von 04.03.2010

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Seit gestern ist Geert (‚Der mit der Karnevalsperücke‘) stärkste politische Kraft in der Satelliten-Schlafstadt Almere und zweitstärkste in der taffen Regierungsstadt Den Haag. Allerdings trat er auch nur in diesen zwei Gemeinden an, weil er im Rest des Landes keine Leute fand, die seinen Job auf Lokalebene machen wollten. –

Wäre man trotzdem gewillt, die Wahlergebnisse dieser 2 aus 394 Gemeinden ernst zu nehmen, dann drehten sich die Rollen von holzschuhtragenden Ureinwohnern und kopftuchfreundlichen Zugezogenen gerade völlig um: während ein Teil der Holzschuhträger seine bodenständige und tolerante Identität einem Rechtspopulisten unter die Perücke schmeißt, legen die meisten Zugezogenen statt vermeintlicher moslemischer Engstirnigkeit genau jene politische Besonnenheit an den Tag, für die die Niederlande schon vor Jahrhunderten berühmt waren.

Statt sich von Wilder’s Partij voor de Vrijheid (PVV) provozieren zu lassen und etwa massiv die Nederlandse Moslim Partij (NMP) zu wählen, die vor kurzem mit dem Ziel gegründet wurde, sich „gegen nicht fundierte Angriffe gegen den Islam und die Moslems“ zu wappnen, retteten die Migranten mal eben die niederländische Sozialdemokratie – oder zumindest deren Ehre, denn sie bleibt trotzdem der größte Verlierer. Bei der Gemeinderatswahl in Amsterdam gingen gestern Abend  74% der marokkanischen Stimmen an die Sozis, das ist zwar nicht ganz soviel wie bei den letzten Wahlen zum Stadtparlament (80%), aber immerhin halten landesweit die größten Einwanderer-Gruppen (Marokkaner, Türken, Surinamer) zu Wouter Bos‘ Partij van de Arbeid, auch jetzt noch, da die PvdA in dem Ruf steht, ihre Migranten-Wähler zu vergraulen, indem sie sich von Geert‘s Islamphobie hat anstecken lassen.

Auch Sozialisten, Grüne und die links-liberale D66 hatten eine Handvoll Wähler unter den Einwanderern, während Christdemokraten und Liberale wie immer schlecht abschnitten (was aufgrund der schwarz-gelben Integrationspolitik auch nicht anders zu erwarten war; man kann von den Einwanderern schließlich nicht verlangen, dass sie sich ins eigene Kopftuch schießen). Von Wilders‘ proklamiertem Radikalismus der moslemischen Mitbürger aber keine Spur; die neue Moslempartei NMP kriegte im ganzen Land keinen einzigen Sitz in einem Stadtparlament.

Dieses schlichtweg bürgerlich-gediegene Wahlverhalten unter Migranten ist umso erstaunlicher, als dass sie nicht nur von Geert zur Anti-Reaktion verführt werden könnten (fortan den Weg fundamentalistischer Tüllband-Politik zu bewandern), sondern auch von radikal-traditionellen Kräften aus den eigenen Reihen. So erging letzte Woche ein Aufruf des einflussreichen Imam Fawaz an alle in Holland lebenden Moslems, nur ja nicht für die Sozialdemokraten zu stimmen, selbst wenn es Politiker mit Migrationshintergrund beträfe. Das wären alles „Wölfe im Schafspelz“, die  nur scheinbar die Interessen ihrer Landsleute vertreten würden, um unterdessen „den Islam zu verändern“. Dass beispielsweise ein marokkanischer Sozialdemokrat im sittenverderbten Amsterdam offen seine Toleranz gegenüber Homosexuellen ausspricht, das ginge ja nun gar nicht. –

Und dann trotz solcher Sprachgewalt ein dermaßen nettes Wahlergebnis! Wie kann das sein? Das lässt nur einen Schluss zu: die kopftuchfreundlichen Zugezogenen tragen längst schon Holzschuhe und klappern darin erfolgreicher umher als die niederländischen Ureinwohner. Mission accomplished. Ach Geert, gib’s auf!

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