vonChristian Ihle & Horst Motor 29.04.2007

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Im Rahmen des Britspotting-Festivals war unter anderem das sehr aufschlussreiche Portrait „Strummer“ von Julien Temple zu sehen. Auf der Reise durch Erinnerungsorte der Band The Clash blickt ein ehemaliges Bandmitglied vom Hochhausbalkon über das nächtliche Treiben der Stadt: „Siehst du das da unten? Das ist Krieg! Und genauso klingt auch unsere Musik!“, so zitiert er sinngemäß eine Situation aus dem Gedächtnis. Das mag zwar pathetisch sein, es ist zugleich wahr. Wenn auch in sehr unterschiedlicher Stärke, beeinflusst die unmittelbare Umgebung, wie auch das klingende Umfeld, das Schaffen einer Band auf die ein oder andere Weise. Was nicht nur erklärt, wieso Musik manchmal eben nicht so klingt, als sei sie von Bewohnern eines französischen Landhauses aufgenommen worden, es lässt auch eine erste Annäherung an den Sound von Blonde Redhead zu.

Denn auch auf ihrem mittlerweile siebten Album bringen Blonde Redhead die großstädtische Soundscape, das Rauschen der Welt, beispielhaft zum Ausdruck. Klar, die kommen aus New York, das hört man ja! Genauso wie Sonic Youth, möchte man sagen. Während deren ehemals so kreative Zerstörungswut allerdings inzwischen leider bis zur Langeweile domestiziert ist (Pessimisten behaupten, der Niedergang habe bereits nach „Daydream Nation“ begonnen), vermitteln Blonde Redhead auf „23“ eine absolut faszinierende, rauschhaft-psychedelische Atmosphäre. Schon wenige Takte nach einem Radio Dept. artigen Intro verliert sich die Stimmung im Titeltrack in entrückt anmutender Monotonie, die so recht auch nicht mehr abreißen will. Vergleichbar allenfalls mit den klaustrophobischen frühen Piano Magic und deutlich melancholischer noch, als es die Vampire von The Black Heart Procession zu tun vermögen, umhüllt es einen auf zauberhafte Weise, dieses Album. Und gleichzeitig ist es doch so überdreht. So fahrig und herrlich irre, als wäre es unter Schlafmangel zwischen vier und sieben Uhr morgens aufgenommen worden.

Selbst wenn Blonde Redhead mit „Spring And By Summer Fall“ so etwas wie ein veritabler Indie-Hit gelungen ist, wird sich auch dieses Lied auf keiner Picknick- Mixkassette wieder finden lassen. Und zwar aus drei Gründen: Erstens hellt nicht jeder Hit die Stimmung auf. Zweitens ist das auch ganz gut so (die traurigen sind eh die besten). Und Drittens ist dieses Album von einer derart perfekten Geschlossenheit, dass es beinahe frevelhaft wäre, sich für ein Lied zu entscheiden. Wer ist denn schon freudig erregt nach Hause gelaufen, um sich genau einen Song von Radioheads epochalem Werk „Ok Computer“ anzuhören? Songs sind oftmals lapidar, Alben große Kunst.

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Louis Parker

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