Landschaft im TIPNIS, Foto: Bastian Mueller, Quelle: www.eltipnisesvida.org Eigentlich schien im Oktober alles klar nach dem sechswoechigen VIII. Marsch der Tieflandvoelker, nach vergeblichen Versuchen der Regierung, den Marsch zu stoppen, und dem anschliessenden von der Mehrheit der Bevoelkerung umjubelten Einzug der Demonstranten nach La Paz. Praesident Evo Morales hoechstpersoenlich einigte sich “von Indígena zu Indígena”, und ohne laestige Einmischung von Umweltorganisationen, auf ein Gesetz zum Schutz des indigenen Territoriums und Naturschutzgebiet Isiboro Securé (TIPNIS), und schloss den urspruenglich geplanten Bau einer Ueberlandstrasse mitten durchs Herz dieser gruenen Lunge definitiv aus.
Doch dabei hatte er die Rechnung ohne seine wichtigste Basis gemacht, die Organisation der Kokabauern im Chapare. Gemeinsam mit den inzwischen auf Individualbesitz statt indigenem Gemeinschaftsland und den Kokabauerngewerkschaften angeschlossenen Gemeinden im sogenannten Poligono 7, das wie eine Nase in den TIPNIS hineinragt, organisierten sie einen Gegenmarsch nach La Paz. Ergebnis: Ein Gesetz, dass die lange versaeumte Befragung der Gemeinden zum Strassenbau auf den Weg bringen sollte, obwohl die Antwort der Mehrheit der angestammten Bewohner des TIPNIS mit wiederholten Beschluessen schon klargestellt war.
Es folgten intensive Bemuehungen der Regierung , einzelne Gemeinde umzustimmen, einzelne Sprecher der Organisationen von den Vorteilen eines Strassenbaus in Form von umfangreichen Entwicklungsprogrammen zu ueberzeugen, die eine Kooperation mit der Regierung bringen wuerde. Es gab zum Teil erfolgreiche Versuche, indigene Organisationen auf ihre Seite zu bringen oder Paralellorganisationen zu gruenden. Begleitet wurde all dies von der Verteilung von Aussenbordmotoren und anderem hilfreichen Geraet.
Sicher nicht fuer die Verwendung auf der Strasse: Verteilung von Aussenbordmotoren durch die Regierung, Quelle: Presidencia del Estado Plurinacional de Bolivia Kein Versuch der Beeinflussung, wie Evo Morales immer wieder betonte, sondern ein Recht der Voelker des TIPNIS, die viel zu lange auch von der MAS-Regierung vernachlaessigt worden seien. Doch Ziel war offensichtlich, die Menschen fuer das Strassenprojekt zu gewinnen und davon abzubringen, sich am geplanten neuerlichen IX Marsch der Indigenen zu beteiligen, der nun am 25. April starten soll.
Angesichts der Tatsache, dass sich auch in den Staedten viele fuer den Schutz der indigenen Kulturen und der Gruenen Lunge TIPNIS engagieren , weil die Zone zum Symbol des Widerstands gegen ein staatlichen Wirtschaftskonzept geworden ist, das auf die Verteilung von Guetern und Transferleistungen aus dem Raubbau der Natur setzt, ist die Rhetorik der Regierung offener geworden. Offiziell wird auch das Demonstrationsrecht nicht mehr in Frage gestellt. Vizepraesident Alvaro Garcìa Linera, der bis heute die versprochene Aufklaerung ueber die gewaltsame Repression des letzten Marsches schuldig bleibt, versprach sogar, das Demonstrationsrecht aktiv zu schuetzen. Das Befragungsgesetz soll auf Empfehlung der UNO noch einmal veraendert werden, um den Zeitdruck herauszunehmen. Doch klar ist, dass eine Konsultation nach den Braeuchen und Regeln der indigenen Gemeinden aus dem TIPNIS , vielleicht weniger eindeutige Ergebenisse, aber bezueglich des Strassenbaus keinen neuen Entscheidungsstand bringen wuerde.
Mapajo-Baum, Foto: Alan Lisperguer, Quelle: www.eltipnisesvida.org Klar ist auch, dass es im TIPNIS um die Ausweitung der Grenzen einer weitgehend monokulturellen und exportorientierten Landwirtschaft geht, zu der der Koka-Komplex gehoert. Klar ist auch, dass trotz Versprechens von strengen Kontrollen gegen wilde Siedlungen und dem Bau einer „oekologischen Ueberlandstrasse“ mit deren Bau Natur und Kulturen unwiderbringlich geschaedigt wuerden. Schon jetzt sind Landtitel am geplanten Streckenverlauf fuer neue Siedler vergeben.
Fuer Vizepraesident Alvaro García Linera ist es gleichwohl nicht mehr als ein fuer neue gesellschaftliche Konstellationen gewoehnlicher Verteilungskonflikt, wie er in einem Interview gegenueber der Tageszeitung Los Tiempos zum Ausdruck brachte. Gehoere das Naturschutzgebiet allein den Indigenen? Waere es nur das, die Sache waere klar.
Nein, sagen selbst die Gegner des Strassenbaus, der TIPNIS sei Gemeingut aller Bolivianerinnen und Bolivianer. Warum kaempfen die Siedler in diesem Konflikt gegen die indigenen, auf Selbstversorgung ausgerichteten Indigenas, die Leben und Natur gegen den Schlund des Kapitalismus verteidigen?
Harte Bandagen: Diese Strassenblockade in San Ignacio de Moxos soll die Indigenas hindern, zum Startort des IX Marsches zu kommen Foto: El Deber Warum legten sie sich nicht stattdessen mit Grossgrundbesitzern und mit der Agroindustrie an, warum treibe die Regierung die in der Verfassung vorgesehene Agrarreform nicht weiter, fragt Raul Prada , ehemaliger Vizeminister von Morales im Planungsministerium und heute einer der groessten Kritiker des “Neuen Extraktivismus”. Warum haenge die Regierung alten weltmarktorientierten Modernisierungsmodellen an , und vertraue nicht auf die in den traditionellen indigenen Gemeinden praktizierten Alternativen?
Auch wenn heute innerhalb der indigenen Organisationen mehr Brueche zu beobachten sind, als noch im Oktober, auch wenn der Diskurs der Regierung, wie auch der Regierungsmedien im Vorfeld des IX. Marsches offener geworden ist. Hinter den Kulissen – und zum Teil auch offen wie bei einem Ueberfall auf ein Radio der Indigenas am “Tag der Erde” – wird mit harten Bandagen gearbeitet, was die ohnehin geringe Verhandlungsbereitschaft der Strassenbaugegner nicht gerade foerdert. Klar scheint wenige Tage vor dem Start des Marsches vor allem die Konfliktlage.
[…] Vargas, Sprecher der TIPNIS-Gemeinden gestern bei seiner Rede an den Praesidenten, der dann wieder gegen das Gesetz mobilisiert habe, fuer dessen Gueltigkeit der 9. Marsch erneut gestartet […]