META+VERSE – Das Zine von Ruggero Maggi & Hans Braumüller
Auf dem ewigen Weg der Kunst, jenseits der geschaffenen Werke, bleiben Spuren der Freundschaft, die aus Begegnungen auf der Suche nach den Idealen für eine gerechtere Gesellschaft entstehen. Besonders in der Mail Art, deren Prinzipien den Multikulturalismus, die Beziehungen zwischen Generationen, Geschlechtern, Ethnien und sozialen Klassen fördern, wo es keine Zensur und keinen persönlichen Profit gibt, stellt Meta+Verse einen offenen Vorschlag von zwei Künstlern dar, die, ohne sich persönlich zu kennen, diese Beziehung durch einen jahrzentelangen Austausch geschaffen haben.
Die Anfänge
Als Hans Braumüller an der Universität von Chile in Santiago, während der Diktatur von Augusto Pinochet, Bildende Kunst studierte, begann er, sich an der Mail Art zu beteiligen, dank einer Einladung des chilenischen Künstlers Gregorio Berchenko, der damals in Paris lebte, an dem Sammelmagazin UNI/vers (;) mitzuwirken, einem Projekt für Visuelle Poesie des Chilenen Guillermo Deisler, der in Halle, damals DDR, lebte. Als das Portfolio UNI/vers (;) N°1 mit seiner Teilnahme per Post 1998 eintraf, entdeckte er die Welt der Mail Art und der Visuellen Poesie. Er fand diese Kunst der Kommunikation sehr inspirierend und partizipatorisch.
UNI/vers (;)
In diesem Assemblage-Magazines UNI/vers (;) N°1 stieß er auf ein Werk von Ruggero Maggi aus Italien. Dies war der Beginn eines langen Austauschs per Post und Dialogs zwischen den beiden Künstlern. Braumüller lud Maggi ein, an einer Zeitschrift namens La Preciosa Nativa (Die schöne Eingeborene) mitzuwirken, die er zusammen mit einigen Freunden in Santiago de Chile herausgab. Es handelte sich um ein gegenkulturelles Magazin, das das Universum der Kunststudenten an der Universität Universidad de Chile zusammenführte. Man nannte sie wegen ihrer langen Haare Hippies, aber vor allem versuchten sie, ihre eigene Kunst zu erfinden und voneinander zu lernen, um eine Bewegung zu schaffen, die in der Lage war, etwas Neues in Chile und insbesondere in Santiago hervorzubringen.
La Preciosa Nativa
La Preciosa Nativa wurde bis 1992 mit insgesamt 10 Ausgaben veröffentlicht. Durch die Korrespondenz mit Ruggero Maggi erkannte Braumüller, dass sie auf einem ähnlichen Weg waren, obwohl Maggi aus einer anderen Generation stammte und Braumüller gerade mit Mail Art begonnen hatte. Maggi hatte zum Beispiel ein starkes Interesse am brasilianischen Amazonas und machte mit seinem Amazon-Projekt, die ökologische Zerstörung publik, die bis heute andauert. Braumüller hingegen war sehr beeindruckt von der Indigenen Welt des Kontinents Amerika, die von der westlichen Zivilisation unterdrückt wurde und wird.
Maggis Beitrag zu La Preciosa Nativa N° 8 und N° 9 bestand darin, die nativen Völker Perus in Form von Künstlerbriefmarken in Mail Art darzustellen.
Kooperation
Während des kollektiven Schaffens von La Preciosa Nativa stellte Braumüller fest, dass diese Art der Zusammenarbeit ihm mehr Utopie und Energie zum Weitermachen gab. Die Zusammenarbeit und der Dialog mit anderen Diskursen sind der Schlüssel zur Entwicklung seiner einzigartigen Kunst.
In der Mail Art fand er die gleiche Motivation, in der Zusammenarbeit und des Dialogs, etwas Gemeinsames zu bilden, ohne mit Anderen zu konkurrieren, um erfolgreicher zu sein. Als er seine Karriere als Künstler begann, stellte er fest, dass die meisten von ihnen sehr egoistisch und egozentrisch waren und jeder glaubte, er sei der Beste. Das Verrückteste an dieser Kultur war, dass Kunst nicht diskutiert und gewürdigt wurde, sondern der monetäre Wert der Werke, das „Who is Who“ in Galerien und Institutionen. In einem von der Diktatur korrumpierten Umfeld, das mit Schönheit den Status quo schmückte.
Gemeinsam zur Utopie
Als sie La Preciosa Nativa gründeten, versuchten sie, diesen Egoismus zu überwinden und sich gegen die Diktatur zu vereinen, diese Bedrohung des Lebens, die sie schließlich auch einte und ihnen sagte, dass sie als Individualisten kein Ziel oder eine bessere Gesellschaft erreichen würden. Dieser Akt des gemeinsamen Schaffens einer Utopie fand sich dann in der Mail Art und der Visuellen Poesie wieder, fast so wie ein globaler Untergrund von Künstlern, die durch das Postnetzwerk vereint sind.
