vonPeter Strack 14.06.2022

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von Zoila Zeballos

Zoila Zeballos wurde 1975 geboren und hat die ersten Lebensjahre in Quituquiña verbracht. Ich habe sie vor über 40 Jahren kennengelernt. Oder besser gesagt: Sie mich. Denn ein bärtiger Europäer war in dem damals gut ein Dutzend Familien zählenden Ort im bolivianischen Tiefland auffälliger, als eines unter den zahlreichen kleinen Mädchen und Jungen, die über den sandigen Dorfplatz tobten. Obwohl sie mir hätte auffallen können: Denn von klein auf, sagt Zoila, sei sie rebellisch gewesen.

Im nahen, damals kaum mehr als 5000 Einwohner*innen zählenden San José de Chiquitos macht sie später Abitur, verdient ihren Unterhalt mit diversen Jobs, heiratet und migriert in das heute von über 16.000 Menschen bewohnten Munizip Roboré. Dort zieht sie drei Kinder auf, wird Stadträtin und Rechtsanwältin und engagiert sich für die Erhaltung des Naturschutzgebietes des Tals von Tucabaca. Dies ist ein wichtiges Wasserreservoir und Heimat zahlreicher medizinisch nutzbarer sowie endemischer Pflanzen. Das Engagement bringt ihr selbst mehrere Anklagen vor Gericht ein. Im Juni bat ich Zoila Zeballos, mir von Anfang an aus ihrem Leben zu erzählen. Denn ihre Bindung an ihr Heimatdorf und die Chiquitano-Kultur spielt für ihr Wirken eine wichtige Rolle.

Quituquiña hat im Kern bis heute seine Eigenart bewahrt, Foto: P.Strack

Quituquiña hat sich bis heute seine Eigenart im Kern bewahrt. Gewiss gab es Veränderungen, aber ohne diese verwirrende Entwicklung und Modernität. Wir alle von dort sind uns wohl darin einig, dass unsere Kindheit damals die schönste Zeit unseres Lebens war. Jenseits all dessen, was das kleinbäuerliche Leben der Indígenas auch ausmacht, gab es einen spirituellen Reichtum. Wir haben die Wurzeln der Sorge um das Leben noch gespürt. Man lebte im Einklang mit der Umgebung, der Erde und all den Sitten und Gebräuchen. Die haben sich tatsächlich zu einem großen Teil verloren. Alles hat seinen Grund. Nur einer meiner Geschwister lebt heute noch dort. Ich komme aber immer wieder nach Quituquiña zurück. Vor allem beim Dorffest treffen wir uns alle wieder. Ich will dort einen kleinen Platz behalten, auch wenn im Haus meines Vaters jetzt andere wohnen.

Sorge um das Leben. Wir müssen das Spagat zwischen materiellen Notwendigkeiten und Schutz der Natur hinbekommen, sagt Pablo Zeballos, ein Neffe von Zoila., der noch in Quituquiña lebt. Hier sollen deshalb künftig Kühe weiden und gleichzeitig die Bäume nachwachsen, Foto: P.Strack

Um die Schule zu besuchen, von den Eltern getrennt

Wir Kinder sind alle wegen der Schule aus dem Dorf weggezogen, ich selbst im Alter von sieben Jahren. Mein Vater sagte immer, dass die Tatsache, dass er keine Schule besucht habe, kein Grund sei, dass auch wir auf dies Wissen verzichten müssten. Ich konnte damals gerade mal lesen und schreiben. Die Dorfschule ging nur bis zur zweiten Klasse. Und weil meine Eltern noch in Quituquiña blieben, wohnte ich fortan bei Fremden oder Verwandten. Ich werde nie vergessen, wie sehr ich und alle meine Geschwister unsere Eltern vermisst habe. Aber ich bin wohl die, die am häufigsten das Zuhause gewechselt hat. Das ist auch ein Grund, warum ich selbst jetzt so eng an meinen eigenen Kindern hänge. Auf einer der vielen Stationen, im Hause Tomichá, lebte damals auch die Enkelin Vitalia. „Ich werde dich mal kämmen“, meinte sie zu mir, weil ich ziemlich unordentlich in die Schule ging. Ich war von klein auf ziemlich rebellisch. Aber gelernt habe ich immer.

