vonMarie 23.06.2023

Warum sind Sie nackt?

Marie R. bloggt über ihren Alltag in deutschen Krankenhäusern.

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Die Zombiegrippe und die Krankenschwester

Mein persönlicher Beginn mit „Covid“ war im Februar 2020. Noch war nicht wirklich viel über diese neue Krankheit bekannt, zumindest nicht im Allgemeinbewusstsein der westlichen Bevölkerung. Erinnerungen an die Schweinegrippe wurden geweckt – damals hatte man eine große Sache aus der Erkrankung gemacht, nur um sie dann Influenza A oder „neue Grippe“ zu nennen und so zu tun, als hätte man nicht das Ende der Welt verkündet.

Angelehnt an „The Walking Dead“ machten wir Witze über die „Zombiegrippe“ und planten Apokalypsen Szenerien á la „Mad Max:Fury Road“.
Wir, die im Gesundheitswesen tätig sind, lieben den Sarkasmus, den Galgenhumor. Doch dann, im Februar, häuften sich die Berichte über sehr, sehr kranke Menschen in unseren Notaufnahmen, den Krankenhäusern und in unserem Umfeld. Die ersten Patient*innen mit grippeähnlichen Symptomen wurden eingeliefert, aber die Influenza PCR Tests waren stets negativ.

Bis heute erinnere ich mich an die Sprachnachrichten meiner Freundin und Kollegin Lena, die auf der HNO arbeitete. Entsetzt darüber, dass wir ihr eine*n Patient*in mit Covid-19 Symptomen von der Notaufnahme auf Station geschickt hatten … immerhin war sie ja Influenza-negativ.
Ich war hilflos, das Gesundheitsamt sowie die Klinikleitung erlaubten teure, externe Covid-Tests nur bei Patient*innen, die vor Kurzem in China (und später in Italien) waren.

Mein einziger Rat damals, vor mehr als drei Jahren und einen Monat, bevor die WHO eine Pandemie ausrief? Tue so, als wäre es Influenza, geh nicht unverkittelt in dieses Zimmer! Sie hatte natürlich Recht. Ziemlich schnell wussten wir alle: Egal wo jemand war, egal was er vor Einweisung getan hat: es kann Covid-19 sein. Die Krankheit war Anfang Februar in deutschen Krankenhäusern angekommen, aber das wurde erstmal nicht wahrgenommen. Das Netz zu weit, legten wir unzählige Patient*innen in Zimmer neben andere Patient*innen, behandelten sie ohne Maske. Eine echte Apokalypse.

Ostern ohne Maske oder warum ich an meinem Pokerface arbeiten muss

Das Ende von Covid kam für mich kurz nach Ostern 2023. Ich hatte ein einige Zeit frei, kam zurück zum Dienst und niemand trug mehr eine Maske!
Nicht die Kolleg:innen,
nicht die Therapeut*innen,
nicht die Verwaltungsangestellt*innen,
nicht die Patient*innen.
Ein bisschen surreal, ein bisschen (sehr) beunruhigend. Die ersten Tage fühlte ich mich sehr, sehr nackt und ein bisschen so, als wäre ich ohne Hose zur Arbeit gegangen. Ich selbst hatte eine schlimme Covid-19-Infektion, benötige seitdem einen Inhalator und habe diverse körperliche Gebrechen. Das Arbeiten ohne Maske geht mir dementsprechend leichter von der Hand. Was ich allerdings verloren habe: mein „Krankenschwestern-Gesicht“. Diese freundlich-neutrale Maske, die ich als Selbstschutzmechanismus entwickelt habe, war weg! Jede*r kann jetzt ganz genau sehen was ich denke – in der Notaufnahme nicht immer vorteilhaft.

Ohne Maske, ohne Mitleid, ohne Personal

Als Reisekrankenschwester profitiere ich direkt von den desaströsen Personalschlüsseln in Krankenhäusern. Ich bekomme von meiner Firma viel Liebe, Wertschätzung und guten Lohn.
Andere Kolleg*innen erhalten dies nicht, sie machen Überstunden ohne Ende, bekommen dafür keine Entlohnung und es wird ihnen auch nicht gedankt. Egal in welches Krankenhaus ich komme, die Pandemie hat die Kolleg*innen sichtlich ausgebrannt. Sie haben nichts mehr zu geben. Viele leiden unter Psychischen und körperlichen Gebrechen und bräuchten eigentlich eine Kur. Häufig höre ich den Wunsch, die Stunden reduzieren zu wollen aber durch die hohen Lebenshaltungskosten dies nicht tun zu können.

Interessant ist auch, dass durch Studien nachgewiesen wurde: Personen, die Schmerzmittel nehmen, sind weniger empathiefähig. Beschäftigte im Gesundheitswesen nehmen eine Menge Schmerzmittel.

Beispiele für diese Entwicklung gibt es zuhauf:

  • Die Kollegin, deren Nervenkostüm so dünn ist, sie schaltet piepsende Monitore ohne zu Fragen aus. Sie erträgt den Geräuschpegel nicht.
  • Der Kollege, der nicht mehr mit den Kolleg*innen spricht, nicht mehr Behandlungen bespricht oder einfach für längere Zeit verschwindet.
  • Die Kollegin, die einen verwirrten Patienten anschreit, weil er aus seinem Bett klettert und umher wandert.
  • Der Kollege, der dabei erwischt wurde, wie er einer älteren Lady den Mund bei der Pflege zudrückte, weil sie bei der groben Behandlung aufgeschrien hatte. (Dieser durfte übrigens kündigen und wurde sofort in einem anderen Haus eingestellt – Pflegemangel)
  • zudem all die Hausärzt*innen, die die Beschwerden ihrer Patient*innen komplett ignorieren oder abtun. Wir sehen immer mehr Menschen mit Erkrankungen, die viel früher hätten behandelt werden müssen aber der Hausarzt/die Hausärztin hat es ignoriert. Frauen und Senior*innen sind exponentiell mehr betroffen.

Alles in allem ist die Qualität nicht mehr auf dem Standard wie vor Corona. Das Trauma der Pandemie sitzt tief und keiner scheint es zu beachten – in etwa, wie die ersten symptomatischen Patient*innen in 2020. Wir sind in einem Apokalypse-Szenario angekommen: jene Personen, die für unsere Gesundheit zuständig sind, haben nicht mehr die Energie sich kümmern zu wollen. Das Sterben auf Raten hat begonnen.

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