Das Origen-Projekt
Inspiriert von Deislers Idee, eine Zeitschrift wie UNI/vers (;) herauszugeben, und in Zusammenarbeit mit ihm, rief Braumüller zur Teilnahme am Origen-Projekt: 500 Jahre Völkermord und Kolonialismus auf. Er gab zwei Ausgaben des Assembling Magazins heraus, eine 1991 und die zweite 1992, um zur Kampagne beizutragen, die auf dem gesamten amerikanischen Kontinent unter dem Motto 500 Jahre Widerstand sich ausbreitete und die indigenen Völker mit den fortschrittlichen Sektoren der entsprechenden Länder vereinte. Ein Projekt, das sich auch eng an die Ideen der Gruppe La Preciosa Nativa anlehnte, die in Chile versuchte, eine Kunst zu schaffen, die auf der angestammten Identität der indigenen Kulturen basiert.
Hamburg Ahoi
Nach dem Origen-Projekt kam Braumüller 1992 nach Hamburg und traf dort einen anderen Hamburger Mail-Art-Künstler, Klaus Rupp, Pseudonym Merlin. In den Jahren 1997 und 1998 führten sie zwei Mail-Art-Projekte in Hamburg durch: Reeperbahn Mail Art Show und Port of Mail Art. Diese Ausstellungen wurden im Rahmen des lokalen Kunstereignisses ELB’ART für 24 Stunden im Elbtunnel installiert. Jedes Mal lernten mehr als 10.000 Menschen Mail Art durch die Werke von Hunderten von Teilnehmern kennen. Natürlich war auch Ruggero Maggi beteiligt.
Help me to paint
Braumüller wollte seine beiden Leidenschaften, die Malerei und die Mail Art, miteinander verbinden und initiierte das Projekt Help me to Paint. Bei diesem Projekt schickte er Fragmente seiner Malerei an andere Künstler:innen, die sie bearbeiten und mit Kunst und visueller Poesie veredelt zurückschicken sollten. Es gelang ihm, 170 Künstler:innen zu gewinnen. Im Jahr 1996 schuf er aus den eingesandten Fragmenten von Gemälden, Zeichnungen und Postkarten Collagen, die er in der Galerie La Posada del Corregidor in Santiago, Chile, ausstellte. Auch Ruggero Maggi beteiligte sich an diesem Projekt, indem er auf einem Fragment eines Braumüller-Gemäldes, auf dem Berge, Land und Himmel mit einem intensiven Blau dargestellt sind, eine Abbildung mit indigener peruanischer Ikonografie klebte, Ruggero Maggi überlagerte diesen peruanischen Vogel mit seinem Satz „Mail Art uses institutions in the places of institutions against institutions„. Ein weiterer Beitrag von Maggi zu Help me to Paint war eine Intervention einer Tuschezeichnung, der er eine Landkarte beifügte.
Das Projekt ist die Kunst
Maggi führt immer wieder groß angelegte Projekte, bei denen seine Kunst das Projekt selbst ist, nicht nur in der Mail Art, sondern auch als Kurator für zeitgenössische Kunst in Mailand. Für Braumüller ist die Zusammenarbeit ein Teil seiner Kunst. Maggi zeichnet sich dadurch aus, dass er in seiner Kommunikation viel Feedback gibt, was bei den meisten anderen Künstlern nicht der Fall ist. Auf diese Weise sind sie bis heute in Kontakt geblieben. Im Rahmen dieses Dialogs schickte ihm Braumüller mehrere Werke für sein Amazon-Archiv.
Eine Hommage an Guillermo Deisler
Nach dem Tod von Guillermo Deisler veröffentlichte Braumüller 1996 die letzte Ausgabe der Assemblage-Zeitschrift UNI/vers(;) mit der Nummer 0, mit einem Beitrag von Ruggero Maggi, als Hommage an diesen großen chilenischen Künstler.
Kreuze der Erde
Für Braumüllers Projekt „Kreuze der Erde“ schickte Maggi ihm ebenfalls einige Kreuze. Braumüller schuf eine der ersten Mail-Art-Webseiten, die sich der sozialen Gerechtigkeit widmete, Crosses of the Earth. Die Website bezieht sich auf eine zeitgenössische Kunstinstallation mit 342 Teilnehmern, die vom 17. bis 26. Januar 2000 im Museum für zeitgenössische Kunst (MAC Parque Forestal) in Santiago de Chile ausgestellt wurde. Die Website zeigt ein Video der Installation und der rituellen Performance während der Eröffnung, die von einer Mapuche-Gruppe unter der Leitung einer Machi (Schamanin/Heilerin) durchgeführt wurde. Braumüller betont:
„Die Kreuze der Erde sind allen indigenen Völkern unserer Mutter Erde aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gewidmet.“
Identität und Globalisierung
2001 schickte Maggi seine Teilnahme an dem Projekt Identität und Globalisierung – [E]Mail Art der Mail-Art-Gruppe AUMA (Accion Urgente – Mail Art), bei der Braumüller seit 1998 Mitglied war, und das seither online unter identidad-globalizacion.crosses.net ist und weiterhin offen für eine Teilnahme ist. Es wurde in der DIGITAL HALL der VII. Internationalen Biennale der Malerei, Cuenca, Ecuador, 2001 gezeigt.