Für den Schulbesuch Umzug nach San José, Foto der Plaza mit der Fassade der historischen Jesuitenkirche: P.Strack

Als mein Vater starb…

Als mein Vater starb, bin ich dann in San José mit meiner Mutter zusammengezogen. Da war ich 16. Meine kleinere Schwester war dreizehn. Wir hatten unserer Mutter gesagt, dass wir mit ihr zusammen leben wollten und sie uns nicht mehr bei den Verwandten lassen sollte. „Wovon sollen wir denn leben?“, fragte meine Mutter. „Wie andere auch“, antwortete ich. „Wir verkaufen gefüllte Teigtaschen oder waschen Wäsche“. Und das haben wir dann gemacht: Teigtaschen oder panierten Pansen verkauft. Meine Mutter verkaufte Teigtaschen und Süßigkeiten in der Schule. Ich arbeitete in den Ferien, um meiner Mutter zu helfen. Meine älteren Geschwister unterstützten uns mit dem, was sie konnten. Als ich dann mein Abitur in der Tasche hatte, wollte ich Rechtsanwältin werden. Unrecht hat mich schon immer gestört. Ich mag die Menschen nicht leiden sehen und wollte sie gerne verteidigen. Als es den Konflikt um den Pfarrer Hubert von San José gab, da war auch ich auf der Straße am protestieren, vielleicht lauter als nötig. Ich fand es ungerecht, dass der Bischof ihn fortschicken wollte. Ich glaube, damals begann mein revolutionäres Leben. Wir läuteten die Glocke und empfingen mit vielen anderen den Bischof und die ganze schwer bewaffnete Polizei an der Schranke des Ortes. Als der Bischof ausstieg, zündete jemand den Bus an. Ich war es nicht! Da kamen alle Polizisten heraus… Am Ende blieb der Pater Hubert noch Jahrzehnte länger in San José.

Ich komme von unten

Ein Jurastudium ging damals aber nicht. Ich musste Geld verdienen, um meiner kleineren Schwester zu helfen. Außerdem wollte ich nach so vielen Jahren Trennung auch nicht weg von meiner Mutter. So schrieb ich mich an einem Institut für einen Abendkurs für Sekretariatswesen ein und putzte tagsüber im Büro der Wasserkooperative. Wenn die Sekretärin nicht da war, dann mischte ich mich ein. Er solle keine Vertretung einstellen, sagte ich dem Geschäftsführer, ich würde antworten, wenn das Telefon klingelt. Er war damit unter der Bedingung einverstanden, dass ich auch meine eigentliche Arbeit zu Ende bringen würde. So ging ich früher ins Büro, um später das Telefon zu beantworten. Schreibmaschine schreiben konnte ich praktisch noch nicht. Aber ich durfte üben. Die Sekretärin überließ mir dann immer öfter das Büro. Nach fast einem Jahr ging sie ganz und ich bekam die Stelle. Inzwischen hatte ich auch mein Sekretariatszertifikat. Und das, obwohl ich bis heute noch immer viele Rechtschreibfehler mache. Es ist meine schwache Seite.

Abschied aus San José, Foto: Veronika Kern

Als ich dann meinen Freund geheiratet habe, bin ich mit ihm nach Roboré gezogen. Und da ich keinen zurückgezogenen, ruhigen Charakter habe, war ich schnell bekannt. Ich lernte Freundinnen kennen, nahm an den Sitzungen der Nachbarschaftsorganisation teil, mischte mich so wie immer schon ein. Ich glaube ich bin die gleiche geblieben, obwohl ich manchmal auch zweifle, ob ich inzwischen selbst vielleicht schon etwas ungerecht zu anderen bin.

