vonChristian Ihle & Horst Motor 26.06.2007

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Nagel, Autor und Sänger von Muff Potter über Szenen, besondere Konzerte und deren einfache Organisation.

Nachdem man sich mit eurer Musik und deinem Buch auseinandergesetzt hat, stellt sich eine Frage: Bist du ein Getriebener?

Ja, ich kann einfach nicht abschalten. Sobald ich Zeit habe, fange ich an zu überlegen und mir Sachen auszudenken. Die Buchidee kam mir in einer Lücke. Ich habe einfach begonnen und war dann schon das ganze Jahr 2006 in jeder freien Minute damit beschäftigt, zu schreiben. Manchmal saß ich vor dem Frühstück schon drei Stunden dran.

Habt ihr viel gekürzt?

Viel umgestellt haben wir nicht. Aber mindestens die Hälfte der Arbeit war das Kürzen und in Form bringen. Aber das schockt mich auch an, so etwas zu machen. Auch beim Liedermachen zu wissen, dass es schon ganz gut ist, aber dann noch die Kleinigkeiten herauszuarbeiten, die die Songs für einen selbst so großartig machen. Das sind Momente, die mich kicken.

Das finde ich interessant, dass du das so vergleichst, das Komponieren von Liedern und das schreiben. Ähnelt sich die Herangehensweise?

Hinsichtlich des Umfangs ist das natürlich ein Unterschied. Aber es ist ähnlich: sehr lange arbeite ich an den letzten zwei Seiten vom Songtext, genauso an den letzten 30 Seiten vom Buch oder am letzten Schlußpart eines Liedes. Daran fummele ich lange rum: das ist das einzige was ich kann, das ist mein Talent und ich versuche es bis zum Äußersten zu treiben.

Man könnte das Buch als Linernotes für die Platte betrachten. Kennt man das Buch, versteht man die Texte ganz anders. Deine Perspektive lässt sich nachvollziehen.

Ich spiele natürlich schon mit den Figuren und Rollen. Das ist natürlich nicht alles vollkommen authentisch „Ich“, hat auch nicht den Anspruch, wobei es natürlich zu einem sehr großen Anteil schon so ist. Aber ich habe das gleichzeitig gemacht: dieses Buch fertig gestellt und angefangen, die Muff Potter Texte zu schreiben. Gerade die Art und der Stil haben sich gegenseitig beeinflusst. Ich hatte auch textlich mehr Lust, Geschichten zu erzählen. Das hat sich schon immer ein bisschen in die Richtung entwickelt. Irgendein Phänomen anhand einer Geschichte zu erzählen, anstatt ein Pamphlet zu verfassen, aber dieses Mal ist es natürlich ganz extrem so, dass viele Texte wie Kurzgeschichten sind. Das hat mit Sicherheit mit dem Buch zu tun.

Hast du mal überlegt, Teile des Buches als Linernotes in die Platte zu nehmen?

Linernotes ist immer wie Witze erklären. Das ist ein schmaler Grat, wo man noch etwas dazugeben kann. Vielleicht für Fans, die sich sehr dafür interessieren. Man muss aber auch aufpassen, dass man die eigene Kunst nicht entzaubert. Eine gewisse Magie liegt ja auch darin, nicht alles zu erklären. Das macht ja einen guten Text aus. Man braucht den Leser auch nicht zu unterfordern, oder für blöd zu erklären, indem man alles immer erklärt. Mit Linernotes bin ich deshalb vorsichtig.

Kann man eigentlich sagen, dass ihr eine szenelose Band ward?

Wir saßen eigentlich immer zwischen den Stühlen. Es gab eine treue Fanbase, aber wir haben teilweise auch bewusst versucht, uns aus Szenen wieder herauszukämpfen. Das Schlimmste war eigentlich, dass die ersten drei Platten so sehr vom Plastic Bomb-Fanzine abgefeiert wurden. Man hat sich über alles gefreut, wo man eine gute Besprechung bekommen hat, aber diese Vereinnahmung von deren Klientel – was die stümpfesten, konservativsten Punker überhaupt sind, mit denen man ästhetisch und inhaltlich überhaupt nichts anfangen kann – da haben wir uns rausgekämpft. Wir haben wirklich gesagt, wir haben kein Bock mehr, vor diesen Idioten zu spielen, die mit ihrem Ellenbogenpogo kommen, 5 Mark Eintritt zahlen und dann vor der Bühne pennen. Und alles beschimpfen, was nicht 100% immer gleich ist. Dann haben wir uns sehr gefreut, als wir mit der dritten Platte mit Hot Water Music unterwegs waren und andere Leute kamen. Wir haben uns sogar gefreut, dass die Konzerte dann teurer wurden, obwohl sie mit 10 Mark immer noch total billig waren. Das war zuviel, als dass man reingeht, sich dicht säuft und bei der ersten Band schon vor der Bühne pennt. Ein guter Nebeneffekt.

