vonPeter Strack 22.12.2025

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Lange überfällig und wegen der zu erwartenden Proteste immer wieder aufgeschoben beschloss die bolivianische Regierung kurz vor Weihnachten ein einschneidendes wirtschaftspolitisches Maßnahmenpaket. Dessen brisanter Kern ist die sofortige und komplette Aufhebung der Treibstoffsubventionen. Die Regierung erlebt ihren ersten großen Konflikt. Der Ausgang ist noch offen.

Mit der Aufhebung der Subventionen, die im diesjährgen Wahlkampf von praktisch allen Kandidaten als notwendig angesehen und angekündigt worden war, sollen jährlich 3,5 Milliarden US-Dollar Staatsausgaben eingespart werden. Aber es verdoppelt sich auch der Benzinpreis von 3,72 auf 6,96 Bolivianos (umgerechnet knapp 70 Euro-Cent). Der Dieseltreibstoff steigt noch stärker von 3,74 Bolivianos auf 9,8 Bolivianos pro Liter. Und auch wenn die wenigen Eisenbahnen des Landes nun konkurrenzfähiger werden und Werbekampagnen starten, in denen sie sich als Alternative präsentieren, hat der Diesel-Preis Auswirkungen auf viele andere Preise. Der Güterverkehr wird hauptsächlich mit Lastwagen abgewickelt.

Die Transferzahlungen für die Ärmsten werden nicht ausreichen

Anders als beim letzten vergeblichen Versuch noch unter der Regierung von Evo Morales kurz vor Neujahr 2011 sind diesmal auch abfedernde Geldtransfers für besonders verwundbare Gruppen vorgesehen: So wird die staatliche Mindestrente von monatlich 300 auf 500 Bolivianos (umgerechnet etwa 46 Euro) erhöht. Für das erste Jahr ist auch eine Transferzahlung von 600 Bolivianos für Familien mit Kindern aus dem informellen Sektor vorgesehen. Für formell Beschäftigte wird ab ersten Januar der gesetzliche Mindestlohn um 20 Prozent auf 3300 Bolivianos (umgerechnet etwa 300 Euro pro Monat) erhöht. Das Prinzip: Selektive Zahlungen für besonders verletzliche Gruppen, statt Subventionen nach dem Gießkannenprinzip. Das hat den Gewerkschaftsdachverband COB nicht davon abgehalten, einen unbefristeten Generalstreik gegen das „Hungerdekret“ auszurufen. Die beschlossenen Transferzahlungen reichen vermutlich nicht aus, um die erwartbare Erhöhung der Lebenshaltungskosten auszugleichen.

Einkauf am Gemüsestand. Die Streichung der Diesel-Subventionen lässt einen Preisanstieg erwarten. Foto: Katrin Schweiker

Trittbrettfahrer der Sparmaßnahmen

Die von den Buslinien angekündigte Verdoppelung der Fahrpreise (in La Paz von 2,40 auf 5 Bolivianos, umgerechnet 45 Cent) scheint jedoch übertrieben. Schließlich seien die Importzölle für Ersatzteile drastisch gesenkt worden, erklärte Wirtschaftsminister Gabriel Espinoza. Diese Steuersenkungen wären nicht an den Transportsektor weitergeben worden, argumentieren die Bus- und Taxifahrer von La Paz. Allerdings macht laut bisherigen Kostenstudien der Treibstoff nur zwischen 20 und 30 Prozent der Betriebskosten aus. Eine Verdoppelung des Benzinpreises würde demnach nur eine zehn- bis fünfzehnprozentige Erhöhung des Fahrpreises rechtfertigen. Das räumt auch der ein oder andere Busfahrer in der Andenmetropole ein. Gleichwohl hat ihre Organisation eine mögliche offizielle Erhöhung des Fahrpreises von 2,40 auf 3 Bolivianos, die die Stadtverwaltung genehmigen muss, als unzureichend abgelehnt und den ersten Warnstreik und Straßenblockaden mit weihnachtlich geschmückten Fahrzeugen durchgeführt. Drei Bolivianos ist auch der Fahrpreis pro Strecke, den die Busfahrer jetzt schon ohne offizielle Genehmigung nehmen, und den die Gemüseverkäuferin auch für akzeptabel hält. Über die ganzen Feiertage hinweg würden sie und ihre Tochter am Stand verkaufen. Einen freien Tag könnten sie sich in diesen Zeiten nicht leisten. Aber sie hoffe, dass es in nicht allzu langer Zeit wirtschaftlich auch wieder aufwärts geht.