Irgendwann kam jemand ins Haus, und sagte, sie wollten mich an erster Stelle auf der Liste der Stadtratskandidat*innen haben. Auch der Subgouverneur kannte mich. Schließlich war er früher Kassenwart der Wasserkooperative in San José gewesen, in deren Büro ich geputzt hatte. Sie hatten mich dort zwar häufiger korrigiert und sahen mich etwas als Rebellin, aber sie hatten mich auch respektiert.

Nie hat mich eine Herausforderung abgeschreckt

In Roboré sollte ich für die Partei „Los Verdes“ von Rubén Costas (eine nach der Farbe der Regionalflagge benannte anti-zentralistische konservativ-sozialdemokratische Partei aus Santa Cruz, Anm.d.Übers.) kandidieren. Mit denen identifizierte ich mich, weil sie schon mehrmals zur Verteidigung des Naturschutzgebietes Tucabaca aufgerufen hatten. Dafür engagiere ich mich seit dem Jahr 2000, als ich gerade mein erstes Kind bekommen hatte. Damals hatten Holzschmuggler versucht, sich im Tal von Tucabaca festzusetzen. Die die Zentralregierung tat nichts dagegen. Bei den Stadtratswahlen bekam ich die meisten Stimmen, obwohl ich sonst keine Verwandten hier habe. Der einzige Angehörige, der für mich gestimmt hat, war mein Mann. Aber eigentlich hat mich noch nie eine Herausforderung abgeschreckt. Wie auch, wenn man sogar Sekretärin sein will, ohne die Rechtschreibung zu beherrschen! Und das in einer Zeit, als noch keine Computer benutzt wurden, und wegen Fehlern die Seite häufig neu getippt werden musste. Aber ich hatte Geduld, blieb notfalls bis neun Uhr nachts, bis es geklappt hat. Ich komme eben von unten.

Nach drei Tagen als Stadträtin der erste Überraschungseinsatz gegen Holzpiraten

Ich war gerne Stadträtin, weil man etwas für die Menschen tun kann, nicht wegen dem Ansehen. Sowieso haben die Leute nirgendwo, wo ich hinkam, gedacht, dass ich dies Amt inne hatte. Das war das letzte, was sie von mir erfuhren. Da ich 2010 die meisten Stimmen bekommen hatte, wurde ich auch zur Präsidentin des Stadtrats gewählt, als einzige Frau unter lauter Männern. Ich wollte aber nicht repräsentieren, sondern etwas bewegen. Gerade drei Tage im Amt, bildeten wir eine Kommission, um einen Überraschungsbesuch im Tal von Tucabaca zu machen. Aus den 11 Jahren in der Wasserkooperative wusste ich, wie man eine Institution führt. Zumindest kannte ich die administrativen Abläufe. Wir riefen bei der Militärkommandatur, der Polizei und der Forstbehörde und den zwei zuständigen Angestellten des Bürgermeisteramtes an – spät abends, damit alles vertraulich bleibt. Wir bekamen Fahrzeuge von der Regionalregierung. Um zwei Uhr nachts starteten wir. Zwischen 6 und 7 Uhr erreichten wir eine Stelle, wo die ersten Abholzungen im Bereich des Munizips zu erkennen waren. Da lagen riesengroße Bäume. Die mussten schon Monate dort aktiv gewesen sein. Lastwagen fuhren mit Stämmen weg.

