kinder, sondern um eine kleinen Anlage in seinem Wohnviertel Villa San Martín in den Hügeln am Rand der kolumbianischen Hauptstadt einzuweihen. Beteiligt waren Frauen, Kinder und Jugendliche aus der Nachbarschaft. Die meisten davon arbeitende oder venezolanische Flüchtlingskinder. Und der Chef des Müllsammel und -trennbetriebes von nebenan hat Werkzeuge geliehen. Eine kleine finanzielle Unterstützung bekamen sie von der Stadtverwaltung, die sich mit dem Programm „Bauten mit pädagogischem Mehrwert“ eine stärkere Bindung der Anwohner*innen zu ihrem Viertel erhofft. Bei der Umsetzung halfen die Freiwillige Blanca Lilia Rodriguez von der Stiftung Creciendo Unidos sowie Sozialarbeitsstudent*innen im Praktikum. Während der Vorbereitungen zum Festakt, bei dem Kinder noch die letzte Farbe auf den Beton aufbringen, gab es das folgende Gespräch mit Harold, für den Kinderarbeit und Kinderbeteiligung so selbstverständlich scheinen, wie für andere das tägliche Frühstück.
Was sind deine Funktionen als Kinder- und Jugenddelegierter?
Die Versammlung ist eine Art Selbstregierung der Kinder für die Kinder, auf der auch die Sprecher*innen der einzelnen Programme aus Bogotá, Tibú und Cucutá an der venezolanischen Grenze gewählt werden. Seit meinem 13. Lebensjahr bin ich Mitglied der Versammlung.
Was hat es mit der Selbstregierung auf sich? Müssen die Kinder nicht den Erwachsenen Folge leisten?
Teilweise schon. Aber es ist auch nicht so, dass Kinder nicht wüssten, was sie wollen. Wir hatten hier ganz außergewöhnliche Kinder, die von klein auf mitdenken. Wir organisieren uns um die Themen herum, die uns interessieren. Und wenn die Älteren Vorgaben machen, können die Kinder sagen, wenn es ihnen nicht gefällt. Und sie fällen in der Selbstregierung letztlich die Entscheidungen.
Seit wann beteiligst du dich an den Programmen der Stiftung?
Seit meinem sechsten Lebensjahr. Denn Creciendo Unidos hilft arbeitenden Kinder bei den Schulaufgaben. Es gibt künstlerische und kulturelle Angebote. Meine Großmutter musste sich alleine um mich und noch drei Vettern kümmern. Und damit sie sich auch um ihre Angelegenheiten kümmern konnte und wir nicht alleine zu Hause bleiben, brachte sie uns zur Stiftung. Mir hat es von klein auf gefallen, über unsere Anliegen und Politik zu diskutieren
Im Alter von sechs Jahren?
Ja, mit sechs Jahren habe ich auch angefangen, zusammen mit meinem Großvater auf dem Bau zu arbeiten. Mir hat das gefallen. Es hat mir geholfen, zu dem zu werden, der ich heute bin.
Und das hatte keine körperlichen Schäden zur Folge?
Meine Familienangehörigen haben auf mich aufgepasst, und darauf, dass ich keine schweren Arbeiten zu erledigen hatte. Ich habe Hilfsarbeiten gemacht, Sand gemischt… Mit den Jahren kamen dann auch andere, interessantere Tätigkeiten hinzu, die ich so erlernt habe, etwa Ziegel auf die Mauer zu setzen. Mir hat das so gut gefallen, dass ich wenn ich mit der Schule fertig bin, Bauingenieur studieren will.
Haben sie dir Geld für die Arbeit gezahlt?
Ja selbstverständlich. Mein Großvater.
Und bei wie vielen Häusern hier im Viertel hast du mitgebaut?
Hier im Viertel kein einziges. Aber anderswo habe ich auf drei Baustellen von Anfang bis zum Ende mitgearbeitet.
Heute, am 9. Dezember ist der internationale Tag der Würde der arbeitenden Kinder.
Das wusste ich nicht. Es gibt so viele Jahrestage!
Die Bewegung der arbeitenden Kinder hat den Tag ausgerufen.
Zur Bewegung arbeitender Kinder in Kolumbien gehören derzeit Kinder aus dem Projekt Creciendo Unidos und von Pequeño Trabajador (Kleiner Arbeiter), die auf dem Großmarkt in Bogotá Geld verdienen. Sie laden Obst und Gemüse auf und ab. Ich habe auch Kontakt mit der lateinamerikanischen Bewegung arbeitender Kinder und Jugendlicher (MOLACNATs) und hatte interessanten Austausch mit den Sprecherinnen aus Peru, aber auch mit arbeitenden Kindern von Venezuela und Bolivien. Den sie haben ähnliche Erfahrungen mit der Arbeit gemacht. Die macht die Kinder viel reifer.
Früher gabe es eine sehr restriktive Politik gegen Kinderarbeit in Kolumbien. Eltern konnten Geldstrafen bekommen.
Arbeitende Kinder wurden zur Sozialfürsorge in Heime gebracht.
Hat sich mit der neuen Regierung etwas geändert?
Das müssen wir noch abwarten. Sie haben ja gerade erst begonnen. Aber ich vertraue darauf, dass Gustavo Petro weiß, was das Volk will. Vielleicht weiß er nicht unbedingt, was die Kinder wollen, aber die Jugendlichen hat er sehr stark unterstützt. Er kümmert sich nicht nur um die, die Geld haben.
Was erwartest du von ihm?
Ab 14 Jahren darf man erwerbstätig sein. Aber dafür sind zig Genehmigungen nötig. Es ist alles sehr bürokratisch und sollte vereinfacht werden. Der Präsident sollte verstehen, dass die Kinder die Arbeit benötigen, auch wenn sie dazu nicht verpflichtet werden können. Schon in vorspanischer Zeit ist die Arbeit von Kindern ein ökonomisches Standbein der Familien gewesen. Vor allem in der Landwirtschaft. Und auch in der häuslichen Sorgearbeit. Und den unter 14jährigen sollte man auch erlauben, zu arbeiten. Natürlich keine Arbeiten, die zu viel von den Kindern verlangen.
Habt ihr versucht, Kontakt mit der Regierung oder dem neu gewählten Parlament aufzunehmen?
Mit dem Erziehungsminister der vorherigen Regierung hatten wir einen Austausch auf unserem nationalen Treffen. Und es gab diverse runde Tische mit anderen Vertreter*innen der Regierung Mitte diesen Jahres. Mit der neuen Regierung hatten wir noch keine Gelegenheit. Wir haben auch noch nicht danach gefragt. Wir schließen gerade eine Reihe von Aktivitäten ab und hatten noch keine Zeit dafür.
Zum Beispiel die Einweihung des kleinen Parks heute hier in Villa San Martin…
Ja, es ist ein Ergebnis unserer Kinderversammlung oder Selbstregierung. Und das Bürgermeisteramt hat uns dabei geholfen, das Viertel etwas zu verschönern. Der ganze Prozess hat mir viel Freude gemacht.