vonClaudius Prößer 10.10.2009

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Der chilenische Wahlkampf läuft inzwischen auf Hochtouren und bringt manche Überraschung mit sich. Etwa die, dass nach einhelliger Meinung der meisten Be­ob­ach­ter Jorge Arrate, der Kandidat der außer­par­la­mentarischen Linken, die erste Fern­seh­de­bat­te der ver­blie­benen vier Kandidaten eindeutig für sich entschieden hat. Das wird dem sil­ber­haa­ri­gen Ex-Sozialisten zwar nicht in den Prä­si­den­ten­pa­last ver­hel­fen – die besten Umfragewerte für ihn liegen bei vier Prozent der Stim­men -, aber der linken Sache schadet es gewiss nicht. Arrate, der von den Kommunisten und den „allendistischen“ Sozialisten unterstützt wird, punktete mit sicherem, entspanntem und humorvollem Auftreten, aber auch mit glasklaren Aussagen zum größten Skandalon im Chile von heute: der abgrundtiefen sozialen Ungleichheit, die allen löblichen Gesundheits- und Rentenreformen zum Trotz das Land spaltet.

Im Mittelfeld bewegten sich Marco Enríquez-Ominami, der Querschläger aus den Reihen der Sozialistischen Partei, dessen jugendlich-re­bel­lisches Image unter dem stark reglementierten TV-Format litt, und Ex-Präsident Eduardo Frei, Kandidat der regierenden Concertación, bei dem man nicht genau weiß, ob man seinen Habitus als empathiearm oder cool bezeichnen soll. Vermutlich wüsste er es selbst nicht.

Aus Sicht der Zuschauer klarer Verlierer war hingegen Sebastián Piñera, der für die rechte Alianza por Chile Präsident werden und das rechte Trauma überwinden will, seit 50 Jahren keine Wahl mehr gewonnen zu haben. „Sebastián Piñera, Presidente 2010-2014“ steht über seiner Kampagnenwebsite, aber so sicher kann er sich des Erfolgs nicht sein, allen Abnutzungserscheinungen der Concertación zum Trotz. Piñera war schlecht gekleidet, drosch Phrasen und zeigte Nerven. Letzteres hatte auch damit zu tun, dass Transparency International am selben Tag seinen „Global Corruption Report 2009“ vorgestellt hatte, und er selbst, also Piñera, im von Chile Transparente (CT) verfassten Länderkapitel na­ment­lich auftauchte – als Unternehmer, der 2006 ein dickes Ak­tien­pa­ket der Flug­ge­sell­schaft LAN möglicherweise auf der Grundlage von Insiderinformationen gekauft hat.

Frei schmierte das seinem Konkurrenten ungerührt aufs Brot – direkt vor dem Werbeblock. Der Geschmähte konnte sich erst viel später ver­tei­di­gen, und auch das gelang ihm nur mit Mühe. Für Chile Trans­pa­ren­te hatte die Geschichte freilich ein Nachspiel: Piñera schoss in den Folgetagen aus allen Rohren zurück, und der Vorstand von CT ent­schied schließlich nach einer Sondersitzung, sich von den Aussagen des eigenen Berichts teilweise zu distanzieren. Begründung: Für den Text seien allein dessen Autoren verantwortlich. Alles in allem ein eher undurchsichtiger Vorgang und insofern kein Ruhmesblatt für die NGO.

Inzwischen hat sich Sebastián Piñera freilich als wahrer Erbe des Wi­der­stands gegen Pinochet geoutet. In einem Video auf seinem You­tube-­Ka­nal be­glück­wünsch­te er sich und seine Mitbürger zu 21 Jah­ren „No“ – am 5. Oktober 1988 war Pinochet daran gescheitert, sich per Plebiszit acht weitere Jahre an der Macht zu halten. Richtig ist, dass Piñera aus einer zutiefst christdemokratischen Familie kommt, genauer: Sein Vater José war einer der Gründer der chilenischen Christdemokraten. Richtig ist auch, dass Sebastián damals offen bekannte, gegen die Fortführung der „Militärregierung“ zu stimmen. Dennoch ist die Verklärung seiner Vergangenheit, die der Kandidat der Rechten betreibt, doppelt absurd. Links von ihm nimmt sie ihm keiner ab, rechts von ihm (wo noch viel Raum bis zum Ende des Spektrums ist), rümpft man die Nase.

Vollends absurd wird es, wenn Piñera als Beweis seiner Affinität zum „No“ ein wenige Sekunden langes historisches Video zeigt, auf dem er am Rande einer Demonstration zu sehen ist. Um was für eine Demo es sich genau handelt, erfährt man nicht, auch nicht, warum der junge Mann sich entgegen den anderen De­mons­tra­tions­teil­nehmern bewegt, und schon gar nicht, warum er ein so gänzlich un­op­po­si­tio­nel­les Outfit zur Schau trägt (weißes Hemd und Blouson, Kurz­haar­schnitt und Sonnenbrille). So liefen damals doch Pinochets Spitzel herum, sagen alle unisono, und auch wenn man das Piñera nicht unterstellen möchte – vielleicht ist es ein Augenzwinkern in Richtung seiner rechten Un­ter­stützer, die subtile Andeutung, seine Rolle könnte damals ja, rein theo­re­tisch natürlich, eine ganz andere gewesen sein? Wer weiß.

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