Das erste, was mir beim Verlassen des Flugzeugs in die Nase steigt, ist der stechende Geruch des Smogs. Santiago de Chile, 04. August. Durch die Berge, die die Stadt umschließen, gibt es kaum Wind, der die Luft etwas reinigen könnte. Auch geregnet hat es dem Anschein nach bereits länger nicht mehr.
Es ist kalt – 8 Uhr morgens, 4 Grad Celsius.
Meine Familie erwartet mich bereits freudestrahlend am Ausgang. Wir steigen ins Auto ein und fahren in das Zentrum der Stadt. Der Tag ist bewölkt und die Wolkendecke verhindert das Durchdringen jedes noch so kleinen Sonnenstrahls – auf den ersten Blick wirkt die Stadt fahl und grau.
– Überspringen wir hier am besten den Teil, in dem ich meinen Koffer auspacke und gehen direkt über zur Beschreibung meines Wegs zur U-Bahn-Haltestelle –
Ich wohne in der Nähe der Station „Parque O’Higgins“ in der Kommune Santiago Centro. Es ist eine vielgenutzte Station, bei der an jeder Straßenecke neben Fast Food jeglicher Art auch anderes verkauft wird, so wie beispielsweise Kleidung, Spielsachen und Elektronikzubehör. Dabei sollte man sich dies nicht in Form von Food Trucks oder kleinen Läden vorstellen, vielmehr handelt es sich hierbei um improvisierte Grills und Friteusen aus Einkaufswagen sowie um selbstgebaute Verkaufsstände entweder aus kleinen Tischen, Kisten oder auch ausgebreiteten Decken auf dem Boden.
– Interessanter Fakt am Rande: Viele Händler, die ihre Produkte auf ausgebreiteten Decken präsentieren, befestigen Stränge an allen vier Ecken der Decke, die sie die meiste Zeit in der Hand halten – Hierbei sei gesagt, dass diese Art des Verkaufs in Chile illegal ist, da die Stände oft nicht offiziell angemeldet werden, die Verkäufer also somit keine Steuern zahlen. Sobald also die Polizei kommt, um den Verkauf aufzulösen (und diese Auflösung, nebenbeibemerkt, erfolgt leider häufig nicht sehr respektvoll), ziehen sie an allen 4 Strängen, sodass sich die Decke in einen Sack verwandelt, der die gesamten Produkte auffängt und sie so vor der Konfiszierung rettet. Dies ermöglicht es den Verkäufern außerdem, schneller zu verschwinden. –
Am Eingang der Station konzentriert sich der Verkauf am stärksten. Von der Menge an Menschen, die hier tagtäglich zirkulieren, könnte man sie mit Berliner U-Bahn-Stationen wie dem Kottbusser Tor in Kreuzberg vergleichen. Durch die vielen Stände ist es eng auf dem Gehweg, die Menschen drängen sich aneinander vorbei. Der Geruch des Smogs wird nun ergänzt durch den Geruch von frittiertem Essen und der Rauch der improvisierten Grills.
Als die Ampel der gegenüberliegenden Straße auf Rot umschaltet und die Autos langsam stehenbleiben, bemerke ich wie zwei Männer, die bis gerade eben noch an dem Schild der Bushaltestelle gelehnt hatten, die Fahrbahn betreten und zwischen den Autos umherlaufen: In einer Hand halten sie eine alte Wasserflasche gefüllt mit Putzmittel und Wasser, in der anderen einen Fensterwischer. Für ein paar hundert Pesos wischen sie die Fensterscheiben der Autos – zumindest die der Personen, die nicht den Kopf schütteln, sobald sie die Männer sehen. Eine Frau läuft ebenfalls zwischen den Autoreihen her, sie trägt eine Kiste voll mit Schokolade und Süßigkeiten, von denen sie eine Hand voll hochhält und in ständiger Wiederholung schreit: „Super 8 a 200 Pesos, 3 por 500!“ (Hierzu: Super 8 ist eine chilenische Marke, die Schokoriegel produziert)
Ich überquere die Straße und laufe dabei in einem Halbkreis an dem Jungen vorbei, der einen Fußball auf der Spitze eines kleinen Sonnenschirms balanciert, den er mit ausgestrecktem Arm festhält. Durch verschiedene Bewegungen lässt er den Ball auf der Spitze entweder hüpfen oder sich drehen.
Als das grüne Licht anfängt zu blinken, lässt er den Ball ein letztes Mal hüpfen, klappt dabei den Sonnenschirm zu, fängt den Ball auf und verbeugt sich. Auch er läuft nun zwischen den Autos her, um die Münzen einzusammeln, die die Fahrer ihm durch die geöffneten Autofenster in der ausgestreckten Hand hinhalten.
Aus einem Lautsprecher dröhnt Reggaeton. „Agua a 500 pesos, la botella a 500 pesos!“- schreit ein anderer Mann. Er trägt eine Kühltasche bei sich, die voll ist mit Wasserflaschen, die er an Passanten verkauft. Ich kaufe ihm eine ab, dränge mich durch die Traube von Menschen hindurch und laufe die Stufen zur Metro hoch.