Die Zweifel, ob Mr Peter Doherty noch eine weitere Platte veröffentlichen würde, begleitet ihn ja bereits seit Jahren. Noch länger beschäftige ich mich mit dem Phänomen Doherty – genau genommen seit der Veröffentlichung der Libertines-Debütsingle im Jahr 2002.
Über die Jahre sammelten sich für verschiedene Publikationen immer wieder Texte an, die versuchten, den Doherty-Problemkreis zu erörtern. Da nun die dritte Phase des Doherty-Schaffens mit der Veröffentlichung des neuen Albums beginnt (das erste ohne Stammproduzent Mick Jones, das erste bei einem Major-Label, das erste, das tatsächlich in erster Linie erfolgreich sein will), in dieser Woche eine kleine Rückschau auf frühere Texte.
Heute eine Hymne: Time For Heroes, erstmals im Pittiplatsch Fanzine Anfang 2005 erschienen:
Time For Heroes
Why The Libertines are the most important band of our generation rief der NME vor gut einem halben Jahr in die Welt hinein. And the world was listening, wenigstens dieses eine mal.
Sortieren wir es aus: uns interessiert es nicht, dass Pete Doherty Crack raucht und Katie shaggt, dass er in Gefängnisse sitzt und Bandmitglieder verprügelt, weil: er ist, was wir uns schon immer erträumt haben – ein Romantiker, Träumer, Schwärmer und doch ein Punk, ein Proll, ein Fußballfan. Er ist Morrissey und Gallagher, Joe Strummer und Sid Vicious. What A Waster und doch The Man Who Would Be King.
Daneben sitzt Carl, der Stoiker, der so vieles erträgt, was dieser Wirbelwind neben ihm zerstört. Deswegen hat nichts die Essenz der Libertines besser beschrieben als ihre double-a-side-Debutsingle: auf der einen Seite Pete mit „What a Waster, what a fucking waster“ auf der anderen Carl mit „I get along, singing my song. People tell me I’m wrong – fuck’ em“.
The Stylish Kids In The Riot
Ist es der scheinbar nie enden wollende Schwall an Skandalen, der uns zu den Libertines hinzieht? Nein, und nochmals nein, es sind doch die Lieder, es sind die Texte, es ist die Attitude! Fraglos trägt zur hymnischen Verehrung der Libertines diese Leidenschaft bei, die wiederum nur durch die ganze Tragik in ihrer vollen Größe sichtbar wird: Yeah I sighed and sunken with pride. I passed myself down on my knees – das heißt auf indirektem Wege überhöht sehr wohl all das Schlimme die öffentliche Figur Pete Doherty, weil es eben um diesen großen Traum geht, dieses alles wollen und doch immer wieder scheitern, diese Verzweiflung, Hoffnung, desolate Niederlage und doch wieder aufstehen, weitersingen, weiterspielen. Menschen glücklich machen, nur um in dem Moment in dem die Belohnung, die Erlösung winkt, wieder in the gutter zu landen, in den Rinnsteinen Arcadias zu liegen. The Boy kicked out at the world, the world kicked back a lot fucking harder now.
The Boys In The Band
Das macht sicherlich viel von der Faszination der Libertines aus, weil es zeigt, wie viel mehr Carl & Peter sind als eine Band, die Platten macht. Es ist – Klischee – eine Liebe zur Musik, eine Liebe zu den Tönen, die du bei Pete & Carl in jeder Sekunde spürst. Dieser Moment, in dem Pete aus dem Gefängnis entlassen wird, nachdem er die Haftstrafe wegen des Einbruchs bei Mitlibertine Carl abgesessen hat und Carlos vor den Gefängnistoren wartend ihn in Empfang nimmt nur um am gleichen Abend in irgendeinem kleinen Pub einen spontanen Zweier-Libertines-Gig zu spielen, das ist für mich The Libertines. Das hat die Romantik des Rock’n’Roll, die man sich immer wünscht. Und keine Band auf der Welt hat die Schönheit des Scheiterns so sehr eingefangen wie die Libertines. See, I forgive you in a song.
What Became Of The Likely Lads
Die Tragik der Libertines besteht auch darin, dass sie in jedem Moment zu wissen scheinen, wie es um sie steht, wie viel Gutes sie zerstören und es trotzdem nicht verhindern können. Welche Band hat ihre eigene Geschichte besser in Liedtexten beschrieben als die Libertines? Kann ein Song mehr traurige Wahrheit in unendlich schöner Melodie als Can’t Stand Me Now vertragen?
