vonEdmond Jäger 03.12.2021

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Woran ist die Regierung Cîțu gescheitert? Lag es am Regierungsstil Cîțus oder gab es schwere politische Konflikte?

Im Prinzip ist eine Koalition, die zu einer Regierung aus der kleinsten Menge von Parteien führt, die eine parlamentarische Mehrheit erreichen können, die beste Regierungsformel. Die Einbeziehung zusätzlicher Parteien in eine Koalition verringert die Anzahl der Regierungsposten, die jede der beteiligten Parteien erhält und ist daher weniger kohärent. Im Dezember 2020 wurde eine solche Koalition zwischen PNL (Nationalliberale), USR (Linksliberale) und UDMR (Ungarnpartei) gebildet, die auch den Vorteil der ideologischen Nähe zwischen den Parteien hatte. Drei Gründe führten zum Auseinanderbrechen der Koalition:

1. Die Spannung zwischen präsidentieller und gouvernementalistischer Interpretation des politischen Regimes;

2. Der systemfeindliche Charakter der USR, der eine Zusammenarbeit mit systemtreuen Parteien wie der PNL und der UDMR erschwerte;

3. Der Konflikt zwischen dem von Cîțu vertretenen, auf den Premierminister ausgerichteten Regierungsmodell und der von der USR angestrebten Kabinettsregierung.

Ich denke, der erste Grund war derjenige, der den Ausschlag gegeben hat. Präsident Johannis sah sich selbst als Zuschauer gegenüber einer Regierung, die er als Instrument zur Umsetzung seines Programms sehen wollte. Präsident Johannis hatte von seiner ersten Wahl 2014 bis Dezember 2020 keine parlamentarische Mehrheit. Mit Florin Cîțu als Premierminister hoffte er, der Regierung seinen Stempel aufdrücken zu können, aber er stieß auf das regierungspolitische Ungestüm der USR. Da die USR eine Koalitionsregierung anstrebte und daher nicht an dem Programm des Präsidenten interessiert war, das nicht einmal im Koalitionsvertrag ausgehandelt worden war, war der Konflikt vorprogrammiert. Bereits im April 2021, seit der Krise um die Entlassung von Vlad Voiculescu aus dem Gesundheitsministerium, war die USR – immer noch eine Anti-System-Partei und in der Regierung – in der Situation, isoliert und ohne Koalitionspotenzial zu sein. Die Situation entwickelte sich zu einem offenen Konflikt. Hinzu kam die Person des Premierministers, die die Voraussetzungen für den Sturz der Regierung schuf. Aber Florin Cîțu war das Instrument, nicht die Ursache für den Sturz der Regierung und seiner Person.

 

Warum hat Orban die Unterstützung von Staatspräsident Johannis und seiner Partei verloren?

Für Präsident Johannis war eine gouvernementalistische Formel, wie sie sich um Ludovic Orban als Premierminister gebildet hätte, schwer zu akzeptieren. In der Tat war Ludovic Orban nie der Favorit des Staatspräsidenten, sondern nur der Vorsitzende der PNL, mit dem der Staatspräsident zusammenarbeiten musste.  Im Jahr 2017 errang Orban den Parteivorsitz mit einem Erdrutschsieg gegen Cristian Bușoi, den Kandidaten, den der Präsident indirekt unterstützt hatte. Als Ministerpräsident konnte Orban dann die Forderungen der Branchenchefs nicht erfüllen. Viele von ihnen waren unzufrieden und nutzten das Ergebnis der PNL bei den Parlamentswahlen, um seine Position in Frage zu stellen. Doch ohne das Eingreifen von Präsident Johannis, der seine Position nach seiner Wiederwahl 2019 gestärkt hat, hätte Orban den Parteivorsitz nicht verloren.

 

Wie stehen die Chancen für die neue Partei, die Orban gründen möchte?

Hätte Orban auf dem Kongress im September 2021 Präsident Johannis nicht direkt angegriffen, wäre er jetzt an der Spitze der PNL Oppositionsführer. So hat er sich von der Partei isoliert und das Abenteuer der Gründung einer neuen Partei ist riskant. In Rumänien kann eine Partei ohne lokale Basis bei Wahlen nicht erfolgreich sein. Die USR hat dies bewiesen. Das Gleiche wird für Orban gelten, aber es wird ihm schwerfallen, die an politischen Inhalten orientierte Wählerschaft zu überzeugen, auf die die USR sich gründet.  Nur wenn er sich mit der ALDE (Liberale) und der PMP (Konservative um Expräsident Basescu) zusammenschließt, die aber auch von der PNL umworben werden, die mehr zu bieten hat, könnte er auf einen Wahlerfolg hoffen. Andernfalls wird er mit einer Fraktion mit ungewisser politischer Zukunft dastehen.

 

Wie könnten Nationalliberale und Sozialdemokraten zusammenfinden? Die Nationalliberalen haben Jahre lang erzählt, sie wollten das Land vor den Roten (PSD – Postkommunisten/Sozialdemokraten) retten. Nun arbeiten sie mit diesen zusammen. Wird die PNL das politisch überleben?

