vonMarkus Szaszka 25.07.2018

Der Nirgendsmann

Markus "Nirgendsmann" Szaszka - Streuner und Schriftsteller aus Wien - schreibt über die Herausforderungen unserer Zeit und Romane, die zum Nachdenken anregen. Weitere Informationen: www.grossstadtballaden.com

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Der Frühling 2015 war schon nahe, doch ich begann mich krank zu fühlen. Zuerst dachte ich, etwas wäre mit meinem Magen nicht in Ordnung, nach einer Woche übernahm das Herz die Rolle des Übeltäters und erst nach einem Monat verstand ich, dass es mein Kopf war, der mir einen Streich spielte. Für mein Verständnis fehlte es mir an nichts, ich hatte genügend Arbeit, eine schöne Wohnung, eine liebende Freundin und mittlerweile sogar gute Freunde. Darüber hinaus blieb genügend Zeit, um Bücher zu lesen und ins Kino oder gut essen zu gehen, und trotzdem – obwohl die meisten mein Leben als glücklich bezeichnet hätten und auch ich mich dieses Glückes bewusst war – fühlte ich mich unwohl, fing an, die Außenwelt zu meiden und abweisend auf andere zu reagieren.

Der Planet schien sich zu verändern, nicht auf eine schreckliche Art, aber auf eine beunruhigende. Farben nahm ich intensiver wahr als zuvor, sie bissen förmlich nach meinen Augen. Auf dem Balkon, meinem Zufluchtsort, auf welchem ein Blick zum Nachthimmel für gewöhnlich jedes Ärgernis verblassen ließ, verkrampften sich meine Hände, bis sie schmerzten. Zum ersten Mal engten mich Wohnung und Straße, die räumliche Beschränktheit der Erde und die zeitliche Beschränktheit meines Lebens ein, ließen das Atmen schwer werden.

Wohin ich auch ging, zittrige Beine und Schwindel begleiteten jeden meiner Ausflüge. Selbst der Gang vom Bett zum zwei Meter entfernten Schreibtisch wurde zur Tortur. Diese wuchernde Derealisation entsprang einem ungesunden Maß an Grübelei über das Wesen des Menschen, das Leben, das Älterwerden und den Tod.

Nie hätte ich damit gerechnet, in so eine Situation zu geraten. Immerhin war die Philosophie – eine Ansammlung von Strategien, weiser zu werden und Dinge wie das Altern und den Tod zu akzeptieren – eines meiner Steckenpferde. Meine Freundin war mir während dieser Krise keine große Hilfe. Freilich versuchte sie mich irgendwie zu beruhigen, wenn ich wieder einen meiner zittrigen Anfälle hatte, zu sprechen aufhörte und meine Augen verdrehte, aber es gelang ihr nicht, sie verstand es nicht. Auf Hilfe von außen konnte ich also nicht hoffen und das Problem musste wohl dort gelöst werden, wo es entstanden war.

Glücklicherweise nervte ich mich selbst derart mit meinem apathischen Zustand, dass ich irgendwann damit begann, den Knoten in meiner Brust zu lösen. Ich versuchte jeden Tag vor die Tür zu gehen und mit mindestens einer fremden Person zu sprechen, obwohl es mir keinen Spaß machte. Manchmal, an besonders guten Tagen, schaffte ich es sogar bis ins Schwimmbad, um ein paar Bahnen zu schwimmen, was meinen Kopf wenigstens für die Dauer der Bewegung freimachte. Gemeinsam mit der Sonne aufzustehen und gleich in der Früh fernöstliche Bücher über das Glück zu lesen, war eine weitere Taktik, um dem Leben nicht ganz abhanden zu kommen.

Der Kampf gegen das, was immer ich auch hatte, dauerte an, doch Erfolge waren zu bemerken, beispielsweise wenn das Gelesene mir die Hinfälligkeit meiner Sorgen verriet oder ein Passant nicht aufhören wollte, mich anzulächeln. Mal verlief ein Tag gut, andere wiederum nicht, doch die guten Momente kamen wieder, wenigstens manchmal. Oft verließ mich die Motivation schon vor dem Frühstück und ich saß den ganzen Tag vereinsamt da wie ein nasser Lumpen, der nur darauf wartete, irgendwann ausgewrungen und weggeworfen zu werden. Unverhofft schlich sich dann abends ein Schmunzeln um meinen ungepflegten Bart, eine erfreuliche Entwicklung.

So ging es hin und her, ein Ringen mit mir selbst. Und als ich dachte, ich hätte es fast geschafft, enttäuschten mich seine Nerven wieder und ich blieb im Bett, überzeugt davon, dass mir jeder blasse Schimmer fehlte. Doch wie es Krisen so an sich hatten, verging auch diese, und nach Monaten des Leidens fühlte ich mich zum letzten Mal wie ein Hund, der darauf wartete, von jemanden, der sich meiner erbarmte, nach draußen gebracht zu werden.

 

Bis zum nächsten Mal

Der Nirgendsmann

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kommentare

  • Ich leide auch seit einiger Zeit (2017) unter Panikattacken. Im Prinzip kann man deine Worte genau auf mich übertragen. Ich bin froh das meine Frau mir so toll zur Seite steht. Doch helfen kann man sich nur selbst. Solange man sich nicht aufgibt ist nichts verloren. Ich bin zum Glück auch schon auf den Weg meinen Alltag besser meistern zu können. Dafür bin ich sehr dankbar und diese Zeit prägt mich sehr. Man beschäftigt sich seitdem mehr mit sich, seinem Drumherum, den Sinn vieler Dinge und vor allem dem Glücklich sein. Das war einem vorher fast selbstverständlich. Doch nach so einer Erfahrung merkt man erst, wie so viele Sachen eben nicht selbstverständlich sind.

    • Ich weiß, dass es richtig nervt, aber du kannst dir sicher sein; das wird vorbeigehen! Mehr noch als das, dein Leben wird dadurch sogar besser werden…

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