vonChristian Ihle 16.10.2007

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Die Libertines waren eine „was wäre wenn“ – Band wie keine zuvor. Dohertys Vermögen, kurz vor der Ziellinie immer zu stolpern oder einfach stehen zu bleiben, war enorm. „Snatching defeat from the jaws of victory“ ist für Dohertys Werdegang der letzten Jahre sprichwörtlich.
Immer, wenn man dachte, jetzt, ja, jetzt, ist das größte Talent der Insel – ach was! Der Welt! – kurz davor, die für ihn reservierten Lorbeeren abzuholen, kamen Tourabsagen, Gefängnisaufenthalte, Bandrauswürfe, Drogen und Blut per Karacho vorbei und überfuhren all die bereits hübsch geflochtenen Lorbeerkränze.

a list of things we said we’d do tomorrow

Die Libertines sind die if-Arctic-Monkeys. Die Band, die eigentlich da stehen sollte, wo die Monkeys waren: die größte Band des Hier und Jetzt, zumindest für einen kurzen, kleinen Augenblick. Der Herzschrittmacher der Musikwelt. Wenn nur, wenn sie damals nicht…
Die Libertines und die Babyshambles sind aber noch viel mehr der eigentliche Grund, warum all die Gitarrenschrammler in England auf einmal Platten, Platten, Platten verkauften und – im Gegensatz zur Brit-Pop-Ära – Erfolg und Anerkennung sogar in Deutschland ernteten. Die derben Plagiaristen The Kooks oder The View, ja letzten Endes selbst die Freunde der eckigen Gitarren wie Bloc Party oder Arctic Monkeys und natürlich auch die Pophuren von den Kaiser Chiefs und Hard-Fi… und erinnert mich erst gar nicht an Razorlight! All ihre goldenen Schallplatten gehören an Dohertys Wände. Dort sind aber nur seine blood paintings und poems vom Wolfman. Auch ein Tausch.

road to ruin

Für uns Libertines-Fans und Dohertyans hatte all das diesen schwer erklärlichen Reiz des mit fliegenden Fahnen Untergehens, der Romantik des Scheiterns und schuf so die Zusammengehörigkeit von Misfits. Einerseits ärgerte es uns natürlich, wenn The Kooks Platten wie geschnitten Brot verkauften, wo sie doch so meilenmeilenweit davon entfernt waren, auch nur irgendetwas für uns zu sein. Doherty dagegen, the best thing since crack came sliced, kletterte mit Müh’ und Not gerade so auf Platz 10 in den britischen Albencharts. Aber auch für unseren Distinktionsgewinn war das natürlich unverzichtbar: ihr versteht das nicht, ihr könnt diesen Wahnsinn nur ertragen, wenn er euch von der Plattenfirma in wohlproportionierten, gesunden Häppchen vorgekaut wird. Wir dagegen, wir kämpften uns durch diesen „Down In Albion“ genannten, überlangen Irrsinn, blickten mit Doherty in das Nichts und stolperten mit ihm über die Mikrofonständer. Natürlich wussten wir, dass Teile davon unhörbar waren, konnten ob der absonderlichsten Doherty-Ideen (wie wär’s mit einem gerappten Duett mit einem im Knast kennen gelernten Rastamann?) nur mit dem Kopf gegen die Wand schlagen und verfluchten die Idee, „Albion“ – unser Lied aus Libertines – Zeiten, die Hymne für die bessere Welt, die wir errichten wollten – mit den Shambles statt den Libertines aufzunehmen und dann auch noch in einem verzweifelten Versuch auf dem Down In Albion – Punk und Drogen – Chaos als einzige richtige Single zu produzieren. Einen Radiosong! Wo doch alles schon in dieser Akustikgitarre, im Singalong in den Pubs lag! Das hier, es war wieder ein typischer if-Song: wenn nur, wenn! Die Nummer 1. An Weihnachten! Und an Ostern! Aber so: Platz 8. Fünf Plätze niedriger als wenige Monate später The View, als diese uns erzählten, sie hätten nun die gleiche Jeans bereits fünf Tage am Stück an. Yawn. Was bekamen wir statt unserer Christmas-Number-One? Den musikgewordenen Karfreitag.