Die Liberalen, in Gestalt der PDL (die 2014 mit der PNL fusionierte) oder als PNL, haben auch mit der PSD zusammengearbeitet. In den Jahren 2008 und 2009 bildeten die PDL und die PSD eine große Koalition, so wie jetzt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Emil Boc, der damalige Ministerpräsident und heutige Bürgermeister von Cluj, dazu beigetragen hat, dass die Konstellation in diesem Jahr wieder zusammengefunden hat. Die zweite Zusammenarbeit erfolgte in Form des politischen Bündnisses USL mit der sie zwischen 2012 und 2014 gemeinsam regierten, bis sie sich wegen der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen trennten. Dies ist nun der dritte Versuch, der angesichts der vorangegangenen Versuche wahrscheinlich nicht von Dauer sein wird. Andererseits setzen Präsident Johannis und die PNL auf den Erfolg der Regierung in den kommenden Jahren, um sich zu erholen. Wenn die PNL die Unterstützung der lokalen Mandatsträger nicht verliert, wird sie sich bei den nächsten Wahlen halten. Doch wenn sich die wirtschaftliche und soziale Lage nicht verbessert, könnte die PNL eine Niederlage erleiden. Aber auch das wird nicht automatisch zu ihrem politischen Untergang führen.

 

Wird Orban, USR oder AUR (Rechtsradikale) zum Gewinner in der Opposition?

Unter den derzeitigen Bedingungen scheint AUR der Hauptnutznießer zu sein. Aber der Präsident hat vielleicht eine übergroße Koalition unterstützt, um eher AUR zu isolieren als USR. Letztere wird sich in der Opposition einrichten und ihre Wähler zurückgewinnen.

AUR hatte die Tendenz, sich der PSD anzunähern. Und die PSD, die eine postkommunistische und keine sozialdemokratische Partei ist, verfügt über keine Antikörper zur Bekämpfung des Extremismus. Im Gegenteil, sie hat im Laufe der Zeit viele extremistische Politiker in die Partei aufgenommen, und die Versuchung des Trumpismus ist mit Liviu Dragnea nicht verschwunden. In der Regierung wird die PSD es bereuen, wenn sie nicht beweisen kann, dass sie eine verantwortungsvolle Partei ist. Und im Moment scheint sie eine Oppositionspartei geblieben zu sein, die sich mit einer Koalitionsregierung mit einer PNL, die den Ministerpräsidenten stellt, nicht wohl fühlt.

 

Warum sind so wenige Rumänen geimpft? Wie sehen sie die folgenden Erklärungsfaktoren: Fake News, die Kirche, mangelndes Vertrauen in das Gesundheitssystem, die Selbstbeschäftigung der Regierung Cîțu, die von der Bekämpfung der Krise ablenkte?

Alle diese Ursachen zusammen haben zu der jetzigen Situation geführt. Am schwerwiegendsten war jedoch der fehlende politische Wille: Die zynische und unverantwortliche Aufhebung der Beschränkungen im Mai 2021 und die Weigerung, ein Covid-Zertifikat durchzusetzen, bereiteten der gesundheitlichen Katastrophe im Herbst 2021 den Boden. Andererseits wurde die Pandemiekrise im Herbst 2021 als Schönfärberei genutzt, um die Regierungskrise zugunsten der PNL zu lösen. Gleichzeitig nutzten und förderten viele Vertreter der orthodoxen Kirche sowie der amerikanisch geprägten evangelikalen Sekten (insbesondere der Pfingstler, aber auch der Baptisten) – die in den politischen Parteien sehr einflussreich sind – Verschwörungstheorien, um die Autorität des Staates und das Image der EU zu untergraben. Ohne die offene Unterstützung dieser Netzwerke hätte die AUR zudem nicht ins Parlament einziehen können. Gleichzeitig war die unzureichende wissenschaftliche Bildung der Bevölkerung ein weiterer wichtiger Faktor für die Verbreitung von Verschwörungstheorien. Doch der Prozess ist nicht neu: Die antieuropäische Verschwörungsoffensive begann bereits 2014 und nahm die Form der sogenannten Koalition für die Familie an, aus der sich der fundamentalistisch-religiöse Teil der AUR speist.

 

Wie wird sich eine große Koalition auf die Korruption auswirken? Werden sich die Parteien gegenseitig kontrollieren oder die Beute teilen?

Wenn die mit der Kommission vereinbarten Reformen, von denen einige die Rechtsstaatlichkeit betreffen, nicht umgesetzt werden, wird der Zugang zu den PNRR-Geldern blockiert. Die Parteien haben zwar einige Pläne für den Zugang zu den Mitteln gemacht, aber es ist nicht sicher, dass sie diese auch umsetzen können. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, dass Rumänien die Rechtsstaatlichkeit bewahrt und stärkt und der Zivilgesellschaft Raum gibt, sich zu manifestieren.  Ohne eine robuste Zivilgesellschaft werden die Parteien nicht in der Lage sein, sich gegenseitig zu kontrollieren.

Interview und Übersetzung aus dem Rumänischen ins Deutsche: Edmond Jäger

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kommentare

  • Vielen Dank. Wie herausragend, dass man so detailliert und präzise über Rumänien informiert wird, auch wenn die Übersetzung vereinzelt holpert. Endlich wird auch die Rolle von Klaus Johannis einmal kritisch beleuchtet (auch wenn er wahrschienlich sogar noch zu gut dabei weg kommt). Der ,,Karlspreisträger“ ist ein systemtreuer Siebenbürger-Sachse, der eigentlich keine Probleme hat, mit der PSD zusammenzuarbeiten. Und das System, dem er, anders als die USR, treu bleiben möchte, ist das System der Korruption und des Nepotismus. Anstatt der rumänischen Jugend Hoffung zu geben und mit der USR fair zusammenzuarbeiten, hat er das Land weiter kaputt gemacht, vielleicht ist die Karre ja jetzt ganz im Dreck. Die ,,Martin-Buber-Plakette“ gehört ihm wegen des Verrates an der Jugend wieder entzogen.

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