Der Tucabaca-Park ist ein wichtiger Wasserspeicher, Foto: P.Strack

Die Polizei hielt sie an. Wir wussten nicht, ob die Forstbehörde vorher davon Kenntnis hatte, aber zumindest jetzt wollten sie ihre Genehmigungen sehen und hielten die Transporte auf. Als wir weiter fuhren, stießen wir auf ein Lager mit Treibstoffkanistern. Um fünf Uhr nachmittags wollten wir das Naturschutzgebiet wieder Richtung Südosten verlassen. Da sahen wir noch größere gefällte Bäume. Wir machten Fotos, aber wir mussten umkehren, weil es Richtung Santiago de Chiquitos nicht mehr weiter ging. Nach zwei Stunden Fahrt hatten die Holzpiraten uns mit gefällten Bäumen den Weg versperrt. Mein Fahrer war von hier und das Fahrzeug kein neues Allradfahrzeug, sondern ein stabiles einfaches Gerät, bei dem man die Scheiben noch mit der Kurbel herunterdrehen konnte, so wie wir sie hier kennen und wie ich es mag. Ohne Rücksicht auf Verluste fuhr mein Fahrer an einer Lücke durch das Gebüsch und wir konnten fliehen. „Duck Dich“, sagte er mir, „da kommt ein anderes Fahrzeug“ und ließ mich einen Helm aufsetzen. Ich war die einzige Frau weit und breit und hatte natürlich Angst, bis wir wieder im Ort angekommen waren. Aber die anderen, auch die Polizisten und Militärs, wurden von den Holzschmugglern festgesetzt und sogar geschlagen. Zurück in Roboré haben wir Anzeige erstattet und in der Zeitung über den illegalen Holzraubbau und die Übergriffe berichtet. Am Ende kam heraus, dass die Piraten mit der Forstbehörde gemeinsame Sache gemacht hatten. Es kam zu Entlassungen, die Verantwortlichen mussten gehen. Die Holzpiraterie konnte damit gebremst werden. Gestoppt werden konnte sie aber nicht. Es geschieht heute nicht mehr so offen unter den Augen der staatlichen Institutionen. Man begann mit Landnutzungs- und Aufforstungsplänen. Den Menschen vor Ort fällt es heute leichter, die Holzfäller zu kontrollieren. Sie können sich dabei auf das Recht berufen, weil diese Territorien ihre Lebensgrundlage sind. Allerdings lassen sich manche auch bestechen.

Endlich auch an der Universität

Wegen unserer drei Kinder, eines nach dem anderen wie die Orgelpfeiffen, war bis dahin auch nicht an ein Studium zu denken. Erst in jenem Jahr 2010, als der jüngste vier Jahre alt war, eröffnete die staatliche Universität von Santa Cruz einen Jurastudiengang in Roboré. Abends war ich im Stadtrat beschäftigt. Aber diese Gelegenheit kommt nur einmal, dachte ich mir, und habe sie ergriffen.

Traditionelle Maske und Blick auf das Tucabaca-Tal, am Horizont an der Grenze des Schutzgebietes eine ganze Batterie gerodeter Flächen, Foto: P.Strack

Ein Jahr später gab es den ersten Versuch, eine illegale Siedlung im Naturpark Tucabaca zu gründen. Da sind wir wieder aktiv geworden. Dies geschah inzwischen mit dem Parkverwaltungskomitee aus Mitgliedern privater Organisationen und der verantwortlichen staatlichen Stellen. Bis heute bin ich dort Mitglied, auch wenn ich nicht mehr Stadträtin bin. Aber dafür Rechtsanwältin. Nun bin ich für die Berufsvereinigung Delegierte im Komitee. Irgendwas bleibt immer, wenn man sich wehrt. Deshalb darf man auch nicht so einfach aufgeben.

Das erste Gerichtsverfahren – gegen sie selbst

Wegen den illegalen Siedlern im Kerngebiet des Parks von Tucabaca bekam ich auch meine erste Anzeige. Denn letztlich brauchten wir die Polizei, weil sie nicht freiwillig gehen wollten. Drei Landbesetzer waren von hier, die Mehrzahl kam aus dem Hochland. Andere, die Anspruch auf das Land erhoben, gab es allerdings nur auf dem Papier (um Gemeindeland tituliert zu bekommen, wird eine Mindestanzahl von Familien benötigt, Anm. d.Übers.). Und andere standen auch schon bereit, um dort weitere Siedlungen zu gründen. Die Regierung stand auf dem Standpunkt, dass es sich nicht um ein Naturschutzgebiet, sondern um Staatsland handelt, das sie für neue Siedlungen zuteilen können. Damals spielte das Landreforminstitut keine so große Rolle. Es waren die Landwirtschaftsministerin Nemesia Achacollo und der Innenminister Juan Ramón Quintana, die die Siedlungen vorantrieben.

