vonericbonse 04.07.2020

Lost in EUrope

Eric Bonse, EU-Korrespondent der taz in Brüssel, schreibt hier all das über Europa und seine Krise(n), was die EU gerne verdrängen würde | Bild: dpa

Mehr über diesen Blog

“Wir sollten nicht zu oft die Existenzfrage stellen, sondern unsere Arbeit tun.” Mit dieser Devise geht Kanzlerin Merkel an den deutschen Ratsvorsitz. Dennoch muß die Frage erlaubt sein: Wie krank ist die EU wirklich, steht ihre Existenz auf dem Spiel?

Die kurze Antwort lautet: Ja, es ist ernst, die EU liegt auf der Intensivstation und wird künstlich beatmet. “Wir kommen in eine sehr ernste Zeit, das muss ich ganz deutlich sagen”, betonte Merkel im Bundestag zum Start ihres EU-Vorsitzes.

Daran hat auch der deutsch-französische Vorstoß für einen 500-Mrd.-Euro-Rettungsplan nichts geändert. Die Widerstände sind nach wie vor groß. Die Situation ist so verfahren, dass schon von einem weiteren EU-Gipfel im Juli die Rede ist.

Doch selbst wenn man sich doch noch einigt, ist die EU längst nicht über den Berg. Dies zeigt ein Blick auf die drei wichtigsten Institutionen.

  • Die EU-Kommission ist schwach wie nie. Behördenchefin von der Leyen war über Wochen nicht in der Lage, einen eigenen Rettungsplan vorzulegen – Merkel und Macron mußten ihr zu Hilfe kommen. Die Kommission konnte weder den Zusammenbruch des Schengenraums verhindern noch für gleiche Chance im Binnenmarkt sorgen – Deutschland drückt mit seinen Corona-Hilfen alle an die Wand!
  • Der Rat, also die Vertretung der 27 EU-Länder, ist kaum noch handlungsfähig, weil gespalten – in Nord-Süd, Ost-West, Clübchen wie die “Frugal four” oder die Visegrad-Gruppe. Der ständige Ratspräsident Michel hat noch keine brauchbaren Vorschläge zur Lösung des Finanzstreits vorgelegt – und rangelt lieber mit von der Leyen um das Protokoll und andere Kleinigkeiten. “Wie im Kindergarten”, so der “Spiegel”.
  • Das Parlament ist seit dem Beginn der Coronakrise nur noch ein Schatten seiner selbst. Es ist wegen mangelnder Präsenz in Brüssel kaum noch arbeitsfähig und verschwindet zunehmend unter dem Radar. Die Abgeordneten nehmen ihre Kontrollfunktion nicht wahr und stellen das EU-Krisenmanagement nicht in Frage. Stabile Mehrheiten gibt es auch nicht, was für Unsicherheit sorgt – auch beim künftigen EU-Budget.

Die einzige Institution, die weiter ordentlich arbeitet, ist die Europäische Zentralbank – doch sie steht wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts unter Rechtfertigungsdruck.

Derweil leistet sich die Eurogruppe, die die EZB eigentlich mit fiskalpolitischen Impulsen entlasten sollte, eine ausgewachsene Führungskrise; das informelle Gremium ist kaum noch entscheidungsfähig.

Die desolate Lage ist keine Überraschung, denn schon vor Corona ging es der EU schlecht, bereits vor der Europawahl im Mai 2019 steckte sie in einer “Polykrise”. Corona hat viele Probleme nur verstärkt.

Seit geraumer Zeit wird die EU vor allem durch äußere Bedrohungen zusammengehalten – Trump, Putin, Erdogan und der Brexit schweißen den Club zusammen, jedenfalls bisher noch.

Und dann ist da natürlich Merkel – auch sie gibt den uneinigen EUropäern ein wenig Halt. Dabei wirkt die deutsche Kanzlerin doch eigentlich nur so stark, weil die anderen so schwach sind. Oder?

Siehe auch “Der Tag, an dem die EU starb und “Kein Vertrauen, nirgends”

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/lostineurope/auf-der-intensivstation/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Juncker war kein Traumkandidat, aber er mußte Kommissionspräsident werden, weil seine Partei (EPP) die stärkste war. Jetzt sollte es die 2. Spitzenkandidatenwahl geben, aber Weber und Timmermanns waren kaum auf Plakaten zu sehen. Die hessische CDU sagte mir, man habe schließlich auch den hessischen Spitzenkandidaten zeigen müssen. Häh, Kandidat für was?
    Das EU Parlament hätte die Macht gehabt von der Leyen zu verhindern, die wir nicht gewählt haben, denn sie müssen der Kommission zustimmen. Stattdessen haben sie sich Macrons Machenschaften gebeugt, der geschickt eine Frau aus Merkels Kreis ausgewählt hat. Für ihn zählt, ganz nach Ludwig XIV. „L’EU, c’est moi ! (jaja, frz.: UE)“ Der Bürgerwille, so er denn nach dem schwachen Wahlkampf überhaupt erkennbar war, blieb auf der Strecke.
    Wurde überhaupt irgendeine Lehre aus dem Brexit-Debakel gezogen? Ich trauere um unsere schöne EU, die ich nicht der Lobbykratie überlassen will!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert