vonClaudius Prößer 23.10.2008

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Der Lachs gilt als Schwein des Meeres, weil man den gefräßigen Fisch in kurzer Zeit und Gefangenschaft auf ein stattliches Gewicht mästen kann. Die Lachs­far­men Südchiles, in Buchten, Fjorden und (je nach Ent­wick­lungs­sta­dium der Tiere) Seen der Region kann man aber auch gut und gerne mit der industriellen Hühner­zucht vergleichen: Hun­dert­tau­sen­de dicke, silbrige Leiber verschlingen ir­gend­wo unten im Wasser in enge Netze gepfercht ihr Kraftfutter. Oben sieht man nicht viel davon, nur ein paar rechteckige oder runde, mit Stegen verbundene Strukturen, die auf den blauen Wellen dümpeln. Und doch ist Chile heute nach Norwegen zweit­größter Lachsexporteur der Welt.
Der Lachs hat Puerto Montt und der Umgebung ungeahnten Wohlstand beschert, seit die Industrie in den Neunzigerjahren zu boomen begann. Dabei verdienen natürlich einige wenige sehr viel und sehr viele eher wenig, aber die Ar­beits­lo­sig­keit in der Region ist stark zurückgegangen. Der Lachs generiert Ar­beits­plät­ze in allen möglichen Bereichen, an­ge­fang­en bei den Zuchtanlagen, über die Fabriken, die den Fisch in ap­pe­tit­li­che Filets verwandeln, bis hin zur Futter- und tier­me­di­zi­ni­schen In­dus­trie oder den Spediteuren, deren Lastwagen triefende Plas­tik­con­tai­ner zwi­schen den verschiedenen Stationen hin- und herkutschieren. Immer rich­tet irgendein Hotel irgendein Symposium über Marketingstrategien aus, und auf einer regelmäßig stattfindenden Branchenmesse werden neue Tech­no­lo­gien vorgestellt.

Seit ein paar Jahren geht es den salmoneras aber nicht mehr so richtig gut – obwohl sie (die norwegischen, die japanischen und auch die ein­hei­mi­schen) kaum Abgaben an den chilenischen Staat leisten müssen und die Arbeitskraft weiterhin schön billig ist. Schuld daran ist vor allem ein Virus namens ISA – das „Lachs-AIDS“, wie die Menschen in der Re­gion etwas vereinfachend sagen. Die „In­fek­tiö­se Lachsanämie“ wurde mut­maß­lich aus norwegischen Aquakulturen ein­ge­schleppt und hat schon vie­le Millionen Exemplare des Edelfischs dahingerafft. Auf der anderen Sei­te machte den Exporteuren bis vor kurzem der niedrige Dol­lar­kurs zu schaf­fen – und dann ist da noch die Sache mit den Umweltschützern.

Ökologisch betrachtet ist Aquakultur nämlich mindestens umstritten, zu­mal so, wie sie in Chile praktiziert wird. Zu viele Fische auf zu engem Raum, zu viele Fut­ter­res­te und Kot, die die Gewässer verseuchen, zu viele Me­di­ka­men­te und Hor­mo­ne. Lachse, die den Netzen entkommen – das sind nicht wenige -, fressen gan­ze Küstenabschnitte leer. Au­ßer­dem: Um den Lachs zu mästen, benötigt man ein Vielfaches an Wild­fisch, der als Mehl verfüttert wird. Eine Lösung für die welt­wei­ten Er­näh­rungs­prob­le­me sieht anders aus.

Ausgezeichnete Aufklärungsarbeit bertreibt in Chile die Kampagne Sin Miedo contra la Corriente (Furchtlos gegen den Strom), die von Oxfam und der chi­le­ni­schen Umweltorganisation Terram getragen wird. Den Unternehmen ist so etwas natürlich mehr als ein Dorn im Auge, denn Behörden und Konsumenten in den Zielmärkten reagieren recht sensibel auf schlechte Nachrichten. Ein Artikel in der New York Times, der auf den ungehemmten Einsatz von Antibiotika und an­de­ren Mitteln hinwies, sorgte im April dieses Jahres für gehörige Aufregung: Meh­re­re US-­Supermarktketten kündigten an, chilenischen Lachs aus ihrem Sor­ti­ment zu streichen, der chilenische Botschafter in den USA musste Feu­er­wehr spie­len. Am Ende solcher Skandale stehen dann wieder Selbst­ver­pflich­tun­gen der In­dus­trie, die bestehenden Grenzwerte ein­zu­hal­ten.

Jetzt gibt es schon wieder schlechte Presse für den chilenischen Fisch: aus Deutsch­land. Da hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Le­bens­mit­tel­si­cher­heit (BVL) gerade in mehreren Stichproben Rückstände eines als krebserregend geltenden Fungizids und eines antiparasitären Me­­di­­ka­­ments entdeckt, die in der Bundesrepublik gar nicht zugelassen sind. Das Amt hat die Ergebnisse an die Länder weitergeleitet, die nun über Verzehrwarnungen entscheiden müssen. In Chile spielt man die Nach­richt (die in Deutschland noch nicht einmal über die Ticker gelaufen ist) vorsorglich herunter. César Barros, Vorsitzender des Bran­chen­ver­bands SalmónChile, gab zu Protokoll, man habe andere Sorgen als „winzige Verunreinigungen in einer Lieferung“, die vermutlich auf ir­gend­ei­nen Verarbeitungsfehler zurückzuführen seien. Aber – das weiß in­zwi­schen jeder hier – auch winzige Verunreinigungen können das Ge­schäft mit dem Lachs gehörig trüben.


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