get up off your back / stop smoking that / you could change your life

Und jetzt sitzt Peter Doherty im last chance saloon. Jeder kennt ihn, keiner kauft seine Platten. Kate is gone, Crack noch da. Der Plattenvertrag mit Libertines-Entdecker Rough Trade ausgelaufen, EMI, ein Major schlägt zu. Mick Jones, Produzent aller Doherty-Alben und die eine Hälfte des Songwritergespanns der Clash muss gehen, es kommt Stephen Street – dessen Referenzen mit Blur und The Smiths sich hervorragend lesen, wüsste man nicht, dass er auch die Kaiser Chiefs produziert.
Überhaupt die Produzenten. Es gibt einen berühmten Ausspruch Dohertys warum er mit Mick Jones all seine Alben aufgenommen hat und nicht mit Bernard Butler of Suede-Fame, der die Libertines-Debüt-EP „What A Waster“ produzierte: „Mick’s a Libertine and Bernard’s not.“. In diesem einen Satz steckt wahrscheinlich sehr viel Wahrheit über die Doherty-Logik. Er hat sich noch nie seine Partner nach deren Geschäftsträchtigkeit ausgesucht, sondern nach einem wie auch immer gearteten Gefühl, dieser Typ wäre einer von den Guten. Einer, der mit mir in eine bessere Welt will und keiner, der mich in dieser halten möchte. Der General, der Wolfman, Mick Jones, MC Purple, Peter Perrett, Dom von den Others, Pat, der ehemalige Shambles-Gitarrist. Sie gehören dazu, so seltsam dieses Panoptikum von verrückten Kerlen, diese Horrorshow, auch sein mag. Der Streber am Libertines-Bass, John Hassall, dagegen genauso wenig wie das ehemalige Libertines-Mitglied und jetztiges Razorlight-Oberhaupt Johnny Borrell, oder eben Bernard Butler.

and above all things, my son…take the money and run

Stephen Street kommt mit seinen Smiths-Referenzen natürlich aus einer Ecke, die bei Doherty höchste Verehrung hervorruft. Und irgendwie hat es Stephen Street geschafft, Doherty dazu zu bringen, seine vocal takes mehr als einmal zu machen, hat aufgeräumt, poliert, geschliffen und mit „Shotter’s Nation“ ein Popalbum hingelegt, das Doherty endlich dahin bringen könnte, wo er seit Jahren sein sollte: an die Spitze der Charts. Während aber Doherty uns die dreckigen Gossen zeigte, aus denen man zu den Sternen aufblickte, machte Stephen Street auf „Shotter’s Nation“ hinter Doherty sauber und all die winkeligen, schmutzigen Gässchen wurden zu frisch gewaschenen Straßen. Nur Sterne sieht man keine mehr.
„Shotter’s Nation“ hat alles, was eine Plattenfirma von seinem Star haben möchte: eine großartige Leadsingle, die einfach strukturiert ist, an eines der bekanntesten Gitarrenriffs der Menschheitsgeschichte erinnert und mit einem der besten Doherty-Refrains aller Zeiten gesegnet ist. Wo man doch weiß, dass Doherty bizarrerweise immer Strophen schreiben konnte, aber mit Ausnahme von „Fuck Forever“ nie Refrains. Die Refrains waren ja auch für die Massen, für die Einmalhinhörer, die Washaltsoimradiokommt-Liebhaber. Die Strophen dagegen gehörten uns! In „Time For Heroes“, Dohertys zentralem Song, sind es die ersten Sekunden, die „stylish kids in the riots“, die uns mitnahmen und nie mehr loslassen sollten, aber nie der Refrain!