Damit die Polizei eingreift, haben wir die Überlandstraße von Santa Cruz nach Brasilien blockiert, die durch Roboré führt. Der Gegendruck auf uns war heftig, auch von Leuten aus Roboré, zum Beispiel einer Stadträtin der MAS (die Regierungspartei Movimiento al Socialismo). Sie drohten uns und hatten auch mich als Anführerin identifiziert. Da die Regierung nicht reagierte, stellte die Bevölkerung ein Ultimatum. Wenn die Regierung nichts tue, würden sie selbst eingreifen. Und die Stadträtin solle zurücktreten. (Zur Problematik der Landbesetzungen siehe die früheren Beiträge “Mit der Geduld am Ende” und  “Boliviens interne Kolonisierung” auf Latinorama)

Angeklagt wegen “Diskriminierung und Rassismus”, Zoila Zeballos in ihrem Büro mit Prozessakten, Foto: P.Strack

Die Anführer der Landbesetzung wurden zudem zu „unerwünschten Personen“ erklärt. Deshalb wurde ich wegen „Diskriminierung und Rassismus“ angezeigt. Alle möglichen Autoritäten hatten die Erklärung unterschrieben, aber nur ich wurde angezeigt. Die Leute in Roboré haben mich aber unterstützt, haben in den Medien Stellung genommen. Ich musste das eine oder andere Mal dafür nach San José, immer wieder wurden die Anhörungen verschoben. Nach drei Jahren teilten sie mir mit, dass der Fall eingestellt worden sei.

Yuvinka Gareca kennt als Hotelbesitzerin nicht nur das touristische Potential des Naturschutzgebietes, sondern als Schmetterlingexpertin auch die Artenvielfalt. Hier zeigt sie eine Medizin, die aus der lokalen Pesoé-Pflanze  hergestellt wurde und, wie sie sagt, auch bei COVID-Erkrankungen für Linderung gesorgt hat,   Foto: P.Strack

Im Jahr 2014 hatte ich eine Einladung aus Ecuador, um über unsere Erfahrungen zu berichten, denn zu dem Zeitpunkt galt der Naturpark Tucabaca schon als „best practice“ mit hohem Potential. Doch als ich das Flugzeug besteigen wollte, hinderte mich die Polizei, weil ich angeblich ein Reiseverbot hatte. Sie hatten das Verfahren neu aufgenommen, ohne mir überhaupt Bescheid zu sagen oder mich zu den Anhörungen zu laden. Ich galt als justizflüchtig.

Ich bin nicht aus Stahl, ich war erschrocken und weinte damals. Aber ich war auch wütend. Da ich da aber schon Rechtsanwältin war, konnte ich die Sache selbst in die Hand nehmen, bis das Reiseverbot aufgehoben wurde.

Vor Gericht musst du alleine für dich aufkommen

Danach gab es noch mehr Verfahren. Die Konflikte gingen ja weiter. Ich wurde angezeigt, weil ich mich dagegen ausgesprochen hatte, ein Parteibüro der MAS in einem städtischen Bauernmarkt zuzulassen. Meines Erachtens sollten die Märkte frei bleiben von Parteien jeglicher Couleur. Die Leute sollen dort ihre Yuka oder Camote verkaufen. Dieses Verfahren habe ich nach drei Monaten gewonnen. Sogar die Prozesskosten bekam ich erstattet.

