vonChristian Ihle 11.10.2007

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Heute: Why Did You Break My Heart? Ursprünglich erschienen im Online-Fanzine Motorhorst im Mai 2006.

Eine Betrachtung über den Libertines-Fan: die Rock’n’Roll-Geschichte in a nutshell.

Blood Thirsty Bastards

Im allgemeinen herrscht ja der Eindruck, der Libertines-Fan wäre ein fanatischer Jünger, der kritiklos all die dohertyschen Dummheiten abzufeiern vermag. Nimmt man die Teenage-Fanboys aus, die erst nach der Implosion der Libertines hinzugekommen sind, könnte nichts weiter von der Wahrheit weg sein. Welches Idol muss sich nach einem Eintrag im Fan-Forum als erste Antwort anhören: „sort yourself out, you fucking cunt“?

Die Entwicklung der Libertines durchschritt all die Fragen, die Rock’n’Roll als Ganzes in den letzten Jahrzehnten aufgeworfen hat.
Wir hatten die Richey Edwards Frage:
sind die Libertines 4Real?
Den Sid Vicious Komplex:
Wieviel Mythos Rock’n’Roll überlebt ein Mensch?
Die Punk Problematik:
Ist der Wille, mit seiner Musik Geld zu verdienen sellout?
Das Libertines Vermächtnis:
ist es eine Schande, wenn eine Band die Möglichkeit zur World Domination hat und sie wie Sand durch die Finger rieseln lässt?

The Whole World Is Our Playground

Dazu ist im Libertines-Fantum eine weitere Komponente enthalten, die über die Songs, ja, selbst über die Protagonisten hinausgeht. Wie wahrscheinlich keine Band mehr seit The Smiths steht zumindest beim Fantum der ersten Stunde der Entwurf einer Welt zur Diskussion.
Ein Libertine sein. Nicht in einer Band namens Libertines spielen.
Albion und Arcadia, Keats, Yeats und Blake, The Clash und eben The Smiths bevölkern das Libertines-Universum und versprechen diese andere, bessere Welt. Eskapismus als Grundlage, was gerade für Pete Doherty zu Fluch und Segen wurde. You’re a legend in your mind: Der Prophet, der seinen eigenen Worten glaubt, der sich, weil er ein Libertine ist, nicht mehr an die Regeln des Hier und Jetzt gebunden fühlt. Es ist dieser Zwiespalt, der ihn zerreißt und der auch in der Behandlung durch seine Fans deutlich wird. Einerseits wird Doherty messianisch verehrt, seine Lyrics und seine Tagebücher ausufernden Exegesen unterzogen und in Fankreisen bejaht, dass jeder das Recht haben sollte, sein Leben zu leben wie er möchte, auch wenn das letztenendes bedeutet, dass zumindest der Traum stirbt. Andererseits ist der Libertines-Fan peinlich berührt, verflucht den Tabloid-Pete und wünscht sich nichts sehnlicher, als dass er endlich wieder Boden unter den Füßen bekäme. Der freie Wille als höchstes Gut, auch wenn dieser zur self-destruction führt oder eben doch die Anpassung an die Notwendigkeiten, die Gegebenheiten der Welt?

Last Of The Small Town Playboys

Bei Barat ist es nicht anders, auch hier zwiespältige Gefühle allenthalben. Wie sehr es Barat einerseits hoch angerechnet wird, dass er jede Gelegenheit ausschlug, schmutzige Libertines-Wäsche zu waschen und gerade in der Post-Libertines-Zeit klar wurde, wie schwer es Barat mit diesem unberechenbaren Doherty an seiner Seite auch hatte, so werden die Dirty Pretty Things genau aus dem Grund heraus kritisch beäugt, dass sie im Gegensatz zu den Libertines und (vor allem den) Babyshambles das Spiel spielen, sich wie eine normale Band verhalten, die Interviews gibt, Konzerte spielt und Promotion-Gimmicks mitmacht. Bezeichnend ein Kommentar über Barat im .org-Board, der Mutter aller Internetforen Englands: „I want him to have all the success he truly deserves and I really want him to be happy, I just want it in a manner befitting a Libertine.“
Wieder das gleiche Problem: man ist ein Libertine, man war nicht nur in einer Band gleichen Namens. Es ist die Sellout-Frage: was darf ich als Band mit einem wahren Herzen machen, damit meine Musik gehört wird. Gerade als Libertines-Fan ist man es gewohnt, dass jede Möglichkeit als Band zu wachsen aus Versehen ausgeschlagen wird und um so verstörender ist deshalb der normale, gezielte Weg, den Barat mit den Dirty Pretty Things beschreitet, obwohl Barat keine Fehler macht, sondern sich einfach nur normal verhält. Das Dilemma: normal ist nicht genug, wenn du ein Libertine warst.

