23 Jahre sind nun bereits ins Popland gezogen, seit Chris Lowe und Neil Tennant erstmals zusammen in einem Aufnahmestudio standen und als Pet Shop Boys sich anschickten, Pop in der Welt und die Welt mit Pop zu verändern. Zeit genug, nach den Gründen zu suchen, warum die beiden Briten innerhalb des Pop und nach den Regeln des Pop immer wieder aufs Neue ihre Relevanz bestätigen.
Sieht man vom Offensichtlichen ab, dass die Pet Shop Boys sich bis zum heutigen Tag ein sagenhaftes Händchen für die richtige Popmelodie und -Single bewahrt haben, ist der zentrale Punkt in der Geschichte der Pet Shop Boys ihre Subversivität. Das alte Gerede, dass der Marsch durch die Institutionen, die Möglichkeit das System von innen heraus zu verändern, ein Königsweg zu einer besseren Welt sein könnte, haben die Pet Shop Boys innerhalb des Pop über die letzten 20 Jahre bewiesen. Die Pet Shop Boys sind beinahe die einzige Band, die in dieser Zeit der Popwelt Kredibilität, Seriosität, Ideenreichtum und Attitüde servierten, ohne sich aus den Zwängen des Pop zu lösen – das besondere hier ist, im System dagegen zu funktionieren.
Wenn etwas gegen den Pop funktionierte, dann nur für ein kurzes, helles Aufflackern der Revolte (Punk) oder des Anderssein (die New Romantic / Synthie Pop Entwicklung der frühen 80er). Beides wird aber in jedem Fall sehr schnell domestiziert und funktionierte nicht mehr im System dagegen, sondern für das System. Die Pet Shop Boys hingegen sprechen die Sprache des Pop seit nunmehr über 20 Jahren und haben nichts von ihrer Originalität und ihrem Ideenreichtum verloren.
It’s A Sin
Im Mittelpunkt steht dabei immer die Abarbeitung mit dem Schwulsein in der heutigen Welt. Von der Entdeckung der eigenen Präferenzen bis hin zu der Verstörung, mit der ein gläubiger Schwuler leben muss, ist es immer wieder der Herzpunkt in Tennants Texten. Dass dabei 1987 ein Song wie „It’s A Sin“ millionenfach verkauft wird und auf Platz 1 der Hitparaden von England bis Deutschland klettert, der vom theoretisch unpoppigsten Thema ever, nämlich dem inneren Konflikt des Gläubigen mit seinem eigenen Schwulsein, handelt, zeigt dass die Music For The Masses mehr sein kann als Soundfutter auf dem Weg zur Arbeit.
All the people I was kissing / some are here and some are missing
1990 schaffen die Pet Shop Boys ihr Meisterwerk: nach den wilden, hedonistischen 80er Jahren, die die Pet Shop Boys mit der ihnen eigenen britischen Kühle aber doch immer mit klarem Hi-NRG-Auftrag durchschritten, läuten sie das neue Jahrzehnt mit Melancholie für den Tanzboden ein. Aids hat sich mit aller Macht zwischen die Geschichten der Ausschweifungen geschlichen und Tennant antwortet darauf mit dem großen „Being Boring“, einem der wundervollsten melancholischen und trotzdem seltsam aufheiternden Songs über das Älterwerden, die Wildheit und das unweigerliche Verblassen der Jugend. Wie so oft muss der Song nicht zwangsläufig in diesem Kontext gelesen werden, doch drängt sich in seiner Abfolge der Feier des wilden Hedonismus („When you’re young you find inspiration / In anyone who’s ever gone / And opened up a closing door / She said: we were never feeling bored“), den folgenden, ersten Bedenken, die aber vom Jetzt, vom Lebenwollen besiegt werden („Someone said: if youre not careful you’ll have nothing left and nothing to care for / In the nineteen-seventies / But I sat back and looking forward / My shoes were high and I had scored / I’d bolted through a closing door / I would never find myself feeling bored”) hin zu der bitteren, melancholischen Rückschau am Ende eines Lebens, die in der herzzerreissenden Stelle „All the people I was kissing / Some are here and some are missing / In the nineteen-nineties / I never dreamt that I would get to be / The creature that I always meant to be / But I thought in spite of dreams / You’d be sitting somewhere here with me” gipfelt, die Frage nach Aids und der daraus folgenden Veränderung des eigenen Lebens auf. Aids zieht in die Popmusik ein und das Augenverschließen war gestern.
Was It Worth It?
Interessant ist die Antwort, die sich die Pet Shop Boys in den folgenden Jahren auf ihre eigenen quälenden Fragen geben: eine laute, deutliche Bejahung des Weitermachens. Die Zwischendenalbensingle „Was It Worth It?“ ist das vielleicht schönste Liebeslied in den Zeiten von Aids. Tennant schreit kaum verklausuliert hinaus, dass das Jetzt doch über all die Sorgen siegen solle: „And I reserve the right to live / My life this way / I couldn’t give a damn when I hear people say / I’ll pay the price / That others pay / ‘Cause it’s worth it / Yes it’s worth living for” .
Because you dance to disco and you don’t like rock
Ein dritter zentraler Punkt Tennantscher Lyricbewältigung des Schwulseins in der modernen Welt ist die Verwirrung in der Adoleszenz und die Akzeptanz des eigenen Selbst, was insbesondere in „Can You Forgive Her“ herausgearbeitet wird, der ersten Single des Very-Albums, das eine komplette Abkehr von der Introspektive des Behaviour-Albums darstellte und mehr denn je klassische Gay-Disco-Ideale feierte. Hier gilt wieder die Pet Shop Boys Regel: der Song funktioniert durchaus als konventionelle (Ent-)Liebesgeschichte, hat aber mannigfaltige Hinweise auf die darunter liegenden Ebenen. Durch diese Kombination leben die Pet Shop Boys immer im Popkontext, können sie massengeschmackskompatible Musik machen und doch ihre Nachrichten transportieren.