Das dritte Verfahren läuft noch und ist komplizierter. Es geht um die Verhinderung einer illegalen Ansiedlung im letzten Jahr. Wir sind nicht die Besitzer dieses Landes. Aber schließlich gibt es einen Landnutzungsplan, der respektiert werden muss. Die Leute kamen aus Quillacollo (Cochabamba im zentralen Bergland, Anm. d. Übers.) und hatten eine Genehmigung der Agrarreformbehörde. Aber laut Gesetz müssen Ansiedlungen mit den lokalen Behörden im Einklang mit der kommunalen Raumordnungsplanung koordiniert werden. Da muss sich auch die Zentralregierung dran halten. Wir haben den Landbesetzern drei Tage Zeit gegeben, das Land zu verlassen. Das haben sie nicht getan. Wir sind dann dort hingegangen. Später haben sie uns angezeigt, wir hätten ihre Häuser zerstört. Das ist aber gelogen, denn sie hatten nur Zelte dort. Das Land drumherum hatten sie jedoch schon abgeholzt und abgebrannt. Es waren bereits dreißig Parzellen, obwohl nur ein paar wenige Familien tatsächlich dort waren. Es waren auch keine armen Bauernfamilien, die mit Hacke und Buschmesser arbeiten. Sie hatten eigene Allrad-Fahrzeuge, die modernsten Motorsägen… Und die haben uns angezeigt. Nach einem Jahr hat der Richter die Klage abgewiesen, weil sie keine Beweise vorlegen konnten. Den Richtern in Roboré fällt es schwerer als in anderen Regionen Boliviens, sich den Wünschen der Regierung zu beugen, weil die Bevölkerung uns unterstützt. Bei allen Anhörungen haben sie uns als Zeug*innen begleitet. Aber die andere Seite hat inzwischen Einspruch eingelegt und wer weiß, was sie auf der höheren Ebene in Santa Cruz dann entscheiden.

Landbesetzungen beginnen meist mit Behelfsunterkünften, während das Land bereits gerodet und das Holz verkauft wird, Foto: P.Strack

Es ist jetzt der dritte Prozess, dessen Kosten ich selbst aufbringe. Wenn du für die Leute eintrittst, dann bist du eine von ihnen. Aber vor Gericht musst du alleine für dich aufkommen. Und dafür brauchst du Geld. Manchmal schieße ich es mir aus dem vor, was ich selbst als Rechtsanwältin verdiene.

Mit der Natur, nicht von der Natur leben

Aber niemand zwingt mich dazu. Man muss das nötige Vertrauen haben. In den 20 Jahren, die ich mich jetzt in Roboré engagiere, habe ich Leute gesehen, die mitgemacht haben, weil sie sich verpflichtet fühlten. Darunter auch städtische Angestellte, Autoritäten… Die waren dabei, solange sie im Amt waren. Danach verschwanden sie von der Bildfläche. Aber es gibt eine Gruppe von Engagierten, die die ganzen Jahre weiter gemacht haben. Ich war nur fünf Jahre lang im Stadtrat, bin aber jetzt immer noch dabei. Denn ich glaube, dass es ein wichtiges und gerechtes Anliegen ist. Ich bin in einer indigenen Gemeinde aufgewachsen. Und wir sind überzeugt, dass die Natur dafür da ist, dass wir mit ihr leben, nicht dass wir von ihr leben. Andere, die von weit her kommen, sehen nur die Ressourcen wie das Holz oder Bodenschätze als Ressourcen, mit denen sie Geld verdienen können. Aber diese Einnahmen fließen nur eine gewisse Zeit. Dann gehen diese Leute wieder weg und wir bleiben als Geschädigte zurück. Manchmal möchte ich das Handtuch werfen. Aber das hält nie lange an. Wenn die Alarmglocken läuten, bin ich wieder auf den Beinen.