You know I’ve tried so hard to keep myself from falling back into my bad old ways
And it chars my heart to always hear you calling, calling for the good old days

Doherty ist im Year of Rock’n’Roll Death, er ist 27. Er stolpert von einer Unmöglichkeit in die nächste und hat doch wieder seine lichten Momente: er spielt die free gigs, schickt 5 GB an eigenem Songmaterial in die Welt und schert sich nicht um irgendwelche karrierebezogenen Entscheidungen.
Barat hat seine neue Band, die er im Last Gang In Town Style präsentiert und die tatsächlich den Eindruck einer freundschaftlichen Verbundenheit versprüht, doch mangelt es ihm an der Vision, die Doherty schuf: dieses mehr sein als eine Band, die Lieder spielt. Der Entwurf der eigenen Welt, sie mag Barat allein nicht gelingen, wohingegen Doherty trotz all der Schwächen, die die Babyshambles aufwiesen, weiterhin in Albion lebt und ein verstörendes Werk im Gepäck hatte, in dessen 16 Songs sich all das Gute wie Böse manifestierte.

Bring our illusion to a conclusion with all our unsold dreams
Put it to bed, kick it in the head, Oh won’t they just let it be

An der Zerrissenheit ihrer beiden Helden arbeiten sich die Libertines Fans ab. Es ist keine reine Nostalgie-Veranstaltung, doch durchweht all die Postings der Good Old Days Vibe, als der Glaube an diese andere, bessere Welt noch da war, als die Verwirklichung des Traums möglich schien, bevor die Horrorshow begann und Death On The Stairs jeden Moment erwartet werden musste. Doherty wird nicht verziehen, dass er sein Talent verschwendet, dass er nichts, gar nichts auf die Reihe bekommt und wird im gleichen Moment doch dafür geliebt, wie sehr er sich den Logiken des Musikgeschäfts verweigert, so romantisch-naiv wie unwissend das auch sein mag. Only true hearts and minds and melodies are said to cure all known maladies / So sing along, it won’t be long / Until the whole city belongs to true hearts and minds / Maladies will be gone…
Barat wird für sein Verhalten als Gentleman und den ewigen Glauben an die Band, an das Band der Libertines verehrt und doch für seine Bestrebungen, seinen Verpflichtungen nachzukommen, insgeheim verachtet. Barat wird nicht verziehen, dass er das Spiel nach den Regeln spielt und er spürt diese Rechtfertigungsnotwendigkeit, wenn er singt “No one gives a fuck about the values I would die for / Not the faceless civil servants / The rudimentary crack whore / No one gives two fucks about the values I would kill for / Give them something to die for / Give me something to die for” wie man überhaupt das Dirty Pretty Things Album wie eine anklagendes Flehen lesen kann, nicht weniger als Doherty auf dem zweiten Libertines Album seine Verzweiflung in die Welt hinausschrie. Und aufs neue legt sich eine Wehmut, Melancholie, ein Grauschleier des erneuten Scheiterns über die Libertines. Arcadia scheint immer noch so fern.

(Christian Ihle)

——-

Die Pete-Doherty-Woche? Was soll das bitte?

Die Zweifel, ob Mr Peter Doherty noch eine weitere Platte veröffentlichen würde, begleitet ihn bereits seit Jahren. Noch länger beschäftige ich mich mit dem Phänomen Doherty – genau genommen seit der Veröffentlichung der Libertines-Debütsingle im Jahr 2002.
Über die Jahre sammelten sich für verschiedene Publikationen immer wieder Texte an, die versuchten, den Doherty-Problemkreis zu erörtern. Da nun die dritte Phase des Doherty-Schaffens mit der Veröffentlichung des neuen Albums beginnt (das erste ohne Stammproduzent Mick Jones, das erste bei einem Major-Label, das erste, das tatsächlich in erster Linie erfolgreich sein will) folgt in dieser Woche eine kleine Rückschau auf frühere Texte.

Teil 1: Time For Heroes, Anfang 2005
Teil 2: Up The Bracket, Oktober 2002
Teil 3: The Gang Of Gin. And Milk., April 2006
Teil 4: Why Did You Break My Heart?, Mai 2006
Teil 5: Anywhere In Albion, September 2006
Teil 6: König wider Willen, Februar 2007
Teil 7: Das Ende des Konjunktivs, Oktober 2007

Weiterlesen:
* My Favourite Records… mit Adam Ficek (Babyshambles)

Plattenkritiken:
* The Libertines – Best Of
* Babyshambles – Shotters Nation

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/pete-doherty-woche-4-why-did-you-break-my-heart/

aktuell auf taz.de

kommentare