„Bolivien erlebt Hitzerekorde, es fehlt an Regen und Wasser, die Ernten sind bedroht“, mahnt jüngst ein Meme, das im Internet kursiert. „Und was macht die intelligenteste Art der Erde? Feuer legen!“… und Goldunternehmen nutzten die Gelegenheit, um sich in Naturschutzgebieten weiter auszubreiten. Erst nach wochenlangem Drängen der betroffenen indigenen Gemeinden und von Umweltaktivist*innen hatte die Regierung ausländische Unterstützung zur Löschung der Waldbrände akzeptiert, unter anderem aus Venezuela, Chile und Frankreich. Letztere beiden trafen erst im Land ein, als die Feuer bereits gelöscht waren, auch mit Hilfe der endlich einsetzenden Regenfälle. Doch nach zwei Monaten Notstand waren bereits mehr als drei Millionen Hektar niedergebrannt (siehe diesen früheren Beitrag auf Latin@rama). Die ausländischen Helfer*innen könnten ja auch bei den nun erwarteten Überschwemmungen eingesetzt werden, begründete Vizeminister Calvimontes den verspäteten Einsatz.
Das Wasser ist unsere größte Sorge, sagt Victor Menchaca Cabero, Direktor der NRO CESATCH. Das Zentrum für landwirtschaftlich-technische Dienste in Chuquisaca“ setzt in den Landkreisen von Presto und Tarabuco Entwicklungsprojekte um. Es geht um interkulturelle Bildung, Kinder- und Jugendbeteiligung, Einkommensalternativen für Jugendliche vom Land, ökologische Landwirtschaft. Dafür und dabei wird das Thema der Wasserversorgung immer wichtiger. Im Oktober haben wir Menchaca in Sucre, der verfassungsmäßigen Hauptstadt Boliviens, getroffen und nach den Folgen der Trockenheit und Möglichkeiten befragt, Jugendlichen vom Land Zukunftsperspektiven zu ermöglichen.
Wasser wird nicht nur im Ackerbau zu einem immer knapperen Gut, auch für den häuslichen Verbrauch. Und das verstärkt die Migration hin zu Orten, wo es noch genug Wasser gibt. Der Klimawandel hat zu einer Verkürzung des Agrarzyklus geführt. Begannen die ersten Regenfälle hier im Bergland und den Tälern von Chuquisaca früher im August, kann heutzutage häufig mancherorts erst im Dezember gesät werden. Dadurch geht die Artenvielfalt verloren. Denn die einheimischen Kartoffelsorten benötigen bis zu einem halben Jahr, um zu reifen. Die Regenzeit geht aber nur noch bis Mitte April. So werden die einheimischen Sorten von holländischen Saatkartoffeln wie Desirée ersetzt, die in drei Monaten geerntet werden können. Nur in den Dörfern, die Bewässerungsanlagen haben, können die einheimischen Sorten weiter angebaut werden.
Wo liegt das Problem, wenn die holländische „Desirée“ gut gedeiht?
Sie schmecken uns nicht so gut und werden deshalb eher für Pommes Frites verwendet. Und sie lassen sich nicht so gut lagern, weil sie einen höheren Wasseranteil haben. Unsere einheimischen Sorten können wesentlich länger aufgehoben werden. Bis zu einem Jahr, wenn die Lagerung sachgerecht erfolgt. Auch im gekochten Zustand sind die einheimischen Kartoffeln länger genießbar, zum Beispiel wenn die Leute auf Reisen oder zum Vieh austreiben in die Berge gehen.
Die Klimakrise ist auch hausgemacht
Die Klimakrise ist ein weltweites Phänomen, die vor allem von den industrialisierten Staaten verursacht wurde. Gibt es auch interne Faktoren in Bolivien, die dazu beigetragen haben?
Eine Ursache für den Wassermangel ist das Abbrennen der Savannen und Wälder. Dies vor allem im östlichen Tiefland, aber auch hier in Chuquisaca. Im Naturschutzgebiete El Palmar nahe Presto wurden vor zwei Jahren 885 Hektar Palmenwald niedergebrannt. Und in anderen Landkreisen gibt es ähnliche Feuer. Die Erhitzung der Atmosphäre verhindert, dass Regen fällt. Und so kommt es in vielen Dörfern zum Wassermangel. Auch hier in der Stadt Sucre mit seinen um die 250.000 Bewohner*innen musste dieses Jahr in den Randvierteln Wasser rationiert werden. Mancherorts in den höheren Lagen kam nur noch alle zwei Tage für eine Stunde Wasser aus der Leitung. Und es gibt etwa 100 Nachbarschaften, die ohnehin nur mit Tankwagen versorgt werden.
