Wir (mein Nachbar Olli und ich) gingen los, die Torstraße zur Karl-Liebknecht-Straße, hinunter in die Nähe des Alexanderplatzes, kauften uns dort je ein Makali-Sandwich und ein Weggetränk, er eine Cola und ich ein Pale Ale. Weiter ging es die breite Karl-Marx-Allee entlang, in Richtung Friedrichshain, wo Olli in einer der Seitenstraßen seine Waffe, die Sprühdose zückte, die er immer mit dabei hatte, und etwas auf die Wand kritzelte. Diesmal resultierte aus dem künstlerischen Erguss der „Wieselspinne“ ein Strichmännchen, das ein Hakenkreuz in einen tatsächlich auf dem Gehsteig stehenden Mistkübel kotzte.
Sobald es möglich und erstrebenswert war, bogen wir nach rechts, am Ostbahnhof und der East Side Gallery vorbei, zum Spreeufer. Erstrebenswert, weil man nicht überall an der Spree gleich gut chillen konnte. Am besten waren die Stellen, an denen saftige Wiesen die Ufer säumten. Dort sammelten sich die üblichen Verdächtigen, die Tagediebe und Pappenheimer, Slacker und Hipster, um ihre Kühlboxen, Bälle und Frisbees auszupacken und den Tag zu genießen.
Manche waren sicherlich Studenten und es verwunderte nicht, dass sie mitten in der Woche an öffentlichen Plätzen herumlagen und es sich gut gehen ließen. Die meisten aber, gehörten zur Gattung der gemeinen, nicht studentischen Millennials, einer Generation, die nicht mehr viel vom 40-Stunden-Arbeitsmodell hielt und deren Mitglieder nach Möglichkeit in flexibleren Arrangements arbeiteten, selbständig waren, sich als digitale Nomaden durchschlugen oder, wenn sie den Absprung aus den sterbenden 40-Stunden nicht geschafft hatten, diese verfluchten und unglücklich waren – mit Ausnahmen, versteht sich.
Auf den Wiesen der Spreeufer sah man vorwiegend privilegierte junge Menschen, deren Jobs es erlaubten, sich sogar mitten in der Arbeitswoche wie im Urlaub zu fühlen. Und aufgrund dieser Freiheiten, mussten die Wiesen-Millennials kreativ werden, um ebenfalls nörgeln zu können, was sie selbstverständlich taten, wie jeder andere auch.
Unweit der Oberbaumbrücke, die Friedrichshain und Kreuzberg, somit Ost und West miteinander verband, ließen Olli, dessen Hund Raudi und ich uns nieder, setzten uns auf den steinernen Uferrand, eine der besagten chill-Wiesen hinter uns, die Beine und Läufe baumelnd, die Sohlen unserer abgetragenen Sportschuhe und Pfoten beinahe im Wasser.
Wir sahen hinüber zum Kreuzberger Ufer, wo wir später hinwollten. Es fühlte sich gut an, am Leben zu sein.
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Textskizze, Tatsachenroman Der Nirgendsmann – Herbst 2018.
Alles Liebe vom NM