Nachdem man bezahlt hatte, war nicht mehr genügend Geld da, um sich zu besaufen oder wie?

Ja, oder: Mist, 10 Mark verpennt. Das will man ja auch nicht. Überhaupt hat sich vieles verändert. Ich habe z.B. auch kein Bock mehr irgendwo zu spielen, wo der Sound scheiße klingt. Auch selbst als Musikfan zahle ich lieber ein paar Euro mehr und bekomme dafür einen guten Sound. Es macht mehr Spaß, wenn man nicht in einem gekachelten Konzertraum steht und alles scheppert.

Womit wir auch beim Thema wären. Eigentlich wollten wir uns ja über ungewöhnlich Konzertorte unterhalten. Fällt dir da spontan etwas ein?

Also der geilste Konzertort war auf jeden Fall die Loreley. Da haben wir vor ein paar Jahren auf der Toten Hosen Grillparty nachmittags als erste Band gespielt. Trotzdem war das schon voll. Von der Location her ist das der Wahnsinn. Ein altes Amphitheater mit ansteigenden Rängen. Danach haben noch Beatsteakes und andere gespielt, am Ende die Hosen. Ich weiß noch genau, dass wir nicht bis zum Rand der Bühne kamen, wir mussten die Mikroständer ein Stück weit nach hinten ziehen, weil unsere Gitarrenkabel für diese Riesenbühne nicht lang genug waren. Wir waren sowieso die einzige Band, die überhaupt Kabel benutzt hat, alle anderen kamen mit ihren Senderanlagen. Wir waren die kleinen Jungs, die trotzdem mitspielen durften, das war ganz cool. Das ist jetzt vier oder fünf Jahre her. Allgemein fällt es mir schwer, besondere Konzertorte zu erinnern, weil sich bei so vielen Konzerten alles zu einem Brei vermengt, man irgendwann dann doch eher die Ähnlichkeiten als die Unterschiede sieht.

Spielt ihr eigentlich gern Festivals?

Nein, nicht so gern. An Festivals stört die maschinelle Abfertigung. Dieses totale Abwechseln aus Warten und Hektik. Das sind beides Zustände, mit denen ich sehr schlecht umgehen kann. Am Anfang des Sommers habe ich noch Lust, spätestens ab Mitte Juli dann aber wieder Bock in Läden zu spielen. Wir versuchen immer, relativ zeitnah zum Auftritt hinzufahren, damit keine langen Wartezeiten entstehen, aber auch so, dass wir Hektik vermeiden. Ich habe absolut kein Bedürfnis, den ganzen Tag auf einem Festival abzuhängen. Ich gucke mir selbst auch nicht gern Bands auf Festivals an. Festivals haben mich nie so gereizt.

Apropos Reiz. Was ist mit den letzten Konzerten, die ihr gespielt habt?

Die waren geil! Die Idee der Kneipenkonzerte kam Florian, unserem Manager und mir. Wir haben uns gedacht, wir müssen mal wieder irgendwas anderes machen. Auch im Zuge der ganzen Platte. Dass man so denkt, wir sind bei einer großen Firma, und – egal wie nette Leute da auch arbeiten – die Gefahr ist immer hoch, dass man so ein Schema F nur noch durchzieht. Wir waren total gelangweilt von diesem ganzen Scheiß. Deshalb dachten wir uns, lasst uns doch mal wieder etwas Besonderes machen, bei dem sich die Fans freuen und was für uns auch etwas Besonderes ist. Und so sind wir auf die Idee gekommen in Berlin, Hamburg und Münster Eckkneipen zu bespielen.

Wie waren denn die Konzerte und wie fanden die Kneipiers das?

In der Dönerbude in Münster hatten vorher schon mal Elektroevents statt gefunden. Das hatte ich mitbekommen. Ansonsten haben wir versucht, die kleinsten und urigsten Läden zu finden. Wir hatten halt auch keinen Bock, irgendwie kleine Punkrockkneipen zu bespielen, sondern wir wollten einen gewissen Assi-Charme haben. Und auch Eintritt frei machen.

In allen drei Läden war es echt ekelhaft. Schon als wir angefangen hatten, tropfte der Schweiß von der Decke, weil die Leute sich reingedrängelt haben und die Läden wirklich viel zu klein waren. Es standen bei allen Konzerten noch mal so viele Leute auf der Straße und haben da getanzt, das war natürlich super.
Um das konsequent zu machen war das dann auch ohne Crew, ohne Mischer, ohne PA, ohne Backliner oder Merchandise. Wirklich nur wir vier. Wir haben eine Gesangsanlage gemietet und unser Equipment eingepackt. Verstärker und Schlagzeug haben nicht einmal nebeneinander gepasst, weil die Räume so klein waren. Die Bassbox auf den Boden gelegt, Gitarrenverstärker drauf. Bühnen gab es ja halt auch nicht. Wir haben dann die neue Platte gespielt, als Zugabe noch vier Lieder, die wir seit zig Jahren, seit sieben oder acht vielleicht, nicht mehr gespielt haben. Das ganze war vom Sound proberaummäßig, ständig sind Leute in den Mikroständer geflogen. Jeder wusste, ich bin gerade Teil von etwas Besonderem und alle waren gut gelaunt.