make no mistake / he sheds his skin like a snake / on the dirty road to fame

Alles neu macht der Street: nun gibt es mit „Delivery“ eine top produzierte Leadsingle und auch das restliche Album ist – im besten Sinne – glatt produziert. Die Gitarre direkt aus dem crack-den von Patrick Walden ist sowieso schon verschwunden, nachdem dieser dem „Paddy put the pipe down!“ Hinweis aus „Pipe Down“ wohl doch nicht folgen wollte und sich nach dem Babyshambles-Debütalbum aus der Band verabschiedete. An seiner statt spielt der alte Mann Mik Whitnall und macht das wie alte Männer so etwas eben machen. Solide. Keine Fehler, keine Aufregung. So bekommen wir 12 wunderbare Songs, die in der besseren Welt wohl tatsächlich allesamt im Radio gespielt werden könnten. Die Frage ist nur: wollten wir je Songs bekommen, die im Radio gespielt werden können?
Stephen Street nimmt das „if“ aus den Shambles. Wir können uns nun nicht mehr darauf berufen, Doherty könnte ja, wenn er nur wollte. Das „was wäre wenn“ weicht dem „now or never“. Ab jetzt ist er nicht mehr the man who would be king. Er ist es bald oder er wird es niemals sein.

only true hearts and minds and melodies / are said to cure all known maladies

Aber für uns hoffnungslose Romantiker, die sich lieber in die Legenden des Rocknroll als in die Charttabellen einwickeln, unterstreicht „Shotter’s Nation“ dann doch ein anderes „if“: zum ersten Mal in der Doherty-Geschichte werden gerade die akustischen Wundersongs nicht dem Produktionsunsinn preisgegeben, sondern klingen sogar besser als wir nach den ersten Skizzen dachten. „There She Goes (A Little Heartache)“, das neben „The Whole World Is Our Playground“ der beste seit Jahren unveröffentlichte Doherty-Song war, behält all seine herzzerreißendes Potential und kommt trotzdem als angejazzte Nummer in überraschendem Gewand. Der letzte Song des Albums, „Lost Art Of Murder“, wiederum ist eine einfache Akustikaufnahme, die die von Dohertyans gehegte Hoffnung, er möge doch bitte endlich, endlich ein Folk-Album aufnehmen, weiter befördert. Die Frage verschwindet nicht: wo ist eigentlich Rick Rubin, wenn du ihn brauchst?

(Christian Ihle, Oktober 2007)
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Die Pete-Doherty-Woche? Was soll das bitte?

Die Zweifel, ob Mr Peter Doherty noch eine weitere Platte veröffentlichen würde, begleitet ihn bereits seit Jahren. Noch länger beschäftige ich mich mit dem Phänomen Doherty – genau genommen seit der Veröffentlichung der Libertines-Debütsingle im Jahr 2002.
Über die Jahre sammelten sich für verschiedene Publikationen immer wieder Texte an, die versuchten, den Doherty-Problemkreis zu erörtern. Da nun die dritte Phase des Doherty-Schaffens mit der Veröffentlichung des neuen Albums beginnt (das erste ohne Stammproduzent Mick Jones, das erste bei einem Major-Label, das erste, das tatsächlich in erster Linie erfolgreich sein will) folgt in dieser Woche eine kleine Rückschau auf frühere Texte.

Teil 1: Time For Heroes, Anfang 2005
Teil 2: Up The Bracket, Oktober 2002
Teil 3: The Gang Of Gin. And Milk., April 2006
Teil 4: Why Did You Break My Heart?, Mai 2006
Teil 5: Anywhere In Albion, September 2006
Teil 6: König wider Willen, Februar 2007
Teil 7: Das Ende des Konjunktivs, Oktober 2007

Weiterlesen:
* My Favourite Records… mit Adam Ficek (Babyshambles)

Plattenkritiken:
* The Libertines – Best Of
* Babyshambles – Shotters Nation

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https://blogs.taz.de/pete-doherty-woche-7-das-ende-des-konjunktivs/

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