Am Mittwochabend hatte der Moderator „Gringo“ Gonzalez im RTP Fernsehen noch über die „Panikmache“ der US-Geheimdienste gelästert, die mal wieder mit Falschmeldungen glänzen würden. Doch es war sein Programm „Modo Avión“, das wie viele von uns wie im “Flugmodus“ von der brutalen Wirklichkeit abgeschnitten war. Als am nächsten Morgen die Nachricht vom Einmarsch der russischen Truppen und der Raketenangriffe auf die Ukraine auch Bolivien erreicht hatte und der Abgeordnete Juanito Angulo nach der Position der bolivianischen Regierungspartei gefragt wurde, wollte der keine Stellung nehmen. Bolivien sei ein souveräner Staat und respektiere die Absichten der anderen Staaten, so der MAS-Abgeordnete. Ob Russland mit dem Einmarsch nicht die Souveranität der Ukraine verletzt habe, wurde nachgefragt. Das könne er nicht bestätigen. “Wir leben ja nicht dort.“ Immerhin ergänzte er noch, er sei nicht mit Kriegen einverstanden. Kriege verletzten die elementaren Menschenrechte und brächten nur Armut. Wege des Dialogs seien nötig.
Am schnellsten hatte die Opposition reagiert: „Wir fordern die Regierung auf“, schrieb Ex-Präsident Carlos Mesa, „dass sie die imperialistische Invasion Russlands in die Republik Ukraine verurteilt. Frieden, Souveranität und die Freiheit der Länder sind grundlegende Werte, die wir über alle Ideologien hinweg verteidigen müssen“.
Während Jorge „Tuto“ Quiroga , ebenfalls früherer Präsident, die Gelegenheit zu nutzen versuchte, nicht gerade eng an der historischen Wahrheit in Bezug auf die Vergangenheit mit seinen ideologischen Widersachern abzurechnen: „Wir hoffen, dass Chavistas, Sozialisten des XXI. Jahrhunderts und die vom Forum von Puebla, die seit Jahren von Invasionen durch die USA fantasieren, die nie eingetreten sind, heute die Souveranität der Ukraine verteidigen.“
Nach einem Tag reagierte auch der mit angesprochene Ex-Präsident Evo Morales. Er (oder seine Ghostwriter) twitterten. „Krieg ist nie eine Lösung. Wir vertreten eine Kultur des Friedens. Bolivien ist pazifistisch und anti-imperialistisch“, um diese Prinzipien dann in der ihm eigenen Weise zu interpretieren: „Wir verurteilen den Interventionismus der Vereinigten Staaten, mit dem sie Länder wie Russland und die Ukraine gegeneinander aufbringen. Europa darf nicht der Schauplatz der Operationen der Vereinigten Staaten gegen souveräne Staaten werden.“
Die Reaktion der bolivianischen Regierung dauerte etwas. Zunächst hatte die staatliche Nachrichtenagentur ABI auf ihrer Homepage nur ausführlich die Begründungen in der Rede des russischen Präsidenten Putin vor dem Einmarsch zitiert. Die Position der ukrainischen Regierung und der Europäischen Union wurden jeweils mit einem Satz erwähnt. Aber in der folgenden offiziellen Stellungnahme bekräftigte das bolivianische Außenministerium die internationale Rechtslage, ohne konkret zu werden, aber auch ohne einseitige Schuldzuweisungen.
Man beklagte den fehlenden Dialog, der die Eskalation des Konflikts in der Ukraine provoziert habe. „Bolivien ruft zum Frieden auf und fordert die Konfliktparteien auf, im Rahmen des internationalen Rechts und der Charta der Vereinten Nationen politisch-diplomatische Lösungen zu suchen.“ Alle Seiten seien aufgerufen, Entspannungsmaßnahmen umzusetzen und auf Gewalt zu verzichten. „Im Rahmen des Internationalen Rechts, der Menschenrechte und des Völkerrechts das Leben zu schützen, muss Priorität haben.“
Die regierungsnahe Tageszeitung La Razón sprach dagegen direkt von einer Invasion, berichtete von den Zerstörungen und auch ausführlich über die Position der Ukraine. Meist geschah dies basiert auf Meldungen der französischen Nachrichtenagentur AFP.
Der bolivianische Präsident Luis Arce Catacora selbst verzichtete auf eine Stellungnahme. Das geschieht häufig, wenn Themen innerparteilich umstritten sind. Den Vogel bei denen, die sich vermutlich nur bei Russia Today informieren, hat wohl Rolando Cuellar, MAS Abgeordneter aus Santa Cruz, abgeschossen: Er wolle die „zutreffende Entscheidung“ des Präsidenten Putin unterstützen. „Der Präsident Russlands hat entschieden, das russische Volk vor den Drohungen des diktatorischen Präsidenten der Ukraine zu schützen. Der ukrainische Präsident wird keine Nazi-Kolonie errichten können. Er darf keine Militärbasen in Kiew installieren,“ so Cuellar. Folgt man diesem Argument, dürfte die bolivianische Regierung auch keine Militärbasen in La Paz oder Sucre, oder die russische keine Militärpräsenz in Moskau haben. Auch bei Cuellar mag eine Rolle gespielt haben, dass er nicht in der Ukraine lebt. Einer der etwa drei Dutzend in Kiew ausharrenden Bolivianer, Luis Alberto Flores Posternak, antwortete in einer Live-Schaltung mit dem Fernsehsender UNITEL. „Nie in meinem Leben habe ich solch einen Unsinn gehört.“