vonKnut Henkel 04.11.2010

Latin@rama

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Mexikos Bevölkerung wird immer dicker. Jeder und jede zweite zwischen Ciudad Juárez und Tapachula hat deutlich zu viel auf den Rippen. Das betrifft auch Mexikos Polizei. Die ist seit einigen Monaten auf Diät gesetzt.

Teniente José García steht an der Ecke des Zócola und weist den Radfahrern schwitzend den Weg. Die Trillerpfeife droht beinahe zwischen den fleischigen Lippen des Beamten zu verschwinden. Die Uniform umspannt den Leib des Mannes von Mitte dreißig und überaus eng sitzt sie auf den gut gepolsterten Hüften. Auch die Kollegin mit den bunt lackierten Fingernägeln, die mit mitleidigem Blick und Unverständnis die Fahrradfahrer an sich vorbeirauschen lässt, ist ausgesprochen proper. „Jeden Sonntag ist das so und wir werden langsam mehr“, sagt Javier Orepo, einer der wenigen passionierten Fahrradfahrer in Mexiko Stadt Der hagere Mann mit dem Pferdeschwanz fährt auch unter der Woche Drahtesel und gehört damit zu einer seltenen Spezie. Bewegung ist nicht nur unter Mexikos Polizisten wenig angesagt. Die fahren zum Dienst, verrichten ihren Dienst in den schmucken bläulich-schwarzen Uniformen in aller Regel motorisiert und sind wie das Gros ihrer Landleute Freunde des reichhaltigen Essens.

Hier ein Taco, dort eine Tortilla und dazwischen eine Torta, so lautet das Rezept für das Hüftgold, das sich das Gros der Mexikaner in den letzten Jahren angefuttert haben. Siebzig Prozent der Kinder zwischen Chiapas und Chihuahua sind übergewichtig und bei den Erwachsenen sieht es nicht viel besser aus. Bestes Beispiel sind die 450 Kilo, die Luis Garza Ramírez aus Nuevo León auf die Waage brachte und die ihm einen Eintrag im Guinness Buch  der Rekorde einbrachte. Ein trauriger Rekord, denn Luis Garza ist mittlerweile an Magenprobleme gestorben und dieses Schicksal droht einer ganzen Reihe von Mexikanern, die sich auf der Liste der Superdicken befinden. Die und der generelle Trend zur Leibesfülle stellt das mexikanische Gesundheitssystem vor immer größere Probleme. Daher hat sich bereits im Januar Mexikos Staatspräsident des Themas angenommen und ein offizielles Regierungsprogramm zur Bekämpfung der Fettleibigkeit vorgestellt. Da waren die ersten Diätprogramme für die 1300 schwersten Beamten von Mexiko Stadt bereits gescheitert. Also zog der Polizeipräsident von Mexiko Stadt nach und ließ den Kaloriengehalt des Kantinenessens reduzieren – weniger ist mehr ist nun das Motto.

Teniente José García gefällt das gar nicht – er will auf Taco und Co. nicht verzichten. Immerhin ist der Beamte so einsichtig, dass er bei den Softdrinks auf Enthaltsamkeit setzen will – die gehörten früher wie die Dienstpistole zur Arbeit. Bisher hat Mexiko den höchsten Coca-Cola Konsum der Welt und die süße Plörre soll, so Gesundheitsminister José Angel Córdova alsbald aus Schulen, Krankenhäusern und öffentlichen Einrichtungen verschwinden. Dazu gehören auch die Kantinen, wo Plakate des Bürgermeisters von Mexiko Stadt bereits für den Gebrauch des Fahrrads werben. In Mexiko wird das zwar oft noch naserümpfend zur Kenntnis genommen, aber Fahrradpioniere wie Javier Orepo den öffentlichen Raum und in drei Stadtvierteln von Mexiko Stadt stehen seit einigen Monaten Leihfahrräder an öffentlichen Plätzen zur Verfügung. Zwangsläufig müssen nun auch die Señores policias, die Polizisten auf den Sattel. Das verlangt auch die speziell ausgebildete Polizeitruppe „Atlas“. Die hilft seit Mitte Juni den übergewichtigen Kollegen der Hauptstadt überflüssige Kilos abzubauen – mit psychologischer Unterstützung. Und dick fängt man schließlich auch kaum Verbrecher.

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