vonClaudius Prößer 25.10.2008

latin@rama

Seit 2008 Nachrichten vom anderen Ende der Welt und anderswoher.

Mehr über diesen Blog

Bis vor ein paar Wochen galt es nicht nur innerhalb der chilenischen Rechten als ausgemacht, dass der Geschäftsmann und Großaktionär Se­bastián Piñera (LAN, Chilevision) die Präsidentschaftswahl im De­zem­ber 2009 haushoch gewinnen würde. Die seit fast 20 Jahren regierende christdemokratisch-sozialistische Concertación gilt weiten Kreisen als ausgelaugt, selbstbezogen, wenn nicht gar korrupt. Piñera ist zwar ein Mann, dem Gier und Geltungssucht ins Gesicht geschrieben stehen, aber offenbar gilt für viele die Devise, dass einer, der sowieso im Geld schwimmt, nicht auch noch als Präsident die Bürger bestehlen muss.

Jetzt hat Piñera unverhofft Konkurrenz bekommen – eine, die für ihn mit un­gu­ten Erinnerungen behaftet ist. Weil Piñeras Partei Renovación Na­cio­nal ihren Verbündeten und ewigen Rivalen, die UDI, in einer wichtigen Personalie düpierte, hat letztere zurückgeschossen und Evelyn Matthei ins Rennen geschickt – wenn auch nicht offiziell. Die blonde Senatorin ist die Tochter des deutschstämmigen Luftwaffengenerals Fernando Matthei, zwischen 1978 und 1990 Mitglied von Pinochets Junta.

Das ist Matthei (kein aktuelles Video)

Pikant am möglichen Duell Piñera-Matthei ist ihre gemeinsame Ge­schich­te. Im Vorfeld der Wahlen von 1993 waren schon einmal beider Na­men im Spiel – bis in einer live übertragenen Talkshow ein heimlich mit­ge­schnit­te­nes Telefonat Piñeras vorgespielt wurde, in dem dieser er­läu­ter­te, wie das Image seiner Kontrahentin nachhaltig zu zerstören sei. Am heftigsten auf die Füße fiel diese Episode schließlich Matthei selbst, die den Auftrag gegeben hatte, Piñeras Mobiltelefon abzuhören. Die Episode ist den meisten Chilenen bis heute als Piñeragate in guter Er­in­ne­rung.

Die chilenische Rechte ist für ihre internen Schlammschlachten be­rüch­tigt, das macht sie so sympathisch.  Im weiterhin nicht sehr wahr­schein­li­chen Fall, dass eine Kandidatin Matthei Ende 2009 die Wahl ge­win­nen sollte, würde die Tochter eines Luftwaffengenerals die Tochter ei­nes Luftwaffengenerals im Präsidentenpalast ablösen. Der andere, Al­ber­to Ba­che­let, war loyal zu Allende und wurde nach dem Putsch mehrfach verhaftet und gefoltert. Er starb nach einem Verhör im März 1974.

(Hier ein offener Brief, den die Menschenrechtsorganisation Codepu 2006 an Evelyn Matthei adressierte, um sie über die Verwicklung ihres Vaters in die Verbrechen der Diktatur „aufzuklären“.)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/latinorama/ungute_erinnerungen/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert