vonChristian Ihle & Horst Motor 07.06.2007

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Viele Bands spielen vor wenigen Leuten. Gerade in diesen Zeiten, wo die Virtuosität eine späte Renaissance innerhalb des Gitarrenpops und -rocks erlebt, stehen da schon manchmal mehr Leute auf der Bühne als im Publikum. Es ist absolut en vogue, Musik in Kollektiven zu produzieren. Diese Kollektive spielen auf der Bühne vor sich hin, als wäre ihnen das Publikum vollkommen egal. Wie kleine Kinder sind sie selbstvergessen, sie sind selbstgenügsam schon ausreichend mit ihrer eigenen Sache beschäftigt. Bei Großevents wie einem Justin Timberlake-Konzert gestaltet es sich grundlegend anders. Man könnte auch sagen, es ist genau umgekehrt.

Denn Justin Timberlake wäre ohne Publikum nicht denkbar. Kein Publikum, kein Justin. Aber was von beidem nun zuerst da war, das lässt sich beim besten Willen nicht herausfinden. Das ist aber auch gar nicht so schlimm, das wirklich interessante an diesem Event ist eh die Einbeziehung der Massen. Das Publikum wird derart in das Spektakel integriert, es singt in jedem Song nicht nur das „Heyho“ mit, es perfomt ganze Strophen. Genauso hat sich Justin das überlegt, und das Publikum eben auch. Als etwas abseits Stehender vermittelt sich somit der Eindruck einer von Multimedia inszenierten, symbiotischen Erfahrung absoluter Willfährigkeit. Oder anders gesagt: Justin muss auftreten, damit das Publikum so richtig loslegt, und das Publikum kreischt so richtig los, weil es gar nicht anders kann. Was wiederum dem Justin nicht so schlecht gefällt. Aber wo haben die das eigentlich her? Aus dem Fernsehen vielleicht: Man macht das halt so? Bestimmt auch, aber eben nicht nur. Schließlich haben Fans schon die Beatles nieder gekreischt, und das ist ein paar Tage her. Wahrscheinlich verbirgt sich hinter dem Kreischen irgendein Urinstinkt, der noch nicht hinreichend erforscht ist.

Nun erfolgt die Begegnung mit Justin nicht auf Augenhöhe. Nicht im wörtlichen Sinne – der Typ steht auf einer Bühne – und auch nicht im soziologischen – Justin hält ein Mikrofon, kann lauter sein als sie alle zusammen und hat einen riesigen Sicherheitsabstand – in seiner Person konzentriert sich für den Augenblick des Auftritts ziemlich viel Macht. Das ist bei vielen Bands genauso, es stellt sich nur die Frage, wie das Publikum mit dieser Situation umgeht. Was würde passieren, wenn das Publikum einfach nicht mehr mitmacht? Dabei, ihn so irre süß zu finden, wie er als junger Gentleman ein paar Fetzen deutsch von sich gibt und dabei unwiderstehlich in die Kamera lächelt. Oder, was am erstaunlichsten ist: Wenn das Publikum ihn dafür liebt, einfach da zu sein. Macht ist dann am größten, wenn sie nicht vollzogen werden muss. Er braucht nichts zu tun, kann sich trotzdem eines größten Maßes an Folgsamkeit sicher sein. Davon lebt doch das ganze Ding.
Ein bisschen irre ist das schon, bei anderen Popstars ist es jedoch der gleiche Fall.

Nun ist Justin Timberlake nicht irgendeiner, er ist der größte Popstar unserer Zeit. Dementsprechend dramatischer fallen die Reaktionen aus. Ein Kreischpublikum beliefert den Star par excellence mit vorauseilender Dienstbarkeit, hochfahrender Stimmung und natürlich mit Cash. Und der ist nicht ganz unwichtig. Nicht nur, damit Justin sich einen neuen Anzug leisten kann, sondern auch, um ein notwendiges Aufmerksamkeitsmonopol zu etablieren. Anders als bei „normalen“ Konzerten geht man mit dem Gefühl nach Hause, eigentlich niemand anderen als Justin gesehen zu haben. Dieses Phänomen ist für das Überleben eines solchen Events von essentieller Bedeutung. Schlecht vorstellbar wären die sonst so erhellenden Tresengespräche während eines Timberlake-Konzerts. Sie gehören da einfach nicht hin. Es soll abgeliefert werden, damit das Publikum auch bei der Stange bleibt und die Inszenierung voll und ganz genießt, mitmacht und danach Gutes berichten kann. Über dieses Konzert, wobei Konzert ein wenig treffender Ausdruck ist.

Vielleicht hat es etwas mit dem Terminus der Konvergenz zu tun, der elektronische Geräte bezeichnet, die mehrere Funktionen in sich vereinen. Wohl kaum. Eher schon sind wir dazu gezwungen, das Konzert mit dem weiten Begriff der Show zu belegen. Justin Timberlakes Performance ist Konzert, Lasershow, Kino und Tanz in perfekter Einheit. Wie in einer Fabrik arbeiten Maschinen daran, Musiker und Musikinstrumente aus dem Bühnenboden zu hiefen, Leinwände herunter zu fahren und Moving-Lights zu drehen. Nur wird das Maschinenrauschen von Pop überdröhnt. Ein beeindruckendes Schauspiel. Apropos Schauspiel: Justin Timberlake ist nicht nur der perfekte Popstar, er ist gleichzeitig ein ambitionierter Schauspieler. Über Stunden hält er seine Rolle als etwas verwegener Dressman aufrecht, der in Sachen Tanz ganz schön vorne dran ist, und genau weiß, was sich gehört. In erster Linie mal nichts dem Zufall zu überlassen.

Weil alle Lichter bis zur Halbzeit schon geblitzt hatten und alle Moves gezeigt waren, wurde das Konzert etwas langweilig. Irgendwie hätte man sich diesen Kirmesrummel notfalls auch gut zuhause auf DVD anschauen können. Mit weniger Emotionen vielleicht, dafür aber ohne diese nervende Gefügsamkeit. Nächstes Mal kommt wieder ein reines Konzert mit einem reine 20 Leute umfassenden Publikum dran. Wieso? Die Bands gibt es ohne Publikum. Anders als Justin. Der löst sich nämlich in Luft auf, bleibt die Masse still.

Louis Parker

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https://blogs.taz.de/popblog/2007/06/07/sternstunden-der-willfaehrigkeit-justin-timberlake-in-concert/

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kommentare

  • Lange schon nicht mehr so einen schönen und schlauen Konzertreview gelesen. Mal wieder den Mainstream untersucht ohne ihn zu verteufeln. Find ich gut.

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