Carl: “An ending fitting for the start, you twist and tore our love apart.
Your light fingers through the dark that shattered the lamp and into the darkness cast us…”
Pete: “No you’ve got it the wrong way round, you shut me up and blamed it on the brown, cornered the boy kicked out at the world… the world kicked back a lot fuckin’ harder now”
I’ll show you a picture / a picture of tomorrow / There’s nothing changing / it’s all sorrow
War es das nun? Nie mehr Libertines? Für den Moment scheint Pete mit den Babyshambles sein Glück gefunden zu haben, doch wie es in 2 Monaten aussehen wird, mag man bei diesem rollercoasterride, der Petes Leben ist, wahrlich nicht vorhersagen. Even now there is something to be proud about: vielleicht mag man sich auch damit abfinden, dass ein Ende der Libertines ihren Platz dort oben im Olymp der größten Bands für alle Zeiten sichern wird, dass Pete & Carl zur Rechten von John & Paul, Mick & Joe, Keith & Mick sitzen werden, weil ihre legacy besiegelt scheint. Wie groß wären Oasis erst, hätten sie nach Morning Glory keinen Ton mehr gesungen? Sie wären nicht der Rock’n’Roll-Circus der großmäulig durch unsere Riesenhallen zieht, sondern wirklich das Wahrzeichen unserer Generation. Wenn die Libertines somit ein Symbol für ihre Zeit werden und damit für das Scheitern in Schönheit für alle Zeit, so glaubt man, einen Popkulturjunkie wie Pete glücklich zu sehen. So er es erlebt: The arcadian dream has all fallen through but the Albion sails on course.
If you’ve lost your faith in love and music, oh the end won’t be long
Wenn es das Ende war, dann haben sie nicht nur zwei der besten Alben der letzten Jahrzehnte hinterlassen, sondern auch der britischen Kultur einen Stempel aufgedrückt wie nur The Smiths, The Stone Roses und Oasis in den letzten 25 Jahren. Sie haben die Barrieren zwischen Fan und Star eingerissen, haben Poesie und dichterische Kraft in die Punk- und Independentmusik unserer Zeit zurückgebracht und sind mit ihren spontanen flat concerts bei Fans und in Petes eigener Wohnung oder in kleinsten Pubs der Maßstab für eine Liveband geworden. Sie haben ihre Tagebücher eingescannt und ins Internet gestellt, per Laptop in ihren Internetforen vom aktuellen Stand der Entziehungskur bei Muttern berichtet, einem Fan 45 neue Songs mit der Bitte um Verbreitung in die Hand gedrückt, weil RoughTrade kein neues Album veröffentlichen wollte und sind der Nukleus einer ganzen Welle großartiger und doch so kleiner Bands gewesen, das Auge des Hurricanes, der sich um die Rhythm Factory in Whitechapel und um New Cross dreht. Sie sind die wildeste und reinste Band seit ewigen Zeiten – wer jemals einen (guten) Liveauftritt der Libertines in Vollbesetzung gesehen hat, weiß was ich meine: 2002, Atomic Cafe, München. Mit eineinhalb Studen Verspätung wanken die vier auf die Bühne, in 35 Minuten spielen sie 15 Songs, man hat jeden Moment Angst, dass Pete von der Bühne fällt oder Carl hinunter stößt und trotzdem geht von ihnen eine so ursprüngliche Wucht und Dynamik aus, dass man glaubt, das alles anfassen zu können, diese Lieder, diese Stimmung, diese Atmosphäre. Die beste Band der Welt, hier und jetzt. Ich kann die Libertines in drei Worten erklären, wenn ich denn müsste: Punk. Poetry. Passion.
(Christian Ihle)
Weiterlesen:
* My Favourite Records… mit Adam Ficek (Babyshambles)
Libertines/Doherty/Barât-Texte:
Teil 1: Time For Heroes, Anfang 2005
Teil 2: Up The Bracket, Oktober 2002
Teil 3: The Gang Of Gin. And Milk., April 2006
Teil 4: Why Did You Break My Heart?, Mai 2006
Teil 5: Anywhere In Albion, September 2006
Teil 6: König wider Willen, Februar 2007
Teil 7: Das Ende des Konjunktivs, Oktober 2007
Plattenkritiken:
* The Libertines – Best Of
* Babyshambles – Shotters Nation