Wasser ernten
Was kann eine NRO wie CESATCH gegen die Wasserknappheit tun?
Wie setzen auf das, was wir Wasserernte nennen. Da sind kleine Dämme zur Anlage von Teichen oder der pflanzliche Schutz von Quellen. In Tarabuco haben wir so 130 Quellen gesichert, die auch Ende der Trockenzeit noch Wasser führen. Das sind Techniken, die wir von den Vorfahren erlernt haben und Tausende Jahre alt sind. Wir haben andere Quellen gesehen, die auf moderne Weise mit Zement gesichert werden sollten und die heute ausgetrocknet sind. Diese Ortschaften sind heute verlassen.
Auch kann man in der Regenzeit an den Dächern der Häuser Wasserrinnen anbringen und Wassertanks von 1200 bis 5000 Liter Fassungsvermögen aufstellen. Das wird das verfügbare Wasservolumen erhöhen, aber mittelfristig auch die Natur regenerieren und damit die Regenfälle fördern. Wir betreiben auch Umweltbildung. Die Regierung sollte das in den regulären Schulunterricht einführen.
Es ist Teil des für 2023 verabschiedeten offiziellen Curriculums.
Bislang geschieht das in der Regel nur dort, wo private Institutionen aktiv werden. Uns gegenüber hat Lehrpersonal schon mal gesagt, für die Umwelt seien die Umweltorganisationen zuständig. Dabei sollten jeder und jede ihre persönliche Verantwortung wahrnehmen und sorgsam mit dem Wasser umgehen.
Wasser-Notstand in der Hälfte der Munizipien
Die Wasserproblematik wird in der Öffentlichkeit nicht so sehr als strukturelles Problem, sondern vor allem als akute Katastrophe behandelt. Die Regierung hat die autonomen Behörden jüngst gleichwohl zum Nationalen Ratschlag einberufen. Dort wurde ein neuer Aktionsplan beschlossen, der auch Maßnahmen zur Wasserernte beinhalten soll. Von der Politik der Neuerschließung von Agrarflächen auf Kosten der Wälder wurde jedoch kein Abstand genommen.
Von den 29 Stadt- und Landkreisen in Chuquisaca wurden 15 wegen Wassermangels zur Katrastrophenregion erklärt. Die Regierung hat den Kauf von neuen Tankwagen genehmigt. Das wird kurzfristig helfen. Aber es reicht nicht, kurzfristig zu denken. Nötig wäre eine massive Aufforstungspolitik auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene, damit es künftig wieder mehr regnet.
Versuche, die letzten Finanzierungstöpfe auszukratzen
Die Regierung fördert die Ausweitung der Agrarflächen auch, um Devisen zu erwirtschaften. Inzwischen machen Agrarprodukte fast ein Drittel der Exporte aus. Doch die öffentlichen Finanzen bleiben klamm.
Vor kurzem hat das Umwelt- und Wasserministerium die NRO in Chuquisaca zu einem Koordinationstreffen zur Arbeit für die Naturschutzgebiete eingeladen. Dort haben sie uns informiert, dass sie zwar einen beträchtlichen Etat haben. Der sei aber durch das eigene Personal bereits ausgeschöpft. Und wir hätten doch genügend Gelder und müssten deshalb ihre Aktivitäten in den Naturschutzgebieten finanzieren. Das ist nicht möglich, weil die (von der Kindernothilfe und terre des hommes aus Deutschland oder „Traditionen für Morgen“ aus der Schweiz finanzierten) Projekte zweckgebunden sind. Aber das Argument ist auch schwer nachvollziehbar, wo die Regierung doch immer behauptet, es ginge Bolivien wirtschaftlich gut.
Alternativen, damit Jugendliche auf dem Land bleiben
Auch mit dem agroökologischen Ausbildungszentrum „Rijcahariy“ übernimmt das CESATCH durchaus Staatsaufgaben, auch wenn die Verpflegung der Studierenden immerhin inzwischen von der Lokalregierung übernommen werden.
Im Zentrum in dem Weiler Morado K’asa werden Techniker*innen in Agroökologie ausgebildet. Der Abschluss ist vom Erziehungsministerium anerkannt. Im Internatsmodus werden die Jugendlichen theoretisch geschult, um dann ihre Kenntnisse in ihren Herkunftsgemeinden mit Praktika umzusetzen. Die Lehrpersonen aus dem Zentrum begleiten diese vor Ort. Da finden auch wieder Techniken der Wasserernte Anwendung. In manchen Gemeinden dient das als Trinkwasser, anderswo wird damit auch das Gemüse im Garten gegossen, zum größten Teil für den Eigenverbrauch.
