Nun sollen es also Gas, Kohle und Öl richten. Um die Stromversorgung in Brasilien während der 2014 im Land anstehenden Fußballweltmeisterschaft zu gewährleisten und großflächige Stromausfälle wie den apagão („großer Stromausfall“) oder die über 60 Netzausfälle allein im Jahr 2012 zu vermeiden, kündigte der Direktor der Netzüberwachungs-Gesellschaft ONS, Hermes Chipp, an, während der mehrmonatigen Trockenzeit bereits vorsorglich die Gas-, Kohle- und Öl-Kraftwerke zur Stromproduktion durchlaufen zu lassen.
„Die Gas- und Kohlekraftwerke werden während der gesamten Trockenzeit in Betrieb bleiben“, um die Versorgung 2014 zu sichern, so Chipp gegenüber der Zeitung Valor Econômico. Wenn es zu ausreichend Regenfällen komme und die Reservoirs der Stauseen voll seien, könnten die Öl-Kraftwerke ausgeschaltet werden, aber die Gas- und Kohlekraftwerke sollten durchgängig laufen. Denn 2014, das sei „ein besonderes Jahr, wegen der Fußball-Weltmeisterschaft“. Die Agentur A Pública fragte umgehend bei der ONS nach, ob die im Valor Econômico zitierte Aussage Chipps zutreffe, doch die Netzüberwachungs-Gesellschaft verweigerte jede weitere diesbezügliche Äußerung. Für die Fußballweltmeisterschaft könne man wohl verschmutzen, kritisiert A Pública das Vorgehen. Aber „es dürfen ja bloß nicht die Gringos im Dunkeln sitzen“, spottete die Agentur.
Mit dem Verweis auf die Weltmeisterschaft 2014 oder die Olympischen Spiele in Rio 2016 wird in Brasilien zur Zeit vieles durchgezogen, was den Protest der lokal betroffenen Anwohner und der sozialen Bewegungen hervorruft: Vertreibungen aus Favelas, die infolge des Immobilienbooms massiv an Wert gewonnen haben, Großprojekte, die ohne zuvorige Anhörung der Betroffenen stattfinden, Sondergesetze für die Zeit der WM, um den verfassungsgemäß garantierten Rechten der betroffenen Bevölkerung rechtliche Riegel vorzuschieben. Rios Bürgermeister Eduardo Paes ließ sich im März 2012 im Gespräch mit der BBC hinreißen und erklärte frank und frei, „die Olympischen Spiele sind eine phantastischer Vorwand, um Rio zu ändern“.
Und nun also dient das Großereignis Fußballweltmeisterschaft in Brasilien auch für den weiteren Ausbau fossiler Stromproduktion. Laut Valor sind derzeit 60 fossil betriebene Kraftwerke mit einer Leistung von 15 GW in Brasilien an das landesweite Stromnetz angeschlossen und in Betrieb. Und der geplante Ausbau der Kohlekraftwerke im Land nimmt weiter an Fahrt auf: Für 2013 plant ein Joint-Venture von E.ON und MPX, an der wiederum die deutsche E.ON sich im Januar 2012 mit 10 Prozent beteiligt hat, die Inbetriebnahme der Kraftwerke Pecém 1 und 2 im Bundesstaat Ceará mit je 360 MW und die Verdoppelung des Kraftwerks Parnaíba im Bundesstaat Maranhão auf 675,2 MW. Insgesamt plant das E.ON-MPX-Joint-Venture in Brasilien und Chile die Errichtung von bis zu 20 GW fossiler Kraftwerksbauten. Für die folgenden Jahre plant E.ON/MPX den Bau der zwei Kohle- und Gaskraftwerke beim sogenannten „Super-Hafen“ Açu im Bundesstaat Rio de Janeiro. Die dortige Kraftwerkleistung soll zusammen 5.400 MW betragen.
Der Bau des gesamten Hafengeländes von Açu erfolgt unter der Ägide des Konzerns LLX, der ebenso wie MPX einem der reichten Männer Brasilien, Eike Batista, gehört, und der „Super“-Hafen von Açu steht auch nicht gerade für lokal angepasste Entwicklung: Es soll zu Vertreibungen der Kleinbauern gekommen sein und Vorwürfe stehen im Raume, bewaffnete Mafiamilizen würden die dort ansässigen Bauern bedrohen und vom Lande vertreiben. Die Anschuldigungen werden derzeit von der Staatsanwaltschaft in Rio untersucht.
E.ON derweil vermutet in Brasiliens steigender Stromnachfrage einen Boom – und will mittels des Joint-Ventures MPX auch vermehrt auf Gas setzen. Dabei wird Brasiliens Strommix von den Regierungsverantwortlichen so gerne als „grün“ dargestellt: Laut den Statistiken des Jahres 2010 trugen Staudämme mit einer Leistung von 80 GW, konventionelle Kraftwerke (Kohle, Öl, Gas, Biomasse) mit 30 GW, Windkraft mit 2 GW, Atomkraft mit 1,9 GW Leistung und Photovoltaik mit rund 1 MW zur Gesamtleistung von rund 114 GW bei. Doch die immensen sozialen und Umweltkosten der Großstaudämme lassen Brasiliens Strommatrix in einem anderen Licht erscheinen. Da ist die von der Energiekontrollbehörde Aneel im vergangenen Jahr erlassene Erleichterung bei der Installationserlaubnis für dezentrale Energieproduktion inklusive Photovoltaik bei kleinen Anlagen auch für Privatleute, bei denen der nicht selbst verbrauchte Strom ins Netz eingespeist werden kann und die Kleinproduzenten dafür Strom-Kredite für spätere Verwendung gutgeschrieben bekommen, ein kleiner Lichtblick. Und so könnte dann zur Fußballweltmeisterschaft 2014, wenn die Spiele – wie von der FIFA gewollt – zur besten Sendezeit in Europa am Abend laufen und wegen der 5 Stunden Zeitverschiebung in Brasilien die Sonnenstrahlung noch kräftig ist, die Sonne ihren wenn auch kleinen Anteil daran haben, dass es zu keinem apagão kommt.