vonChristian Ihle & Horst Motor 21.03.2007

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Ein Vierteljahr ist nun ins Land gezogen, seit das Popblog einen ersten Ausblick auf die wichtigsten Bands der kommenden Monate warf. Einige der damals viel gerühmten Debütanten haben ihre ersten Erfolge gefeiert und auch beide Alben des Monats – Auszeichnungen des Popblog waren heiß getippte Neulinge: Jamie T und The Good, The Bad & The Queen.

Ein guter Grund, noch etwas tiefer zu graben: weitere Bands, die bis dato noch kein Debütalbum veröffentlicht haben, von denen aber Großes erhofft wird.

New Rave.

Er ist da, zumindest in England. Die Klaxons sind mit ihrem Debütalbum bereits auf Platz zwei geschossen, während Deutschland wie immer die erste Welle bereits verschlafen hat, so dass erst Ende März endlich „Myths Of The Near Future“ hierzulande erscheinen wird. Nachdem die Speerspitzen der Szene bereits im Januar abgefeiert wurden, wird hier nun ein Auge auf das Fußvolk gerichtet.

Shitdisco (myspace) sind eine überragende Liveband, die auch mit ihren beiden bisherigen Singles „Reactor Party“ und „Disco Blood“ (also known as „Der Beste Gang Of Four Rip-Off Ever!“) die Plattenteller ordentlich zum Kochen brachten. Auch das Album lässt Großes erwarten, so die Jungs aus Glasgow nicht über die Klaxons-Hürde stolpern: zu viele gute Vorabsingles können ein Album erdrücken.
Noch weit vom ersten Album entfernt sind dagegen Foals (myspace): !!!, denen man den Stecker gezogen und dem Percussionisten die Prozacration verdoppelt hat. Das klingt bereits auf dem Demo nach einer ganzen Menge Livespaß, so dass man gespannt ist, wohin diese jungen Pferdchen galoppieren werden.
These New Puritans (myspace) sind die jüngsten Angular Records – Protégées und als solche natürlich eingehender Betrachtung wert. War Angular Records vor einigen Jahren noch für die Entdeckung klassischer Post-Punk-Bands wie Art Brut, Bloc Party und The Long Blondes verantwortlich, sind sie jetzt die gedanklichen Urväter von New Rave. Wer stehen bleibt, ist selbst schuld. These New Puritans verheiraten auf „Chamber“ die nicht unbedingt nahe liegenden Kameraden Joy Division und MDMAzing stuff so geschickt, dass man den Editors die Tranquilizer durch Uppers ersetzen möchte. Oder vielleicht einfach die Editors ersetzen möchte.

Ficken, oder was?

Ja, so mag man das: The Teenagers (myspace) spielen schön verrückten, sehr remixtauglichen Indiepop, den man bei unvorsichtiger Betrachtung schnell auch in die New Rave Ecke schieben könnte und singen übers vögeln und den Reiz der Oberflächlichkeit. Allein für die 1a-Interpretation des US-Girls (oder, in The Teenagers’ Worten: „american cunt“), das von ihrem britischen Aufriss in der Mitte des Songs „Homecoming“ erzählt, möchte man das französisch-britische Trio postkoital knuddeln:

ok, listen girls:
i met the hottest guy ever!
basically, as i was stepping out of my SUV,
i came face to face with my step-cousin or whatever, who cares?
anyway, he was wearing skinny jeans, had funky hair
and the cutest british accent ever.
straight away, i could tell he was rocker
from his sexy attitutde and the way he looked at me.
mmmmmm, he is totally awesome.
oh my god,
i think i’m in love.

Neben dem bereits erwähnten „Homecoming“ sei auch noch einmal ausdrücklich auf „Starlett Johansson“ hinzuweisen, das noch ein Stückchen weiter in der New Rave Ecke steht.

Fest die Schrammelgitarren umgeschnallt haben dagegen The Romance (myspace). Vier junge Briten, die zu den interessantesten Libertines-Nachfolgebands gehören. So räudig wie die Gitarren scheinen auch im ersten Moment die Texte zu sein („Do you remember what it was like when we would stay in bed and just fuck all night” oder “I like to fuck you on the stairs”), doch im Grunde erzählen The Romance nur die Geschichte einer sich dem Ende zuneigenden Liebe („…now we just fall asleep at night.“). Morrissey hätte das wohl anders formuliert, aber dennoch weisen The Romance damit auf eine größere Vielschichtigkeit hin, als man im ersten Moment vermutet hätte.

Christian Ihle

Weitere Artikel aus dieser Reihe:

Teil 1: Großbritannien

Teil 2: Amerika & Libanon…

Teil 3: Deutschland & seine Gitarren

Teil 4: Goth, Postrock und Kaiser Chiefs für Arme

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https://blogs.taz.de/popblog/2007/03/21/2007-i-predict-a-riot-teil-5-new-rave/

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kommentare

  • Na, aber – lässt man mal dieses verrückte Ding „Internet“ außer acht – fällt es den deutschen Musikkonsumenten dann ja auch schwer, wenn die Singles gar nicht und die Alben erst ein Vierteljahr später veröffentlicht werden.
    Gerade bei so etwas potentiell Kurzlebigem wie „New Rave“ (der ja im Grunde mit Ausnahme der Klaxons als musikalische Stilrichtung gar nicht existiert) ist ein halbes Jahr später vielleicht schon zu spät.

  • „…während Deutschland wie immer die erste Welle bereits verschlafen hat,“

    Na und? Deutsche Musikkonsumten sind schließlich nicht per se die Erfüllungsghilfen der Marktentwürfe des MNE und Subventionierer der britischen Musikindustrie. Da bleibt es auch dem sogenannten „New Rave“ nicht erspart, sich seine Anhängerschaft selbstständig zu erspielen – anstatt auf die Wirkung der altbekannten Hypemaschinerie und dem vorauseilenden Gehorsam der hiesigen Musikfreunde zu hoffen!

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