Während andere abholzen, forstet Erwin Chuvé auf, Foto: P.Strack

Es heißt immer, die Siedler, die hierherkommen, hätten nichts. Das stimmt aber nicht. Sie lassen anderswo ihr Haus und ihr Land zurück. Wir wollen aber nichts zurücklassen, sondern hier leben bleiben. Sie behaupten, wir seien zu faul, um das Land zu bearbeiten. Aber wir sind heute darauf vorbereitet, Land und Natur zu verteidigen. Und von andernorts, wo die Gemeinden sich ihr Land stehlen lassen, bekomme ich inzwischen Einladungen, um zu berichten. Sie klagen über all das, was man ihnen gestohlen hat. Uns hat man das alles auch nehmen wollen, und sie haben uns manches gestohlen. Aber wenn wir gesagt hätten, dass wir gegen die Regierung nichts erreichen können, dann wäre längst alles weg. Stattdessen haben wir immer noch Holz, haben Schutzgebiete, generieren im Tucabaca-Tal die Wasserressourcen für eine ganze Region. San José, San Ignacio… die haben das alles bereits verloren. Und in Bezug auf die Bergwerkswirtschaft ist Roboré bislang auch noch jungfräulich.

Nein zu den Bergwerkskonzessionen

Vier Versuche gab es bereits, hier Bergwerkskonzessionen zu erteilen. Alle vier haben wir verhindert. Wir haben die Menschen hier überzeugt, Nein zu sagen. Denn viele kennen die Gefahren nicht. Die Bürgermeister waren sauer auf mich. „Was berechtigt sie, hier zu einem Informationstreffen einzuladen?“, schimpfte einer. „Wir haben Entwicklungsprojekte, die wir mit den Abgaben der Bergwerksfirmen finanzieren wollen.“ Ich antwortete ihm, dass er der Bürgermeister sei, aber ich die Präsidentin des Verwaltungskomitees des Naturparks. „Wenn die Leute das Bergwerk wollen, dann werden sie das auch sagen. Aber sie müssen informiert sein.“

Im Zentrum der Stiftung zum Schutz des Chiquitano-Waldes im zum Munizip Roboré gehörenden Santiago öffnet Arlén Taceó Kindern und Erwachsenen die Augen für die biologische Vielfalt im Tucabaca-Tal, Foto: P.Strack

Wir haben ihnen gezeigt, wie es inzwischen ganz in der Nähe in der Mine Don Mario in San Juan aussieht (dort im Munizip San José fördert ein in den USA ansässiger Konzern Gold im Tagebau, Anm. d.Übers.). Man hat ihnen einen Sport- und einen schönen Dorfplatz versprochen. Aus San Juan hat man allen Reichtum weggebracht. In Bolivien ist davon nur ganz wenig geblieben. Aber San Juan hat nichts, es hat keine asphaltierten Wege, kein sauberes Trinkwasser… Die Menschen träumen auch nicht mehr von der Natur, weil sie ihren Reichtum nicht mehr erleben können. In den Gemüsegärten gedeiht kaum etwas. Vor allem fehlt die Hoffnung. (Zu Problematik des Bergbaus in indigenen Territorien und Naturschutzgebieten, siehe auch die früheren Beiträge  zum Quecksilber in der Goldproduktion, sowie zum Madidi-Nationalpark.)

Und so haben sie in Roboré „Nein“ zu den Bergwerkskonzessionen gesagt. Und das, obwohl der interessierte Konzern noch Leute aus anderen Regionen mit Bussen herangekarrt hatte. Wir sagten ihnen: Wenn ihr bei euch Bergwerke haben wollt, dann ist das eure Entscheidung, aber kommt bitte nicht in fünf Jahren, um nach unserem Wasser zu fragen.

Anmerkung: Die Recherche, bei der das Interview mit Zoila Zeballos entstand, war möglich durch die Organisation, logistische Unterstützung, Begleitung und Beratung durch Christiane Maulhardt und Walter Tomichá, wofür ich mich herzlich bedanke.

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