Die staatliche Seilbahn fährt noch über die blockierte Straße, Foto: Peter Strack

Zunächst waren unbegrenzte Streiks ab Montag angekündigt, sollte die Regierung das Dekret nicht aufheben. Ohne Annullierung des Dekrets keine Verhandlungen, hieß es zunächst, um dann doch der Einladung der Regierung zu folgen. Spät in der Nacht kam es dann zu einer vorläufigen Einigung, die neuen Fahrpreise mit den Stadtverwaltungen in Kommissionen zu erarbeiten. Der Transportsektor spürt Gegenwind auch von den Nachbarschaftsorganisationen. Kurz zuvor hatten die Gütertransportunternehmen von Santa Cruz und Cochabamba sich mit der Regierung bereits auf weitere steuerliche und administrative Erleichterungen geeinigt und den zunächst ebenfalls angedrohten Streik von ihrer Seite aus abgeblasen. Evo Morales Kokabauern kündigten derweil einen Protestmarsch aus dem Chapare Richtung Cochabamba an.

Ein Vizepräsident als Oppositionsführer

Als Hauptopponent gegen das Dekret entpuppte sich allerdings Vizepräsident Edmand Lara, der sich in dieser Sache mit Jorge Quirogas Partei LIBRE verbündet hat. Viele Maßnahmen des Gesetzespaketes seien richtig und von ihm selbst vorgeschlagen worden, so Ex-Präsident Jorge Tuto Quiroga. Die sofortige Abschaffung der Benzinpreissubventionen sei wegen der inflationären Effekte jedoch ein Fehler. Und Spareffekte würden durch die neu versprochenen Transferzahlungen wieder aufgefressen. So blieb nur das in den Präsidentschaftswahlen unterlegene Bündnis Unidad, das die Regierungsentscheidung offen unterstützt hat. Gleichwohl ist ein Versuch von Vizepräsident Lara im Parlament gescheitert, das Dekret per Gesetz aufheben zu lassen.

Bei Transportstreik mit Straßenblockaden kann auch das Blechkamel der Weihnachtskrippe vor dem Stadion in La Paz nicht weiterhelfen. Foto: P. Strack

Denn eine Sache sind öffentliche Verlautbarungen, von denen man sich politische Rendite erhofft, eine andere die zähneknirschende Gewissheit, dass die Währungsreserven aufgebraucht sind und kein Staat über Jahrzehnte über seine Verhältnisse leben kann. Für eine stufenweise Aufhebung er Subventionen, sei schlichtweg kein Geld mehr da, bekräftigte Präsident Paz Pereira. Bei einer online-Abstimmung des populären Radionetzwerks ERBOL halten sich Befürworter*innen und Gegner*innen der Sparmaßnahmen der Regierung in etwa die Waage. Nachbarschaftsorganisationen in Cochabamba oder Händler*innen aus La Paz hatten gegen gegen das Dekret demonstriert. Und Bergarbeiterkooperativen aus Potosí gedroht, den Präsidenten zu stürzen, während die Goldkooperativen und Bergbauunternehmen die Maßnahmen unterstützen.

Schmuggel und Schwarzmarkthandel als Verlierer

Im letzten Jahr hätten sie sich angesichts des Treibstoffmangels auf dem Schwarzmarkt zu weit höheren Preisen versorgen müssen. Für sie verringere das Dekret 5503 sogar die Produktionskosten. Tatsächlich treten die größten Verlierer der Maßnahme nicht in die Öffentlichkeit: Mindestens 30 und bis zu 40 Prozent des staatlich subventionierten Benzins und Diesel, so die Regierung, seien bislang auf den Schwarzmarkt oder per Schmuggel in die Nachbarländer abgezweigt worden und hätten einigen Wenigen auf Kosten der Gesamtbevölkerung die Taschen gefüllt (siehe diesen früheren Beitrag auf Latinorama).

Diesel wurde auf kleinere Fahrzeuge umgeladen und auf dem Schwarzmarkt zu einem höheren Preis verkauft, Foto: Eduardo LLanos/Revista La Brava

Die Schwierigkeiten und der Aufwand dabei, den Schmuggel und Schwarzhandel zu unterbinden, waren vermutlich auch ein Grund, nicht länger mit der Subventionsstreichung zu warten. Obwohl die neue Chefin der Aufsichtsbehörde zehn Jahre lang unter der Regierung von Morales gedient hat und daher die Mechanismen bestens kennt.

