Pünktlich zum 1. Mai meldet sich auch die lateinamerikanische Bewegung arbeitender Kinder und Jugendlicher MOLACNATS mit einem Aufruf unter dem bekannten Motto „Ja zu würdiger Arbeit, Nein zur Ausbeutung“ wieder zu Wort. Dabei fordern sie unter anderem für Peru ein Kinder- und Jugendgesetz, das der Situation angemessen sei. Es solle die arbeitenden Kinder schützen und ihnen eine aktive Beteiligung um politischen Leben ermöglichen. In Bolivien gäbe es ein solches Gesetz, nur werde es kaum angewandt.
In einem kürzlich veröffentlichten Dokumentarfilm, Ana Rosa und ihr Recht auf Kinderarbeit, bringt der Journalist Wilfried Huismann die Enttäuschung arbeitender Kinder in der Bergwerksstadt Potosí ebenso zum Ausdruck wie die Schwierigkeiten der zuständigen finanziell vollkommen unzureichend ausgestatteten Behörden. Bei einer offiziellen Zahl von 800.000 oder gar einer Million arbeitender Kinder und Jugendlicher im Lande wird die Dimension der Herausforderung deutlich. Statt sich auf den neuen Weg einzulassen, den Bolivien und die arbeitenden Kinder des Landes gehen wollen, erhöhen Internationale Arbeitsorganisation und UNICEF den Druck auf Bolivien, sein von den arbeitenden Kinder mitgestaltetes Gesetz den eigenen Vorstellungen anzupassen.
Ein kleiner Lichtblick in diesem Zusammenhang war das vom bolivianischen Erziehungsministerium unmittelbar vor dem 1. Mai veranstaltete II. Nationale Treffen zur Schulsituation der arbeitenden Kinder. Zu dem waren Delegierte der organisierten arbeitenden Kinder aus verschiedenen Landesteilen angereist, um mit der Bildungsbehörde und dem Erziehungsminister Roberto Aguilar persönlich über Verbesserungsvorschläge zu diskutieren.
Etwa den Samstag von schulischen Aktivitäten freizuhalten, wie Lizeth Reyna Castro, Sprecherin der nationalen Vereinigung arbeitender Kinder UNATSBO, an einem solchen Samstag einem aufmerksamen Minister vortrug. Denn: „Für den Samstag, an dem du nicht arbeitest, fehlt dir dann das Geld in der kommenden Woche“. Zu überlegen, wie Lizeth die kommende Woche über die Runden kommen wird, blieb dem Zuhörer überlassen. Das Kinder- und Jugendgesetz sei noch viel zu wenig bekannt, kritisierten die Kinder und schlugen Radio- und Fernsehspots vor. Kaum ein Arbeitgeber erfülle die Vorgabe, seinem jungen Personal zwei Stunden täglich für das Lernen frei zu geben. Und überlange Arbeitszeiten seien keine Seltenheit.
Wichtig war den Kindern aber auch, dass die Schule stärker produktive Tätigkeiten in den Lehrplan aufnehmen und die Brücke zu ihren Arbeitserfahrungen schlagen soll. Vor allem aber müssten die Schulbücher billiger werden. Ein Englisch-Buch kostet zum Beispiel mehr als umgerechnet 4 Euro. Das sei für viele arbeitende Kinder nicht zu bezahlen. Das Erziehungsministerium könne auch die Schulbibliotheken besser ausstatten, ergänzt um Nachhilfe, dort wo die Kinder Lernschwierigkeiten hätten. Viele Bibliotheken seien allerdings geschlossen, weil die Schulleitung nicht wolle, dass die Bücher durch Nutzung beschädigt würden.
Zu einem Vorschlag, einem Stipendienprogramm für organisierte arbeitende Kinder, machte der Bildungsminister noch während der Veranstaltung die Zusage, ihn umgehend umzusetzen. Für andere Ideen wurde die Einberufung technischer Kommissionen angekündigt.
Am lebhaftesten war die Debatte dort, wo der Schulalltag zum Thema wurde. Nachdem der Minister den Namen einer Schule hatte notieren lassen, wo arbeitende Kinder vom Unterricht ausgeschlossen worden waren, weil sie ohne Uniform direkt von der Arbeit zur Schule gekommen waren, und versprochen hatte, das dieser Gesetzeswidrigkeit nachgegangen werde, waren die Kinder kaum noch zu stoppen.
„Wenn du kein Geld hast, warum kommst du dann in die Schule. Gehe arbeiten“, habe eine Lehrerin zu einem Jungen gesagt. Ebenfalls gesetzeswidrig, wie der Minister betonte, die Praxis, die Familien zum Kauf von Schuluniformen von den schuleigenen und meist teureren Lieferanten zu zwingen. Oder schlechtere Noten zu geben wegen fehlender Uniform; Strafzahlungen für Zuspätkommen; Schläge mit dem Schulheft oder dem Lineal, weil die Hausaufgaben nicht erledigt worden seien. Mehr als deutlich wurde, dass nicht die Gesetze, sondern eine veraltete Praxis das Hauptproblem nicht nur der arbeitenden Kinder in vielen öffentlichen Schulen Boliviens sind.
„Das ist Gewalt und strafbar“, unterstrich Aguilar, als ein Junge davon berichtete, dass ein Lehrer ihm zwangsweise die angeblich zu langen Haare geschnitten habe. Und dann berichtete der Minister, dass er selbst als Schüler, dessen Eltern in Zeiten der Militärdiktatur unter Banzer im Exil waren, sich mit seinen Geschwistern habe quasi alleine durchschlagen müssen. Und auch er sei damals wegen schulterlanger Haare, die damals Mode gewesen seien, von der Schule geflogen. Ein lebhafter Applaus zum Ende der Veranstaltung war dem Minister sicher, bevor er wie die Kinder und Jugendlichen wieder zurück in einen Alltag gingen, der geprägt ist von viel zu knappen Ressourcen und anderen Prioritäten.
Titelfoto: Die Vorsitzende der nationalen Vereinigung arbeitender Kinder und Jugendlicher auf dem Treffen mit dem Bildungsministerium (Foto: C. Barrios/ABI), Foto: Ana Rosa aus Potosí (Foto: Anaconda), Foto: Der Minister im Gespräch mit den Delegierten der Organisationen arbeitender Kinder (Foto: C. Barrios/ABI)
Danke für diesen sehr guten Berich aus Bolivien.