Was ich daran auch so interessant finde, ist die Verklärung der Vergangenheit. Ich als Sänger hätte es nicht durchgestanden, wenn ich keinen Sport machen würde. Die Leute mussten reihenweise raus, weil sie sonst umgekippt wären und ich musste dazu ja auch noch singen! Dass ich wirklich währenddessen dachte, hey, das schockt, aber ich bin wirklich froh, wenn das jetzt vorbei ist. Und eine Stunde nach dem Konzert war das schon völlig vergessen und ich habe gemerkt, wie die Verklärung der Vergangenheit übernimmt, die sagt, das war genial, das war legendär, das werde ich nie vergessen, das war das geilste, was ich je gemacht habe, ganz schnell, wie in so einem Zeitraffer.

Habt ihr Miete gezahlt?

Nein, aber es wurde schließlich ordentlich Umsatz gemacht. Der Hamburger Wirt hatte total Bock drauf. Der Münsteraner Dönerbudenbesitzer war etwas zynisch. Der hat einfach die Möglichkeit gesehen, tierisch viel Bier zu verkaufen und hatte die Bierpreise für den Abend noch etwas erhöht. Außerdem hat eine Dönerbude ein sehr begrenztes Getränkesortiment… Ich bin dann vorher in den Supermarkt gegangen und musste mir zwei Flaschen Wein kaufen. Wie früher eben. Lange bevor wir Catering Rider überhaupt buchstabieren konnten, habe ich mir auch immer bei Aldi noch ein sechser Pack Wein gekauft und die unter den Beifahrersitz geschoben, damit sie auf der Fahrt auch ja richtig schön warm wurden. Einen Korkenzieher habe ich übrigens immer dabei.

Werdet ihr so etwas noch mal machen?

Ein bisschen doof war natürlich, dass nichts im Süden dabei war. Grundsätzlich haben wir aber schon Bock, so etwas noch einmal zu machen. Dann auch wieder spontan. Die Spontanität ist natürlich elementar. Wir hatten die Tour erst eine Woche vorher bekannt gegeben und auch keine Poster oder ähnliches herstellen lassen.

Gab es sonst noch besondere Konzerterlebnisse?

Wir waren mal zusammen mit Milemarker in England, Frankreich und Spanien. Dort haben wir kleine Konzerte gespielt, waren auch mal in Dänemark und Prag.

Wie war das?

Sinn macht es allein wegen der Konzerte nicht. Es ist cool, da hinzufahren, gerade wenn man deutsche Texte hat und sprachlich ein bisschen beschränkt ist. Ich gehe immer noch gerne auf Tour, was einen aber nervt, das Gefühl, dass man den Leuten langsam auf den Sack geht. Ich habe ja zusätzlich im letzten Jahr noch „Freunde der Nachtruhe“ gemacht, und dann jetzt diese Lesetouren – weißt du, wie häufig ich im Schlachthof Wiesbaden war? Jedes Jahr zweimal wahrscheinlich. Teilweise auch Supportshows für irgendwas. Und wenn man immer wieder da landet – langsam komme ich mir blöd vor. Ich muss mir schon merken, was ich beim letzten Mal für einen Stuss erzählt habe. Das finde ich etwas schade, der Reiz geht dadurch etwas verloren, weshalb man sich immer aktiv etwas überlegen muss, was die Sache interessant hält.

Ok, gibt es denn schon neue Ideen?

Ich will ja so gern mit dem Goethe-Institut verreisen. Was ich natürlich auch gerne machen würde, wäre eine Japan Tour. Da haben wir die letzte Platte auch rausgebracht. Ich habe schon immer diese Band, und, worüber wir uns eingangs unterhalten haben, wir hatten ja nicht eindeutig eine Szene und sind deswegen nicht soviel rumgekommen wie viele andere Hardcore-Bands beispielsweise. Durango95 waren in Südafrika, Force of Change waren in Brasilien etc. Das macht eine kleine, in sich geschlossene Szene möglich, die weltweit operiert.

Dieses spezielle Szenenetzwerk gab es bei Muff Potter nie, was ich auch durchaus vorteilhaft finde. In der Umgebung, in der ich bin, möchte ich nicht in so einer Szene mit sehr wenigen Berührungspunkten nach außen sein. Diese geschlossenen Räume interessieren mich einfach nicht.

Interview: Louis Parker

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