Seit Verkündung des Dekrets habe sich der Import von Treibstoff um fast ein Drittel reduziert, berichtet Wirtschaftsminister Gabriel Espinoza, ohne dass es erneut zu Warteschlangen gekommen sei. Die gab es nur, bis das subventionierte billigere Benzin aufgebraucht war, bevor die neuen Preise galten. Oder in anderen Worten: Mit der Preiserhöhung wurden nicht nur 10 Millionen US-Dollar pro Tag an Subventionen eingespart, sondern anscheinend auch Schmuggel und Schwarzhandel die Grundlage entzogen.

Offener Ausgang des Kräftemessens

Es sind solche Argumente mit denen die Regierung versucht, Unterstützung zu mobilisieren. Auch die Ankündigung eines Einstellungsstopps im Staatsdienst und dass die Löhne dort eingefroren werden sollen. Doch dass das Maßnahmenpaket soziale Schlagseite hat, nährt die Proteste. Zwar sind die Unternehmen auch von der Erhöhung des Mindestlohns betroffen. Doch die liegt noch unter der aktuellen Jahresinflationsrate. Dafür bekommen die Agroexporteure Steuererleichterungen. Ob das wirklich mehr Devisen ins Land bringt, ist keineswegs gesagt. Hinzu kommt die lange geforderte Liberalisierung der Exporte. Dadurch tritt die bolivianische Bevölkerung jedoch in Konkurrenz mit internationalen kaufkräftigeren Kunden.

Überschwemmungen in Santa Cruz und Ausweitung der Rinderproduktion auf der Titelseite der Tageszeitung La Razón, Ein Zusammenhang wird nicht hergestellt

So wurde gerade ein Abkommen zum Fleischexport nach Ägypten und in den arabischen Raum unterzeichnet. Das wird nicht nur den Preisdruck in Bolivien erhöhen, sondern könnte – ganz ohne die erneut verschobene Unterzeichnung des EU-MERCOSUR Abkommens – auch die Zerstörung weiterer Waldflächen befördern. Die zeigt derzeit wieder mit Überschwemmungen im Tieflanddepartament Santa Cruz mit Toten und Verletzten ihre katastrophalen Folgen, ohne dass die Regierung diesen Zusammenhang thematisiert. Und dass die US-Regierung und Argentiniens Präsident Javier Milei das Wirtschaftspaket befürworten, dürfte in der öffentlichen Meinung eher den Vorwurf bestärken, dass es vor allem die ärmeren Bevölkerungsgruppen und die Mittelschicht sein werden, die für die Sanierung der Staatsfinanzen bluten müssen.

Mit dem Dekret 5503 beginne die wirkliche Regierungszeit von Präsident Paz Pereira, hieß es in der Tageszeitung La Razón vom 21. Dezember. Der Konflikt werde zeigen, wer die Regierung wirklich unterstützt. Und es wird sich zeigen, welche Zugeständnisse die Regierung vielleicht doch noch machen muss. „Wir verstehen, dass sie protestieren wollen, und wir denken, es ist auch nötig“, räumte der Verteidigungsminister Raúl Marcelo Salinas am Sonntag noch ein, bevor er in weitere Verhandlungsrunden mit diversen sozialen Gruppen eingetreten war. Aber ein Protest ohne einen Lösungsvorschlag habe keinen Sinn, so der Minister. Auch die Drohungen des Bürgermeisters von Santa Cruz, streikenden Buslinien die Lizenz zu entziehen und die Streckenmonopole aufzulösen, hatte dort den Streik zunächst nicht stoppen können.

Gleichwohl ist fast allen klar, dass ein Politikwechsel nötig war.

Auf dem Wandgemälde am Zentralbankgebäude aus dem Jahr 2025 sind die Industrialisierungsträume der MAS-Regierung noch lebendig. Zahlreiche Staatsunternehmen sind bei der Zentralbank jedoch hoch verschuldet, Foto: Peter Strack

Zumal das staatliche Lithium-Projekt, das lange als Zukunftshoffnung und Alternative für die früher üppigen Erdgaseinnahmen angesehen wurde, wie der zuständige Minister Mauricio Medinaceli gerade bekannt gab, am Rande des Bankrotts steht. Mit umgerechnet um die 500 Millionen Euro stehe das Staatsunternehmen YLB bei der bolivianischen Zentralbank in der Kreide und ohne die nötigen Einnahmen, die für 2026 vereinbarten Tilgungen zu leisten.

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