Werden die jungen Leute so Arbeit bekommen oder ein Einkommen erzielen?
Wir bilden sie für die Landwirtschaft auf den eigenen Feldern in ihren Herkunftsgemeinden fort. Das Problem ist doch, dass in den Dörfern fast nur noch Alte leben. Und die produzieren nur für den Eigenbedarf. Die jungen Leute wandern in die Städte ab. Hinzu kommt, dass es immer mehr Hagel gibt, der die Ernte beeinträchtigt. Und wieder wandern Menschen in die Städte ab. In einigen Dörfern haben wir deshalb die traditionelle Landwirtschaft auf Gemüseanbau umgestellt, bei dem kontinuierlich angebaut und geerntet wird. Und wenn der Hagel die Ernte vernichtet, muss man nicht auf den nächsten Jahreszyklus warten, sondern kann gleich wieder säen. Der Gemüseanbau ist auch rentabler. Um einen Hektar Acker mit Kartoffeln zu bepflanzen, benötigen wir 35 Quintales Saatkartoffeln. Ein Quintal kostet auf dem Markt derzeit zwischen 250 und 300 Bolivianos (umgerechnet 35 – 43 Euro).
Aber mit 5 Bolivianos können wir die nötigen Samen für den Gemüseanbau besorgen und in relativ kurzer Zeit Produkte die Ernte auf den Markt bringen. Damit versuchen wir auch die jungen Leute zu überzeugen, dass sie in ihren Gemeinden bleiben.
Die bolivianische Regierung hat gerade angekündigt, die Nahrungsmittelproduktion im Land zu steigern, um die Importe reduzieren zu können. Nicht nur die Kartoffelproduktion ist in der Krise, auch die Produktion von Reis ist in den letzten Jahren zurückgegangen.
Es ist nicht das erste Mal, dass eine Strategie verkündet wird. Sie müsste nur in die Praxis umgesetzt werden. Die Regionalregierung hat zum Beispiel ein Bienenzucht-Programm aufgelegt. Aber wenn wir fragen, wie viel Geld jeweils für unsere Munizipien zur Verfügung steht, heißt es, dass keine Investitionsmittel vorhanden seien. Es seien reine Personalkosten. Viele Kleinbauernfamilien haben also die Bienenstöcke auf eigene Kosten hergestellt. Aber es gab nicht genug blühende Pflanzen, um die Bienen zu versorgen. Es fehlt also nicht nur an Investitionsmitteln, sondern auch an einer fachgerechten Orientierung.
Auch ein kleiner Zuverdienst eröffnet Perspektiven
Bei uns hat das besser funktioniert. Wir haben zum Beispiel mit 150 Jugendlichen gearbeitet. 79 von ihnen sind mit den jeweiligen Initiativen auf dem Land geblieben, weil sie nun kontinuierlich produzieren und ihre Produkte auch verkaufen können. In ihren Dörfern, aber auch in der Provinzhauptstadt Tarabuco.
Dort haben die Jugendlichen einen Stand bekommen, an dem sie jeden Samstag ihre Produkte verkaufen. Sie haben auch ihre Facebook-Seite und nehmen über WhatsApp Bestellungen für Salat, Zwiebeln, Rote Beete oder auch Honig entgegen. Sie haben Geschäftsbeziehungen mit Restaurants und verkaufen ihre Produkte sogar in Sucre. Die Zwiebeln schicken sie mit Lastwagen bis nach Santa Cruz ins Tiefland. Weil sie dort bessere Erlöse erzielen, haben sie uns erklärt. Bezahlt würden sie mit QR-Code. Wöchentlich nehmen sie zwischen 300 und 400 Bolivianos ein, abzüglich der Kosten bleiben zwischen 120 und 160 Bolivianos übrig (umgerechnet etwa zwischen 17 und 22 Euro). Das für etwa drei Tage Arbeit.
Auf eine Vollzeit-Arbeit hochgerechnet liegt das immer noch unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Allerdings ist die Selbstversorgung mit den Produkten auch als Faktor zu berücksichtigen, dass ein Teil der Jugendlichen in ihrem Dorf bleiben mag. Zumal die Beschäftigungsmöglichkeiten in der Stadt prekär sind.
In der obigen Rechnung sind auch nur die Einnahmen aus den Projektaktivitäten mit Honig, Teekräutern, Trockenfrüchten, Gemüse berücksichtigt. Wenn sie auf den Markt gehen, nehmen sie selbstverständlich auch ihre anderen Produkte mit. Zum Beispiel gekochten Kürbis oder die wilde Ulupica (Capsicum Cardenasii, eine nur in den Tälerregionen Boliviens wachsende Aji-Sorte), die sie einsammeln, trocknen und dann verkaufen.