BSE
Nach den Identität und Globalisierung entwickelte er What is BSE. Ein Großteil dieses Projekts wurde in Braumüllers Ausstellung „MAIL ART NETWORKING“ von Dezember 2002 bis März 2003 in der Ulla und Heinz Lohmann Ausstellungsraum C15 in Hamburg ausgestellt.
Operation Mankind
Das nächste Projekt, Operation Mankind, wurde 2005 in einem öffentlichen Krankenhaus (LBK) in Hamburg ausgestellt. Braumüller schickte einigen der engsten Mail Art-Künstler ein Werk, um in der Add-Alter-and-Return-Methode zu intervenieren, und Maggi nahm wieder teil.
Tibet
Während all dieser Jahre des Austauschs schickte Braumüller mehrmals Mail Art an Maggi für seine Projekte, darunter „Mille Saluti da Casalmaggiore 2015“ und „Terra | Materiaprima 2016“. Das herausragende Projekt von Maggi war die Kuratierung einer Installation über Tibet auf der 1. Biennale für Mail Art in Palazzo Zenobio, Venedig, 2017.
Artist Matter
2019 veröffentlichte Braumüller sein Magazin Artist Matter zu Mail Art und Visueller Poesie, an dem Maggi mit einem Text über „Dinosaurier in der Mail Art“ und einigen außergewöhnlichen Arbeiten beteiligt war. Artist Matter ist ein Netzwerkkunstprojekt von Hans Braumüller, dessen erste Ausgabe unter dem Motto Think Global – Act Local bei SdK @nachladen in Hamburg erschienen ist. Ein Exemplar des Magazins wurde an alle 177 Teilnehmer aus 34 Ländern verschickt.
Vereint in Mail Art
Während der Zeit von Covid-19, als sie mehr Zeit hatten, ohne auszugehen, schrieben sie in sieben Monaten gemeinsam einen Text über die Geschichte der Mail Art, an dem sich auch Chuck Welch, Pseudonym Cracker Jack Kid aus den USA, und Clemente Padín aus Uruguay beteiligten. Sie nannten das kollektive Werk, Vereint in Mail Art, das in 5 Sprachen auf verschiedenen Websites, Magazinen, Zeitungen und als eigenes Zine beim Hamburger SdK-Verlag veröffentlicht wurde.
Im Jahr 2021 schickte Braumüller eine weitere Arbeit für eine Retrospektive zu Maggis Amazonas-Projekt. Ein weiterer Kunstpostversand an Maggi richtete sich gegen den Militärputsch in Burma im Jahr 2021.
Frieden für die Ukraine
Als Ruggero Maggi im März sein Friedensprojekt UKRAINE PAVILION in Solidarität mit den Menschen in der Ukraine startete, schickte Hans Braumüller erneut seinen Beitrag und half, das Projekt im World Wide Web mit einem neuen Blog über Mail Art unter blogs.taz.de/meta und auf der Networking Art Site crosses.net zu verbreiten.
Meta+Verse
Die Künstler Braumüller und Maggi haben durch ihre Freundschaft und den regelmäßigen Austausch von E-Mails, Dialogkunst und ihrer gemeinsamen Beschäftigung mit der Mail Art ein Projekt namens Meta+Verse entwickelt. Dabei greifen sie in die Kunst des jeweils anderen ein, wie es für die Mail Art typisch ist, indem sie hinzufügen, ändern und zurückgeben: Add, Alter & Return. Dieser Zyklus begann 1988 mit Guillermo Deisler´s UNI / vers (;) und dauert seit über 30 Jahren an. Es handelt sich um eine unsichtbare Kunst der Kommunikation, bei der die Spuren beider Künstler erkennbar sind, die zusammengekommen und einem Weg in der Mail Art gemeinsam zu gehen.
Die Künstlerzeitschrift Meta+Verse kann bei Hans Braumüller mit einer originellen Intervention mit Abstempelungen auf Seite 2 für 20 Euro bestellt werden. Din A4, 48 Seiten, nummeriert und signiert von Ruggero Maggi und Hans Braumüller, 4-farbiger Offsetdruck, Auflage 500.
Hier geht es zur digitalen Version der Zeitschrift Meta+Verse.