Durch den kleinen Code „She’s made you some kind of laughing stock / Because you dance to disco, and you don’t like rock / She’d make fun of you, and even in bed / Said she was gonna go and get herself a real man instead” kann natürlich der heterosexuelle Radiohörer problemlos einerseits eine „normale“ Beziehungskrise heraushören, doch ist durch den Gegensatz von Disco zu Rock deutlich auf das Schwulsein verwiesen, was durch den “a real man instead” Nachsatz noch verstärkt wird. Wenn Tennant zu Beginn des Liedes „because you know there’s too much truth in everything she claims” singt, wälzt er sich nächtens im Bett, um den eigenen Verdacht des Lebens im Geheimen zu verdrängen und es doch nicht zu schaffen, seine „strangest dreams of youthful follies and changing teams“, seiner ersten Kontakte mit einem anderen Mann zu verneinen.
Wie weit die Pet Shop Boys trotz dieser klaren – potentiell ungemein massenverstörenden – Ansagen sich im Prinzip des Pop zurechtfanden, zeigt die Folgesingle: „Go West“ wurde einer ihrer größten kommerziellen Erfolge und ist als Cover von Village People natürlich eine Affirmation der Gay-Disco sondergleichen. Als wunderschöner Treppenwitz der Geschichte sickerte „Go West“ in das Fußballstadienliedgut ein und bestätigte wieder einmal die homoerotische Komponente von Fußball – oder wie es Blurs Alex James dereinst so trefflich formulierte: „Football? It’s a big gay bar, isn’t it?“
A Positive Role Model
Exemplarisch an dieser Handvoll Songs zeigt sich, wie das Prinzip Pet Shop Boys funktioniert: es werden bedeutsame Nachrichten in Sounds gekleidet, die großen Pop schreiben. Man kann zwischen den Zeilen lesen, muss es aber nicht, was eine Leichtverträglichkeit zusichert, nur durch die 23 Jahre Pop-Erfolg erreicht werden können. Dass Tennant/Lowe keinen Rückzug in experimentellere Songs vollzogen haben, ist dabei nur konsequent. Sie sind die letzte Bastion des intelligenten Pop und können nur im Pop ihre Wirkung behalten. Selbst ein auf den ersten Blick gezielter kommerzieller Selbstmord im Rahmen des „Release“-Albums, das als Grundkonzept das Nichtpopsein und die Introspektion hatte, erscheint im Rückblick wieder nur als gezielter Kunstgriff. Nicht umsonst sind Tennant / Lowe die beiden einzigen Menschen, die in Strickpullovern mehr verkleidet aussehen als in orangefarbenen Ganzkörperanzügen mit einem Meter hohen Kegelhüten. Dass die erste Single von Release – „Home & Dry“ – mit Bildern von Ratten, die durch die Kanalisation wandern, bestückt wurde, war ein offensichtlicher Affront gegen die normalerweise mit Ihnen assoziierte Künstlichkeit, dass das Video aber von Wolfgang Tillmanns gedreht wurde, zeigt wie sehr auch Release innerhalb der Pet Shop Boys Logik lebte: nach Weber, Jarman, Gilbert & George war nun mit Tillmanns ein weiterer Vertreter der Hochkultur als Kollaborateur verpflichtet. Im Gegensatz zu den früheren Betrachtungen des Schwulseins ist Release einer subjektiveren Aufarbeitung von enttäuschter Liebe gewidmet, in der Tennant eine die Geschlechtsgrenzen überspringende Allgemeingültigkeit erreicht. „Love Is A Catastrophe“ seziert in zum Teil deprimierend klaren Worten das Ende einer Liebe: „All my former dreams / tender romantic schemes / revealed as so naive / to think I could believe / in love as the kindest law / not as a declaration of war / on my life and sanity / now I know at last for me / love is a catastrophe“, so dass man Tennant geradewegs dankbar ist, dass er den Hörer mit dem Schwestersong „You Chose“ aus dem Album entlässt, der bei allem Gram doch immer die Möglichkeit auf einen neuen Versuch, eine neue Liebe bereithält. Happiness is an option, vielleicht eben doch.
Was it worth it?
Im Jahr 2006 veröffentlichen die Pet Shop Boys nun ihr neuntes reguläres Album und wieder ist ihre Antwort auf eine innengerichtete Vorgängerplatte ein lautes Bekenntnis zum Pop. Wie Very auf Behaviour zielte, so ist Fundamental das nicht mehr für möglich gehaltene full-on-pop-Werk nach dem Strickpullover-Release. Es ist gut zu wissen, dass auch 2006 die Pet Shop Boys im Auftrag des Pop unterwegs sind und seine Regeln nutzen, um uns von New Labour Kritik (Integral), Blair & Bush (I’m with stupid), TV-Exzessen (The Sodom And Gomorrha Show) oder der Frage, was eigentlich nach einer Revolution komme (Twentieth Century), zu erzählen.
Christian Ihle
(dieser Text erschien ursprünglich im Hamburger Fanzine “Komakino”, das man hier im Netz findet)
Im Netz:
– Homepage
– Indiepedia
Auf den Bühnen:
07.05.07 Berlin, Tempodrom
08.05.07 Frankfurt, Alte Oper Frankfurt
09.05.07 Chemnitz, Stadthalle
11.05.07 Düsseldorf, Philipshalle
13.05.07 Wolfsburg, VW Show
14.05.07 München, Zenith
17.05.07 Hamburg, Stadtpark Freilichtbühne
20.05.07 Stuttgart, Liederhalle